zum Hauptinhalt
Forensiker untersuchen den Lkw.
© dpa/ROLAND SCHLAGER
Update

Flüchtlinge im Schlepperfahrzeug: Mehr Leichen gefunden als vermutet

Auf der Autobahn A4 in Österreich sind in einem Schlepperfahrzeug wohl 71 Flüchtlinge gestorben. Am Mittag will die Polizei Details nennen.

Bei dem Flüchtlingsdrama in Österreich sind deutlich mehr Menschen ums Leben gekommen als zunächst angenommen. Aus dem an einer Autobahn abgestellten Lastwagen wurden mehr als 70 Leichen geborgen, wie die österreichische Regierung am Freitag mitteilte. Am Donnerstagabend war von bis zu 50 Toten die Rede gewesen. Nach Informationen der österreichischen Zeitung "Krone", die als erstes über den Fall berichtet hatte, befanden sich 71 Flüchtlinge in dem Lkw.

Am Donnerstagabend wurde der Transporter in Nickelsdorf nahe der ungarischen Grenze gebracht, wo er in einem gekühlten Raum geöffnet wurde. Einige der Leichen sollen bereits verwest seien. Das habe sich bereits bei einem ersten Anblick des in einer Autobahn-Pannenbucht abgestellten Kühl-LKWs abgezeichnet, aus dem Verwesungsflüssigkeit getreten sei, sagte Doskozil. Die Beamten hätten bei einem ersten Blick in das Innere der Ladefläche nicht genau abschätzen können, um wie viele Leichen es sich handele. Derzeit könne die Polizei auch nicht ausschließen, dass auch Frauen und Kinder darunter seien.

Nach ersten Erkenntnissen gehen die Ermittler davon aus, dass die Flüchtlinge nicht erst in Österreich gestorben sind: Bei dem Schlepperfahrzeug handele es sich um einen in Ungarn zugelassenen Wagen, der östlich von Budapest gestartet sei und wohl in der Nacht die österreichische Grenze überquert habe.

Eine Bergung der toten Flüchtlinge noch an der Autobahn sei nicht möglich gewesen, sagte Helmut Marban, der Sprecher der Landespolizeidirektion Burgenland. Die Staatsanwaltschaft nahm inzwischen nach eigenen Angaben Kontakt zu den ungarischen Strafverfolgungsbehörden auf. „Wir werden nichts unversucht lassen, den Fahrer und seine Hintermänner auszuforschen und das Verbrechen aufzuklären“, versicherte der leitende Staatsanwalt Johann Fuchs.

Die Grafik zeigt den Fundort des abgestellten Lkw in Österreich. In dem Anhänger wurden dutzende tote Leichen von Flüchtlingen gefunden.
Die Grafik zeigt den Fundort des abgestellten Lkw in Österreich. In dem Anhänger wurden dutzende tote Leichen von Flüchtlingen gefunden.
© AFP

Am späten Donnerstagvormittag entdeckte die Polizei in einer Pannenbucht auf der Ostautobahn etwa 50 Kilometer südlich von Wien einen Kühlwagen, aus dem Leichengeruch strömte und Verwesungsflüssigkeit tröpfelte. Bei der Öffnung des 7,5 Tonnen-Lkw machten die Polizisten die grausige Entdeckung eines Leichenberges. Der Lkw stand offenbar bereits mindestens 24 Stunden an der Stelle.

"Wir können keine konkreten Angaben über Ursache oder Herkunft machen. Wir gehen aber davon aus, dass es Flüchtlinge sind", sagte Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil. Ein Sprecher des Innenministeriums in Wien sagte, „es ist ein Lastwagen voller Leichen“. Der Fahrer ist verschwunden. Nach den Schleppern werde mit Hochdruck gefahndet. Weitere Details will die Polizei auf einer für elf Uhr geplanten Pressekonferenz am Freitag bekanntgeben.

Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann wie auch Kanzlerin Angela Merkel zeigten sich auf der Westbalkan-Konferenz in Wien schockiert über den Vorfall. "Wir sind alle erschüttert von der entsetzlichen Nachricht", sagte Merkel. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte, sie hoffe, dass der Vorfall die Mitgliedstaaten endlich dazu bewege, eine gemeinsame Antwort für den Umgang mit den wachsenden Flüchtlingszahlen zu beschließen. "Denn jeden Tag riskieren wir eine Tragödie, entweder auf See oder auf dem Land."

Beim Eintreffen der Polizei tropfte Verwesungsflüssigkeit aus dem LKW

Der Lastwagen war einem Mitarbeiter des Streckendienstes Asfinag aufgefallen. Der Mann war an der A4 mit Mäharbeiten beschäftigt, als er auf das Fahrzeug aufmerksam wurde. "Ihm ist aufgefallen, dass es dort raustropft", sagte ein Sprecher der Asfinag. Der Mitarbeiter habe "richtig und schnell reagiert und die Polizei informiert". Der Fundort befindet sich in der Nähe der ungarischen Grenze.

Täglich strömen Tausende Flüchtlinge über Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn weiter nach Westeuropa. Die meisten davon stammen aus Syrien.

Die Tatortarbeit nach dem Tod der Flüchtlinge werde Tage dauern. Das sagte Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität und des Menschenhandels im österreichischen Bundeskriminalamt.

Zudem sucht die Polizei Zeugen im Zusammenhang mit dem Abstellen des Lasters in einer Pannenbucht bei Parndorf (Bezirk Neusiedl am See). Zum Zustand der Leichen wollte Tatzgern keine Angaben machen. Jedenfalls würden die Toten auch dahin gehend untersucht, ob Fremdeinwirkung im Spiel war.

Bereits am 21. August war ein Schlepperfahrzeug auf der Autobahn in Österreich in eine Leitplanke geprallt. Bei dem Unfall wurden 24 Menschen verletzt. Die Kronenzeitung berichtet, die Polizei habe erst am Donnerstagvormittag bekannt gegeben, dass am Dienstag drei Schlepper gefasst worden waren. Einer von ihnen hatte in einem Kastenwagen 34 Flüchtlinge über die Grenze nach Österreich gebracht.

"Diese Tragödie macht uns alle betroffen", betonte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). "Schlepper sind Kriminelle. Und wer jetzt noch immer meint, dass es sanftmütige Fluchthelfer sind, dem ist nicht zu helfen".

In diesem Lkw auf der Autobahn 4 in Österreich sind am Donnerstag dutzende tote Flüchtlinge gefunden worden.
In diesem Lkw auf der Autobahn 4 in Österreich sind am Donnerstag dutzende tote Flüchtlinge gefunden worden.
© dpa

Die Ressortchefin kündigte verstärkte Kontrollen in den internationalen Zügen und im grenznahen Raum an. "Wichtig ist uns auch, dass so rasch als möglich die gesetzlichen Änderungen im Kampf gegen Schlepper vorgenommen werden. Ich hoffe, dass das am 1. Oktober bereits passiert." Es sei wichtig, dass nicht nur Österreich mit Härte gegen Schlepper vorgeht, sondern auch die anderen 27 EU-Staaten. Es sei wichtig, so rasch als möglich EU-Außenstellen zu schaffen, damit die Flüchtlinge sofort Schutz bekommen. Mikl-Leitner sprach von einem "Signal an die europäische Ebene, so rasch wie möglich tätig zu werden".

De Maiziere fordert härteren Einsatz gegen Schlepperbanden

Damit unterstrich die Innenministerin die Forderung, die Österreichs Kanzler Werner Faymann und dem Vernehmen nach auch Kanzlerin Angela Merkel fast zeitgleich auf der Westbalkan-Konferenz erhoben. Dort hat das Flüchtlingsthema die geplante Bestandaufnahme und Verabschiedung gemeinsamer Infrastruktur-Projekte für die Länder des Westbalkans weitgehend in den Hintergrund treten lassen. An der Konferenz nehmen alle Regierungschefs der Staaten des ehemaligen Jugoslawien und auch der italienische Ministerpräsident Renzi sowie mehrere EU-Kommissare teil. Während der Konferenz gedachten die Teilnehmer der toten Flüchtlinge auf der A4.

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere forderte einen härteren Einsatz gegen Schlepperbanden gefordert. "Dass dort viele, viele Menschen ersticken, weil verbrecherische Schlepper an diesen Menschen und an den unwürdigen Transportbedingungen Geld verdienen, macht mich wütend und fassungslos", sagte der CDU-Politiker am Donnerstag in Nürnberg. Es komme jetzt zunächst darauf an, die Täter zu fassen. Wenn Deutschland dabei helfen könne, werde dies getan. Der Kampf gegen Schlepper müsse aber auch generell verstärkt werden. Zudem sprach sich der Minister dafür aus, schnellstmöglich EU-Aufnahmestellen in Italien und Griechenland einzurichten. Damit könne verhindert werden, dass die Flüchtlinge weiter auf Schlepper angewiesen seien. In diesen Stellen sollen die Flüchtlinge registriert und ihr Schutzbedarf geprüft werden. Sei dieser gegeben, müssten die Menschen auf alle EU-Staaten verteilt werden. Er hoffe, dass diese sogenannten Hotspots bis Jahresende funktionsfähig seine, sagte de Maiziere bei einem Besuch des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. (mit dpa, apa,)

Zur Startseite