"Tatort" Stuttgart: Mein Kollege, mein Kumpel
Vertauschte Rollen im ARD-Krimi: Die Kommissare kommen auf die Anklagebank. Hat Thorsten Lannert einen Geiselgangster zu Recht erschossen?
Die Guten werden die Bösen sein? Mal sehen. Die beiden Stuttgarter Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) sitzen bei der Anhörung. Lannert hat im Supermarkt den Räuber erschossen, der eine Geisel bedrohte. Jetzt prüft die Staatsanwaltschaft, ob der Polizist verhältnismäßig gehandelt hat. Eine Routineuntersuchung, eigentlich, nicht aber für die Anwälte Christian (Michael Rotschopf) und Sabine Pflüger (Caroline Ebner), die die Mutter des Toten engagiert hat. Die Juristen sehen im finalen Rettungsschuss einen klaren Fall von Polizeiwillkür und in der Aussage von Kommissar Bootz, wonach er zweifelsfrei gesehen habe, dass Lannert schießen musste, um das Leben der Geisel zu retten, den Versuch, diesen Übergriff zu vertuschen. Und der Zuschauer weiß da schon: Bootz hat bei der Anhörung gelogen, denn er hat den entscheidenden Augenblick nicht sehen können.
„Eine Frage des Gewissens“ heißt der 15. „Tatort“ um das Duo Bootz/Lannert - und der Fall ist im Stuttgarter Krimi wie im ARD-Krimi eine Überraschung: Die gewohnten Rollen werden umgekehrt - die Kommissare werden in die Zange genommen. Sönke Lars Neuwöhner, zusammen mit Sven Poser Autor der „Tatort“-Folge, sagt: „Ziehen wir unseren Helden doch mal ihre weißen Westen aus! Und schauen wir zu, wie sie sich schlagen, wenn ihnen ein starker Gegner gegenüber sitzt und sie befragt, wie sonst sie Verdächtige befragen.“
Der Fall bekommt mit der Überfallsequenz sein magnetisches Intro und mit dem anschließenden, dem ersten und beileibe nicht letzten Duell beim Staatsanwalt sein prägendes Fragezeichen. Es geht um die Wahrheit, es geht um die Loyalität zwischen befreundeten Polizisten, es geht um Gerechtigkeit. Die Autoren lassen wenig Zweifel, dass sie aufseiten der Kommissare sind und keineswegs Partei für die schneidigen Anwälte nehmen, obwohl sie ordentlich Druck auf die Polizisten ausüben. Denn da ist der dunkle Fleck, die Falschaussage, noch dazu hat Bootz die wesentliche Belastungszeugin nach ihrem erstem Auftritt beim Staatsanwalt aufgespürt: Er findet Alice
Gebauer (Luise Berndt) angeschossen in ihrer Wohnung, sie stirbt. Jetzt gerät Bootz unter Druck, als Polizist hat er einen schweren Fehler gemacht, egal, ob er Lannert entlasten wollte oder nicht. Und Bootz bietet Angriffsfläche, nach seiner Scheidung treibt er tiefer und tiefer in eine, seine persönliche Krise.
Anwälte gegen Kommissare, Kommissar gegen Kommissar
Dieser „Tatort“ hat so seine Spannungs-Helix: Anwälte gegen Kommissare, Kommissar gegen Kommissar. Aber was ein Duo mit der Erfahrung von Dick und Dünn ist, das fasst sich gegenseitig am Schopf – und zieht. Und warum ist Ali
ce Gebauer beim Betreten des Büros der Staatsanwaltschaft so erschrocken? Die Autoren legen ein feines Puzzle aus, nur hier und da und Ende von schrillem Muster, weil leicht panisch zusammengesetzt, damit die Fahndung zügig vorankommt und rechtzeitig ins Ziel findet.
Till Endemann verzichtet bei seiner Regie auf Experimente, er setzt die Eruptionen der Handlung ins passende Verhältnis zu den Emotionen, die sie auslösen. „Eine Frage des Gewissens“ ist keine Frage des fragwürdigen Stils, dafür sind Inszenierung und Kamera (Jürgen Carle) zu stimmig. Der Krimi verzichtet auf Überwältigung, er weiß zu überzeugen. Richy Müller als Thorsten Lannert ist gleichermaßen wie Felix Klare (Sebastian Bootz) von individueller Reifeklasse. Sie verstecken ihre Figuren nicht hinter schauspielerischen Mätzchen und Macken, sie zeichnen Subjekte in Momenten von Anspannung, Anpassung, Affekt. Dieser Krimi ist ein Krimi von menschlicher Größe.
Was auch daher rührt, dass die Figuren auf der kriminellen und der Anwaltsebene keine Seelen aus Plastik haben. Luise Berndt (Alice Gebauer), Caroline Ebner (Sabine Pflüger) oder Michael Rotschopf (Christian Pflüger) kodieren Verzweiflung und/oder Härte zu glaubwürdigen Haltungen. Der Mensch ist sein Gewissen – in Gegenwart und Vergangenheit.
„Tatort: Eine Frage des Gewissens“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15