Sky-Serie "Patrick Melrose": Benedict Cumberbatch spielt den Selbstzerstörer
Als „Patrick Melrose“ gibt Benedict Cumberbatch erneut einen Exzentriker voller Abgründe.
Ob das Fernsehen sein Publikum ernst nimmt oder auf die leichte Schulter, das zeigt sich oft in Details. „Patrick Melrose“ zum Beispiel ist schon lang in Gange, als die Serie kurz stutzig macht. Was bitteschön, denkt man sich tief im ersten von fünf Teilen, schleppt die Hauptfigur da für einen Klotz von Röhrenbildschirm zur Badewanne seiner Luxussuite? Anders gefragt: Warum pflegt die Eigenproduktion von Sky und Showtime plötzlich diesen Vintage-Look? Überraschende Antwort: Es ist gar kein Vintage-Look! Die Szene spielt zu einer Zeit, als TV-Apparate halt klotzig waren statt flat wie Laptops. Ein größeres Kompliment kann man dem Fernsehen von heute kaum machen, wenn es Epochen von gestern inszeniert.
Denn dieses fantastische Format um einen adligen Snob, den die Reise zum toten Vater nach New York ins Herz der Finsternis seiner englischen Existenz führt, beginnt 1982. Es ist ein popkulturell ausdrucksstarkes Jahrzehnt, visuell und stilistisch so prägnant, dass viele Filmemacher beim Nachbau zur Materialschlacht maximal authentischer Settings neigen. Besonders hierzulande frisst Form da notorisch den Inhalt. Edward Berger aus Wolfsburg jedoch schert sich nur am Rande um Äußerlichkeiten. Den Hang zur präzisen Ausstattung hat er mit „Deutschland 83“ zwar hinlänglich bewiesen; in „Patrick Melrose“ jedoch geht es ihm spürbar um mehr als Wählscheibentelefone und VW-Käfer.
Ein Mix aus Genie und Wahnsinn
Es geht ihm ums Ganze.
Und dafür hat er den richtigen Hauptdarsteller gefunden. Wie in „Sherlock“ verkörpert Benedict Cumberbatch auch diesen Exzentriker in einem Mix aus Genie und Wahnsinn. Nach den Romanvorlagen des uraltadligen Schriftstellers Edward St. Aubyn spielt der eigensinnige Bühnenberserker einen heroinabhängigen Tunichtgut blaublütiger Herkunft, der alles spritzt, schluckt, raucht und schnupft, was auch nur nebenwirksam von der Leere seines miserablen Daseins als Sohn reicher Eltern ablenkt. Und vom ersten Moment dieses grandiosen Fünfteilers an wandelt Cumberbatchs bipolare Figur zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt durch die Betten, Rinnsteine und Salons, als hätte er die Substanzen des permanenten Rauschzustandes auch privat schon mal probiert.
Schon der reine Schauwert dieses autoaggressiven Selbstzerstörungsprozesses böte also genug Tragikomik für mehrere Episoden, eine Art „Dirk Gently's“ auf Heroin, „Trainspotting“ ohne Kneipenklotauchgang. Doch „Patrick Melrose“ hat mehr zu bieten als die exzessive Schilderung einer Drogenkarriere in Saus und Braus. Für Tiefe sorgt nämlich der Ursprung seines Dauerabsturzes. Als der Antiheld gleich zu Beginn erfährt, er solle die Asche seines verstorbenen Vaters aus den USA nach England holen, enthüllt das brillante Drehbuch von David Nicholls Schicht für Schicht, wie Patrick Melrose 1967 zum soziopathischen Wrack werden konnte, das er 15 Jahre später ist: Sein Vater hat ihn als Kind missbraucht.
Doch anstatt daraus nun ein Rührstück über sexuelle Gewalt zu machen, das dem Zuschauer bloß moralinsaures Futter für die eigene Erhabenheit liefert, zeichnen Berger und Nicholls das Porträt einer Gesellschaft, deren Machtverhältnisse vor 50 Jahren unzählige Ruinen wie Patrick Melrose hervorgebracht haben. Millionenfach. Als Familienpatriarch David gibt Hugo Weaving („Matrix“) dabei den Imperator eines französischen Landguts, der seine Frau (Jennifer Jason Leigh) mit distinguierter Selbstgerechtigkeit zur drogenumnebelten Realitätsverdrängung treibt, die sie unvermeidbar an den missbrauchten Patrick weitergibt.
Zurück in die aseptischen Achtziger
Im zweiten, dem flowerpowerbunten Teil wird so die Saat eines Daseinsversagens in den aseptischen Achtzigern gesät, das wechselnde Affären von Allison Williams („Girls“) bis Jessica Raine („Ruf des Lebens“) allenfalls für den Augenblick mal mildern. „Hast du Drogen genommen?“, fragt ihn seine spätere Ehefrau Mary (Anna Madeley) mal nach dem nächsten Absturz besorgt. „Nur die ganze Nacht Koks und Heroin geschossen, zählt das?“, entgegnet er kalt und kriegt darauf „Oh Patrick, war das eine gute Idee?" zu hören. Seine Replik: „Können wir uns in der Zukunft darauf einigen, dass das keine gute Idee ist?“ Diese Simulation eines Dialogs mit Fragezeichen kennzeichnet den ganzen Fünfteiler. Erlösung ist nicht in Sicht. Unterhaltung schon. Es macht ihn zum Ergreifendsten und Besten, was das fiktionale Entertainment dieses Jahr bereithalten dürfte. „Patrick Melrose“, Sky 1, ab Dienstag eine Folge pro Woche um 20 Uhr 15
Jan Freitag
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