Medien in der Coronakrise: Auf Regierungslinie, aber nicht unkritisch
Die Medien wurden für ihre Corona-Berichterstattung teils heftig kritisiert. Zwei Studien haben untersucht, ob die Kritik berechtig ist.
Die Medien wurden für ihre Berichterstattung über die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu deren Eindämmung streckenweise ebenso heftig kritisiert wie die Politik. Doch wie sehr waren die Medien tatsächlich auf Regierungskurs? Wurden die Maßnahmen der Politik wirklich unreflektiert und somit unkritisch übernommen, wie vielfach moniert wurde?
Zwei aktuelle Studien, die von der Rudolf Augstein Stiftung in Auftrag gegeben wurden, geben durchaus erhellende Antworten auf diese Fragen.
Die empirische Untersuchung „Einseitig, unkritisch, regierungsnah?“ von Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Ludwig-Maximilians-Universität München hatte die Qualität der journalistischen Berichterstattung anhand von elf Leitmedien untersucht, darunter „FAZ, „Süddeutsche Zeitung“, „Bild“, t-online.de sowie die Fernsehnachrichten von ARD, ZDF und RTL. Über 5000 Beiträge zwischen Januar 2020 und April 2021 wurden ausgewertet.
[Die beiden, von der Rudolf Augstein Stiftung in Auftrag gegebenen Studien können von der Webseite der Stiftung heruntergeladen werden]
Zu den Auffälligkeiten gehört, dass es zwischen der Intensität der Berichterstattung und dem tatsächlichen Infektionsgeschehen nur einen losen Zusammenhang gab. Zwar folgte die Häufigkeit der Berichte in etwa den drei Corona-Wellen, doch so viel wie in der ersten Welle wurde später nie wieder berichtet.
Die zweite Auffälligkeit betrifft die Akteure: In der Berichterstattung dominierten Politiker mit Regierungsverantwortung, die Opposition spielte eine untergeordnete Rolle. Bei den Wissenschaftlern wurden vor allem Epidemiologen/Virologen und Physiker befragt, Politologen oder Soziologen hingegen kaum. Bürger und Betroffene hingegen kamen so gut wie gar nicht vor. Entsprechend wurden die Maßnahmen der Regierung als „sehr angemessen“ bewertet – mit abnehmender Tendenz.
Und noch etwas fällt auf: Mit zunehmender Dauer der Pandemie konzentrierte sich das Medieninteresse vor allem auf Karl Lauterbach. Wie stark der SPD-Politiker zum Gesicht der Pandemie wurde, zeigt auch die zweite Studie von Freier Universität Berlin und der australischen Victoria University of Wellington mit dem Titel „Corona-Sprechstunde mit Maybrit Illner, Anne Will & Frank Plasberg“.
Karl Lauterbach: Das Gesicht der Pandemie
Per Inhaltsanalyse wurde ermittelt, ob ausgewählte Polit-Talkshows „parteilich und oberflächlich oder ausgewogen und informativ“ waren. Untersucht wurde der Zeitraum Januar 2020 bis Juli 2021. 22 Mal wurde Karl Lauterbach in dieser Zeit in die Talkrunden eingeladen, andere Politiker wie Olaf Scholz oder Markus Söder kommen „nur“ auf zwölf Einladungen. Wobei Lauterbach als Epidemiologe sowohl den 77 Wissenschaftlern als auch den 67 Politikern zugerechnet werden konnte.
Auffällig ist auch in den Talkshows das Übergewicht an Politikern, die direkt auf Bundes- oder Landesebene Entscheidungen treffen. So lässt sich erklären, warum die Corona-Maßnahmen in den betrachteten Polit-Talks zu 68 Prozent positiv bewertet wurden – wenn auch hier mit zeitlich abfallender Tendenz, wie FU-Wissenschaftler Thorsten Faas am Montag in einer Veranstaltung der Augstein-Stiftung referierte.
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Aber heißt das automatisch, dass die Medien regierungsnah und unkritisch sind? Marcus Maurer von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz verweist auf die Bewertung der Kompetenz der Akteure: Bei der Wissenschaft fällt diese zu 75 Prozent positiv aus, bei der Politik hingegen zu 70 Prozent negativ. „Niemand soll sagen, die Berichterstattung war unkritisch. Das stimmt tatsächlich nicht“, resümierte er. Zudem attestiert die Untersuchung den Medien eine insgesamt sachliche Berichterstattung, mit deutlichen Unterschieden. „Tagesschau“ und „FAZ“ standen auf der sachlichen Seite, während „Bild“ und „Welt“ die Pandemieberichterstattung mit mehr Emotion verknüpften.
Nicht vorhandene Sicherheit vermittelt
Eine offene Flanke der Medien in der Pandemie hat damit zu tun, dass die Unsicherheiten wissenschaftlicher Prognosen oft nicht vermittelt wurden – auch um eine Verunsicherung des Publikums zu vermeiden. Dass viele Medien zugleich vergangene Prognosen überwiegend als unzutreffend kritisierten, sollte hingegen zum Nachdenken anregen.
In dieser Frage sah „FAZ“-Wissenschaftsjournalistin Sibylle Anderl Verbesserungspotenzial. „Wissenschaft bedeutet immer auch, mit Unsicherheiten umgehen zu müssen.“ Für den Journalismus sei wichtig, dass auch in der Pandemie nichts unhinterfragt übernommen. Es müsse kommuniziert werden, wenn es sich um Prognosen handelt.
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Rafaela von Bredow, Wissenschaftsjournalistin des „Spiegel“, bezeichnete den Umgang der Medien mit der Pandemie als „Sternstunde des Wissenschaftsjournalismus“. Die Frage, ob und wie regierungsnah berichtet worden sei, nennt sie „eigentümlich“. „Wir können nichts dafür, wenn die Politiker den Empfehlungen aus der Wissenschaft nachkommen, die wir Medien vermittelt haben. In Wahrheit haben nur Politiker und Journalisten die Wissenschaftler ernst genommen.“
Der Journalist Jakob Augstein, zugleich Vorstand der Rudolf-Augstein-Stiftung, sieht in der Corona-Krise ein Lehrstück für die Klimakrise. Der Umgang mit diesen Krisen zeige, wie gut das Dreieck zwischen Politik, Wissenschaft und Medien funktioniert. Die beiden Studien sollen jedenfalls fortgeführt werden.
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