Studie der Otto-Brenner-Stiftung: Konstruktiv berichten allein reicht nicht
Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung zeigt am Beispiel der Corona-Pandemie, wie lösungsorientierter Journalismus aussehen sollte.
Eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung analysiert Beispiele konstruktiver Berichterstattung während der Corona-Pandemie. Die Autoren sehen Potenziale für mehr Dialog, kritisieren aber auch eine drohende Déformation professionelle für den journalistischen Berufsstand.
Was macht Corona mit den Medien – und warum? In den vergangenen Monaten hat es viel Anlass zur Kritik an den phasenweise gleichförmigen Berichten gegeben: Die konkrete Umsetzung der Corona-Maßnahmen steht beispielhaft dafür, aber auch, dass der Staat der Automobil-, Luftfahrt- und Reiseindustrie in der Krise zur Seite gesprungen ist, während die strukturellen Ursachen der sozialen Spaltung weitgehend unhinterfragt bleiben. Die Pandemie war aber auch für die Medien selbst ein Beschleuniger – im Guten wie im Schlechten: nicht nur in puncto Talfahrt ihrer Umsätze, sondern auch für den Zuwachs neuer Nutzergruppen.
Nie war das Interesse an Nachrichten auf allen gesellschaftlichen Ebenen größer. Trotz – oder vielleicht: gerade wegen der anhaltenden Medienkritik hat sich im Zuge des „Corona-Bumps“ eine neue Medienbewegung etabliert, die sich der Suche nach Lösungsansätzen widmet. Nicht weichspülen will der sogenannte Konstruktive Journalismus, sondern engere Beziehungen zwischen Redaktion und Publikum knüpfen. Ergebnisorientierter, transparenter, dialogischer, auch um die zunehmende Polarisierung in der Debattenkultur einzudämmen.
[ Die Studie „Konstruktiv durch Krisen? Fallanalysen zum Corona-Journalismus“ der beiden Medien- und Kommunikationswissenschaftler Leif Kramp und Stephan Weichert erscheint am 27. Oktober 2021 bei der Otto-Brenner-Stiftung]
Adrian Feuerbacher, seit 2020 Chefredakteur des NDR Hörfunks, äußert sich in unserer Studie dazu, wie die Pandemie den lösungsorientierten Medien dezidiert Vorschub leistete: „Ganz ohne Zweifel hat eine Fülle von Redaktionen und Journalisten im Angesicht dieser Pandemie damit begonnen, ein großes Gewicht auf mögliche Lösungen zu legen.“ Er selbst betreibe „seit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 eigentlich fast nichts anderes: Wir berichten über die Suche nach, über die Beschäftigung mit, die Analyse von und die Debatte über mögliche Lösungen.“ Aber wozu braucht es überhaupt konstruktiveren Journalismus?
Gegenentwurf zum herkömmlichen Journalismus
Die Bewegung versteht sich als eine Art Gegenentwurf zum herkömmlichen Geschäft, weil sich während Krisen die Negativschlagzeilen zu übertrumpfen drohen. Dies führt beim Publikum langfristig zu depressiven Verstimmungen: Hoffnungslosigkeit, Desorientierung und Ohnmachtsgefühle treten als Folgen klassischer Krisen-News auf. Es ist empirisch nachgewiesen, dass sich aus diesem Grund auch immer mehr, vor allem jüngere Nutzer vom Nachrichtengeschehen abwenden. Lösungen ausfindig machen, Wendepunkte konstruktiver zu bewerten und auch Neuperspektivierungen zu formulieren, sollen Abhilfe schaffen. Das allerdings bedeutet für viele Journalisten einen Vorstoß aus ihrer gewohnten Komfortzone.
Der konstruktive Ansatz will nun durch differenziertere Recherchen, bei denen Lösungen von Missständen gleich mitgedacht werden, einen alternativen Blick eröffnen. Medienhäuser, die diesen Ansatz schon praktizieren, wollen zudem festgestellt haben, dass eine konstruktive Berichterstattung beim Publikum eher verfängt, dass sich die Menschen etwa in produktivere Dialoge mit den Redaktionen einbinden lassen. „Die Zeit“ macht seit vielen Jahren vor, wie sie mit der Gesprächsreihe „Deutschland spricht“ Menschen mit unterschiedlichen politischen Weltanschauungen zu konstruktiven Dialogen zusammenführt – ohne dies allerdings als Teil einer konstruktiven Strategie auszuflaggen. In der Pandemie überzeugte die Hamburger Wochenzeitung indes durch eine ausbalancierte Tonalität ihrer Aufmacherthemen, reflektierte Rekonstruktionen der Krisengeschehnisse und ausbalancierte Meinungsartikel, die Kontext und Zukunftsorientierung boten. All dies wurde mit einem Rekordauflagenzuwachs belohnt.
Um derlei Vorgehensweisen und Strategien zu durchleuchten, haben wir für unsere Studie „Konstruktiv durch Krisen?“ verschiedene Nachrichtenangebote von „Apotheken Umschau“ über NDR Info und „Krautreporter“ bis zum ZDF in den entscheidenden Phasen der Corona-Berichterstattung analysiert, die sich im Feld des konstruktiven Journalismus verorten lassen.
Die Schattierungen dieser Spielart sind, wie sich an unseren analysierten Fallbeispielen zeigt, vielfältig und zuweilen schillernd. Die journalistische Startup-Gründerin Astrid Csuraji aus Lüneburg gibt an, dass die Pandemie vor allem im Lokaljournalismus zu einem Sinneswandel geführt habe: „Corona hat bewirkt, dass sich Redaktionen vor allem auf die Informationen konzentrieren, die die Leute wirklich brauchen, also: Inzidenzwert? Hat die Schule noch auf? Darf ich einkaufen gehen? Gerade Lokalredaktionen hatten sofort richtig im Blick, was die Menschen wissen wollten, weil die Journalisten vor Ort in derselben Situation steckten.“
Die Pandemie als Innovationstreiber
Die Corona-Pandemie habe somit im Lokal- und Regionalzeitungsbereich viel Innovatives angestoßen, sagt Csuraji: „So sind Visualisierungen komplexer Daten und das Online-First-Prinzip mittlerweile gang und gäbe. Gleichzeitig hat die wirtschaftliche Verunsicherung bei vielen Kolleg:innen zugenommen. Die Krise hat dahingehend also mindestens zwei Seiten.“
Nicht zu leugnen ist auch, dass – offenbar unter dem Druck der angespannten Wirtschaftslage und dank des wachsenden Orientierungsbedürfnisses der Menschen – redaktionelle Angebote aktivistische Züge kultivierten – in offener oder verdeckter Form: Etwa in Gestalt einer gezielten Agenda, die beinahe programmatisch anmutet wie bei der ZDF-Reihe „plan b“ oder, wie bei der „Berliner Morgenpost“, in dem sehr persönlichen Coaching-Podcast von Hajo Schumacher und Ehefrau Suse mit beigefügter Anleitung zum Glücklichsein für deren Hörer.
In extremer Weise hat den aktivistischen Journalismus seither das Magazin „Stern“ praktiziert – für eine vermeintlich „gute Sache“: Die redaktionelle Linie in der Corona-Krise wanderte auf einem äußerst schmalen Grat zwischen Aktivismus und Kampagnenjournalismus – es gab Titelgeschichten mit der Fridays-for-Future-Bewegung, zur Pflegepetition und zum Impfen. Kritiker monierten: Die Grenzen zwischen Journalismus und Aktivismus seien im freien Fall.
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Der „Stern“ ist damit transparent umgegangen. Wir halten es demgegenüber für bedenklich, wenn solcherlei Journalismus in seiner Positionierung intransparent bleibt. Kritikwürdig ist der konstruktive Ansatz nämlich überall dort, wo es zu einer Vereinfachung oder Umdeutung der Wirklichkeit in Form positiver Schematisierung kommt. Auch weil sich beim Publikum der Eindruck einstellen könnte, das nachrichtliche Weltgeschehen sei tatsächlich „nur halb so schlimm“. Das Risiko besteht darin, dass Journalisten bei der aktiven Suche nach Lösungen in die Falle des autoritären Moralismus laufen können, indem Meinungen vorgekaut und Nutzer bevormundet werden, was moralisch richtig ist oder wie wir als Gesellschaft zu leben haben.
Was muss getan werden, die Welt zu einem besseren Ort zu machen? Wie sollten wir uns den herausfordernden Problemen der Gegenwart wie Klimawandel, sozialer Gleichheit und Rassismus stellen? Wie müssen die Menschen hoch relevante Themen wie Gerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit als Folgen der Pandemie bewerten? Solche Fragen rahmen nicht selten das Vorgehen, aber auch das Spektrum konstruktiver Medienangebote. Mitunter drohen sie sogar, das journalistische Neutralitäts- und Objektivitätsgebot in sein Gegenteil zu verkehren.
Mehr Einordnung gegen die Polarisierung
Konstruktiver Journalismus hat somit auch die Debatte um eine „Haltung“ verschärft, weil sich zugleich das Lagerdenken innerhalb der Medien durch die anhaltende Corona-Phase zugespitzt hat – und damit die Polarisierung auf Publikumsseite. Wir wissen heute nicht nur, dass in der Berichterstattung nicht immer alle der unterschiedlichen Befindlichkeiten und Sichtweisen auf die Pandemie wiedergegeben wurden. Klar ist auch, dass es zuweilen einer stärkeren Einordnung bedurft hätte. Mitunter drängte sich der Eindruck auf, Debatten würden verengt, abseitige Meinungen ignoriert oder über soziale Medien abgestraft. Ein Desaster für den demokratischen Diskurs. Das galt und gilt im Hinblick auf die Lösungswege zur Virus-Bekämpfung genauso wie den Umgang mit den politischen und gesellschaftlichen Folgen.
Niemand kann ernsthaft wollen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die Ambivalenz konstruktiver Ansätze ist somit klar erkennbar. Wir kommen deshalb zu dem Schluss, dass sich konstruktiver Journalismus dann lohnt, wenn er professionell betrieben wird, indem er
1. aktivistische Tendenzen in Sonderformen und -formaten transparent macht,
2. mit seiner Fokussierung auf Lösungen und Perspektiven authentisch bleibt und keine ‚Positivschere im Kopf‘ begünstigt,
3. zum Wohle einer konstruktiven Debattenkultur auf Augenhöhe mit dem Publikum weiterentwickelt wird,
4. in Form von Rubrizierungen oder Kolumnisierungen nicht ghettoisiert wird und
5. sich bei der – kritischen – Einordnung und Erarbeitung von Lösungen auf recherchierte Fakten und solides Expertenwissen stützt.
„Bio kaufen allein reicht nicht“, hieß es in einem Graffito in Berlin-Mitte als Kommentar zum Engagement gegen die Klimakrise. Analog könnte man für den an Lösungen interessierten Journalismus formulieren: „Konstruktiv berichten allein reicht nicht.“ Es sollte darum gehen, die Experimente der vergangenen Jahre in ein ganzheitliches Konzept zu überführen, das die genannten Empfehlungen berücksichtigt. Nur das kann eine Déformation professionelle im Journalismus vermeiden, die möglicherweise dazu führt, dass sich weitere Bevölkerungsteile von den professionellen Medien abwenden, weil sie ihnen keinen Glauben mehr schenken.
Resilienter durch Medien?
Im besten Fall halten die Medien unsere Welt in Krisen zusammen. Sie leisten Impulse, um Wendepunkte zu verstehen, sie auch gesamtgesellschaftlich zu verarbeiten. Im schlechtesten Fall tragen sie zur sozialen Spaltung bei. Weil in jeder Krise eine Chance auf ein besseres Leben steckt, ein Aufruf, unsere Verhaltensweisen gründlich zu überdenken, können Medien Gesellschaften auch dabei unterstützen, resilienter zu werden. Dabei ist es keinesfalls ihre professionelle Aufgabe, Gesellschaft nach ihren persönlichen Vorstellungen zu gestalten. Der Journalismus könnte jedoch einen konstruktiven Resonanzraum für mehr Resilienz schaffen, um so Krisen besser zu meistern. Die kritische Prüfung der Begleitumstände, Besonnenheit und auch Fürsorge, was die Nachrichtenlage angeht, sind dafür notwendige Bedingungen.
Mediennutzer müssen damit zurechtkommen, dass es nicht für jedes Problem eine Lösung gibt, genauso wie die Realität aus vielen Graustufen besteht. Sie ist komplex. Manchem mag das kompliziert erscheinen. Absolute Gewissheiten kann und wird es aber niemals geben. Mit dieser Unsicherheit umzugehen, gehört zu unserer Existenz. Den Menschen, die mehr denn je von Ängsten und Sorgen geplagt sind, zu erklären, was wirklich wichtig und was verzichtbar ist, macht das Vertrauen in den Journalismus aus. Darauf fußt seine ethische Verantwortung.
Stephan Weichert, Leif Kramp
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