Bestsellerautor Peter Wohlleben: „Man kann die Natur nicht kaputt machen“
Ständigen Alarmismus findet er ermüdend. Förster Peter Wohlleben über Kahlschlag im Nationalpark und warum Kiefernwälder ruhig mal abbrennen können. Ein Interview.
- Moritz Honert
- Torsten Hampel
Peter Wohlleben, 55, ist Förster und Autor. Bekannt wurde er durch seinen Weltbestseller aus dem Jahr 2015 „Das geheime Leben der Bäume“. Dessen deutsche Fassung erscheint gerade in der 40. Auflage und wurde nahezu 1,3 Millionen Mal gekauft. Am Donnerstag kommt der gleichnamige Dokumentarfilm in die Kinos.
Herr Wohlleben, der Römer Tacitus fand den deutschen Wald schauerlich, den Gebrüdern Grimm war er die Heimat von Wölfen und Räubern. Für die Leser Ihres Bestsellers „Das geheime Leben der Bäume“, der nun in die Kinos kommt, ist er ein grünes Paradies. Wie denn jetzt?
Für Tacitus war der Wald hier kein paradiesischer Ort, weil er den nicht kannte. Für die Germanen war er top. Die haben nur dummerweise nichts verschriftlicht. Ich würde sagen, das ist nach wie vor unser grünes Wohnzimmer. Die Verbindung zu den Bäumen muss irgendwo in uns angelegt sein.
Ja? Die Christen haben doch die Bäume der Germanen abgeholzt, und als der Romantiker Eichendorff im 18. Jahrhundert das „grüne Zelt“ besang, konnten die Menschen, die im Wald wohnten, damit überhaupt nichts anfangen.
Für die Kelten und Germanen waren Bäume heilig, an besonderen Stätten gab es besondere Bäume. Die Christen haben diese alten Eichen abgehackt und aus dem Holz Kapellen gebaut. Die wollten einfach nicht, dass Bäume angebetet werden. Was Eichendorff angeht: Das ist der klassische Stadt-Land-Konflikt. Wenn Städter rauskommen und sich aufregen, dass die Landbevölkerung etwas robust mit Natur umgeht, antworten die: Was wollt ihr Spinner? Wenn Sie in Hamburg einen Baum umhauen, zahlen Sie ein paar Zehntausend Euro Strafe, auf dem Land interessiert das keinen.
Sie bedienen mit Ihren Büchern also die romantische Ader naturfremder Städter?
Nicht nur. In meiner Waldakademie bilde ich Interessierte privat zu Waldführern aus. Da kommen auch Leute vom Land, die den Wald noch mal neu entdecken wollen. In der Stadt haben die Menschen absoluten Vorrang, aber auch das muss Natur nicht ausschließen. Ich habe mal Kanu-Urlaub in Berlin gemacht. 50 Meter vom Brandenburger Tor entfernt lief ein Fuchs durch den Tiergarten. Ihre Stadt hat die höchste Habichtdichte in Deutschland. Der Habicht ist ein Waldvogel!
International gesehen geht es dem Wald gerade nicht gut. In Brasilien wird gerodet, in Polen illegal gefällt. In Deutschland war 2019 das zweite Dürrejahr in Folge, in Sibirien und Australien wüten Waldbrände. Für Extinction Rebellion ist es bereits fünf nach zwölf. Sie sagen: „Die heile Welt gibt es noch.“
Gucken Sie sich mal um, für fünf nach zwölf finde ich es relativ gemütlich. Ich finde gut, dass es solche Alarmmeldungen gibt, das setzt ja was in Bewegung, aber wir wissen, das kann auch sehr ermüdend sein. Man kann Natur nicht kaputt machen. Sie kriegen unsere ökologische Nische kaputt, aber den Rest nicht. Der regeneriert sich. Ob das 10 000 Jahre dauert oder zehn Millionen, das ist der Natur wurscht. Die meisten verstehen nicht: Es geht bei Naturschutz weniger um die Natur als um den Schutz unserer Zivilisation.
Und den Zweck erfüllt ein Urwald besser als ein bewirtschafteter Wald?
Es gibt eine Studie von der Hochschule Eberswalde und dem Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung. Die haben über 15 Jahre hinweg in Deutschland die Oberflächentemperatur beobachtet und dabei festgestellt, dass die Differenz im Juli/August von Berlin zu einem alten Laubwald im Durchschnitt 15 Grad beträgt. Wenn es in Berlin 40 Grad sind, hat es in so einem alten Wald 25. Selbst Kiefernplantagen sind schon acht Grad wärmer als der alte Laubwald. Urwald ist viel stabiler. Durch die trockenen Sommer gehen vor allem die Plantagen kaputt.
So wie der Kiefernwald im brandenburgischen Treuenbrietzen, der 2018 abbrannte. Sie waren im Sommer 2019 da. Wie sah es dort aus?
Kiefernsetzlinge, so weit das Auge reicht, im Frühling 2019 gepflanzt. Das wird über Subventionen gesteuert. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat 800 Millionen Euro bereitgestellt, die Waldbesitzer wollten dort unbedingt eine neue Nadelholzplantage haben, weil sie sich davon schnelle Ernte versprachen. Nach dem vergangenen Sommer waren aber schon wieder 60 Prozent vertrocknet. Ironischerweise war die Fläche trotzdem grün. Was da jetzt stattdessen steht, sind Pappeln, deren Samen angeflogen kamen. Selbst unter widrigen Verhältnissen kommt Natur also zurück. Wir haben über 30 heimische Laubbaumarten, die das aktuelle Klima aushalten, wenn man sie einfach in Ruhe lässt.
Und warum lässt man sie nicht einfach?
Es verändert sich ja langsam was. Vor zwei Jahren hätte doch keiner gedacht, dass Grundschüler mal die Bundesregierung vor sich hertreiben. Das war doch eigentlich die „Generation Handy“. Doch dass da jetzt über Nacht ein komplett neues Bewusstsein entsteht, das wäre wohl zu viel verlangt.
Dass die Grünen in ihrem 40. Jahr zur Volkspartei aufsteigen, sehen Sie mit Freude oder Skepsis?
Mit großer Freude, ich wähle die, auch wenn die Grünen Fehler machen. Das ist einer der Gründe, warum ich nie in eine Partei eintreten würde. Ich möchte mir das Recht vorbehalten, sie zu kritisieren. Und wenn man in einer Partei ist, gibt es schon gewisse Zwänge. Das Thema Wald ist bei uns noch zu unreflektiert vom Lobbyismus geprägt. Deshalb versucht uns jetzt die Forstindustrie das Eingehen ihrer Plantagen als Klimakatastrophe zu verkaufen.
Es ist also gar nicht schade um die Monokulturen?
Es tut mir schon leid. Gerade bei kleineren Waldbesitzern stehen da Schicksale hinter. Die haben auf Rat der Forstverwaltung vor 50 Jahren Kiefern oder Fichten gepflanzt, teilweise sogar bis heute. Ich bin nicht schadenfroh. Aber ökologisch gesehen ist es keine Katastrophe, wenn es in Deutschland in 20 Jahren keine großen Kiefernforste wie zum Beispiel um Berlin mehr gibt.
Ihre Liebe gilt alten Wäldern wie dem Hambacher Forst, wo man Sie im Film mitprotestieren sieht. Wie viel Militanz braucht der Naturschutz?
Militanz braucht der Naturschutz gar nicht. Diese Sitzblockaden fand ich legitim. Ohne die wäre der Forst so nicht in die Schlagzeilen gekommen. Ich versuche es aber eher über Empathie. Das ist wie bei den Elefanten. Warum sollen wir die schützen? Fürs Klima sind die schädlich, da kommt hinten Methan raus und vorne CO2, die trampeln den Leuten die Felder platt. Aber das sind einfach schöne Tiere. Warum gibt es Aktionen gegen die Jagd auf Wale? Weil die uns leidtun.
Naturschutz aus Mitleid?
Das halte ich für einen stärkeren Antrieb, als mit der Brechstange ranzugehen.
Kritiker wie der Forstwissenschaftler Christian Ammer von der Universität Göttingen werfen Ihnen vor, Bäume mit Ihrer metaphernreichen Sprache unzulässig zu vermenschlichen.
Ich habe einfach das geschrieben, was ich auf meinen Führungen erzähle, und da breche ich das runter auf einfache Metaphern.
Sie sprechen von Liebesbeziehungen unter Bäumen, Bucheneltern, die sich um ihre Kinder sorgen …
Über meine Wortwahl kann man sich tatsächlich streiten. Ich kann da nur sagen: Ich bin kein Wissenschaftler, ich muss das nicht anders ausdrücken.
Keine Angst, dass Sie Esoterikern das Wort reden?
Da habe ich auch manchmal so meine Probleme. Ich versuche schon, von der konservativ-wissenschaftlichen Seite her zu argumentieren, so bin ich auch erzogen. Natürlich treffe ich gelegentlich Leute, die mir was von keltischen Baumhoroskopen erzählen oder mitteilen, was die Bäume ihnen für Botschaften senden, wenn sie sie umarmen. Damit beschäftige ich mich persönlich nicht. Andererseits: Menschen, die Bäume umarmen, machen definitiv nichts falsch.
Es geht aber nicht nur ums Gefühl. Der erwähnte Forstwissenschaftler hat eine Petition namens „Wissenschaft statt Wohlleben“ gestartet. Er übt auch fachliche Kritik, zum Beispiel an Ihrer Behauptung, Bäume derselben Art würden nicht um Licht und Wasser konkurrieren, sondern einander beistehen. Er spricht von einem Massensterben in den Wäldern.
Es gibt dazu Entgegnungen. Professor Pierre Ibisch aus Eberswalde zum Beispiel hat geschrieben, dass der Kritiker wohl die neuesten Studien nicht kenne. Man muss auch immer wissen, wo kommen die Leute her. Christian Ammer war lange Beamter einer staatlichen Forstverwaltung. Die wollen Holzverbrauch promoten. Er geht auch möglicherweise nach seiner Professur wieder dahin zurück. Alles in Ordnung. Aber die aktuelle Forschung gibt mir recht. In der Fachzeitschrift „Science“ stand erst wieder eine Meldung, dass der Stumpf eines Kauri, eines Nadelbaumes aus Neuseeland, über Jahrhunderte von den Nachbarbäumen miternährt wird.
Der Neurobiologe Frantisek Baluska, der im Grundsatz etliche Ihrer Ansichten teilt, ist skeptisch angesichts Ihrer Aussage, Bäume könnten hören, hätten eine Wahrnehmung. Sie schrieben Ihnen damit ein Bewusstsein zu.
Ganz im Gegenteil: Ich habe persönlich mit ihm gesprochen, und er teilt diese Ansicht. Pflanzen produzieren schmerzunterdrückende Substanzen. Das machen wir Menschen in Stresssituationen auch, um bei klarem Bewusstsein zu bleiben. In der „New York Times“ las ich von Untersuchungen, für die Pflanzen betäubt wurden, worauf sie die Produktion ebenjener schmerzunterdrückenden Substanzen einstellten. Macht ja keinen Sinn mehr, wenn man bewusstlos ist.
Der Historiker Yuval Noah Harari schreibt, dass Lernprozesse selbst bei Tieren nicht zwangsläufig mit einem Bewusstsein gleichzusetzen sind.
Ich finde, da wertet er Mitgeschöpfe stark ab. Er ist noch auf dem Zug unterwegs: oben Mensch, dann höheres Tier, niederes Tier, dann höhere Pflanzen, niedere Pflanzen. Das ist unwissenschaftlich und eher kulturhistorisch begründet.
Und doch fällt der Mensch die Pappel – nicht umgekehrt.
Wir haben heutzutage ein Riesenproblem – als Art. Wir sind möglicherweise nicht intelligent genug, um unser Überleben zu managen. Wären wir intelligenter, würden wir vielleicht leben wie die Pappeln, solidarischer, weitsichtiger. Was wir im Moment machen, sieht so aus: Wir verballern alles, und irgendwann reicht’s nicht mehr. Das wissen wir und machen trotzdem weiter. Ich glaube, wir sind einfach ein interessantes Experiment der Natur. Sie schaut mal: Bringt das was, dieser Mensch? Unser Prüfstein ist: Schaffen wir das von alleine, alles wieder runterzuregeln?
Im Film erklären Sie das massive Abholzen auch damit, dass Männer so in ihre Technik verliebt seien.
Die aktuell schwerste vollautomatische Holzerntemaschine, ein sogenannter Harvester, der in Thüringen läuft, wiegt 70 Tonnen. „Raptor“ heißt er, wie ein Raubsaurier. Da sind alle ganz stolz drauf. Es ist wirklich sehr männerlastig, interessanterweise haben die Forstleute das erkannt. Sie schieben jetzt bei PR-Aktionen oft junge Frauen in den Vordergrund.
Im Märchen war der Wald ja oft Heimat von Feen, Hexen, Elfen. Wieso ist er nun eine Männerdomäne?
Forstverwaltungen sind aus dem Militär entstanden, aus Jägerregimentern. Da standen Frauen einfach schon mal außen vor, das hat sich durchgezogen bis in die 1980er Jahre. Die meisten Forstverwaltungen heute sind überaltert, das heißt, die kommen fast alle noch aus Zeiten, wo man kaum Frauen eingestellt hat. In manchen Verwaltungen sehen Sie immer noch diese grün-geflochtenen Schulterstücke, da können Sie an den Eicheln ablesen, was derjenige für eine Besoldungsgruppe hat.
War der Wald denn früher so gefährlich, dass man sich da nur mit Flinte reintrauen konnte?
Im Gegenteil. Der Beruf des Försters stammt aus einer Zeit, in der die Allgemeinheit gefälligst draußen bleiben sollte aus dem Wald. Könige, Kaiser, Herzöge wollten da in Ruhe jagen.
Heute ist der Wald mehr Holz- als Fleischlieferant.
Unter der Hand sagen einem sogar Nationalparkleiter, dass sie Holz liefern müssen. Da wird abgeräumt, dass einem die Augen tränen. Nehmen Sie den Nationalpark Hunsrück: In Rheinland-Pfalz dürfen Sie als Privatwaldbesitzer maximal einen Hektar kahl schlagen, im Nationalpark haben sie vorletztes Jahr mehr als 100 kahlgeschlagen. Am Stück. Problematisch ist auch, dass das Holz in zunehmendem Maße verbrannt wird, um Ökostrom draus zu machen. Kürzlich haben 800 Wissenschaftler von Harvard, Oxford, Cambridge die EU-Kommission dringend gemahnt, Holz nicht mehr zum Verbrennen einzusetzen. Das ist schlechter für das Klima als Kohle.
Und dann sehen wir im Film, wie Sie mit einem holzbefeuerten Boiler Ihr Badewasser aufheizen?
Ja, und ich habe auch einen Tannenbaum. Aber das ist für mich wie Gemüse, nur dass man ihn nicht isst, sondern zwei Wochen ins Wohnzimmer stellt. Was ich sagen will, ist: Wenn wir jetzt auf die Bremse treten und die geschützte Waldfläche in Deutschland von 2,8 Prozent auf 20 Prozent erhöhen, können wir auf Dauer vielleicht sogar mehr Holz nutzen – gesunder Wald ist nun einmal produktiver. Dann haben wir immer noch Papier für Zeitungen, Holz für Möbel und können auch mal ein Kaminfeuer anmachen.