Langkawi: Im Reich der roten Adler
Die malaysische Insel Langkawi sieht friedlich aus. Das täuscht. Makaken, Greifvögel und Zikaden geben täglich ein tierisches Konzert.
Von allen Seiten stürzen sie herein. Über die Reling. Vom Dach. Aus dem Wasser und von den Bäumen. „Nicht schreien“, sagt der Tourguide mit gedämpfter Stimme, „sie denken sonst, dass wir kämpfen wollen.“ Affen! Das Boot ist geentert. Ihre Beute: die Wasserflaschen. Mit gezielten Bissen durchlöchern sie das Plastik, quetschen begierig den Inhalt in ihre weit aufgerissenen Mäuler. „Man sieht, wie wichtig in den Mangroven Süßwasser ist“, sagt Sharin Ayob, während er weitere Flaschen aufschraubt und deren Inhalt in die geifernden Münder schüttet.
Hier, eingebettet in der zerklüfteten Landschaft Langkawis, liegt das Reich der Makaken. Ein verschlungenes Gewirr von Stelzwurzeln. Mäandernde Läufe aus Brackwasser markieren ihre Reviergrenzen. So ergreifend das Bild der durstigen Affen auch sein mag, sie haben keinen guten Ruf. „Mafiosi“, nennt Ayob sie. Die kräftigen Tiere dringen selbst in die Hotelzimmer ein, öffnen Kühlschränke und Koffer. Es braucht nur einen Moment der Unachtsamkeit am Frühstückstisch, und eine kleine behaarte Hand hat den Zucker entwendet. An die Allgegenwärtigkeit der Natur müssen sich die Touristen auf der malaysischen Insel erst gewöhnen. Und die Primaten umgekehrt an die steigenden Besucherzahlen. Wissenschaftler stellten jüngst fest, dass der zunehmende Kontakt zu Menschen bei den Tieren zu Übergewicht und Bluthochdruck führt.
Die Mangroven sind auch Ayobs Reich. Er ist einer der zahlreichen Naturführer hier. Weiß, wo sich Stachelrochen füttern lassen. Auf welchen Ästen sich die Python sonnt. Und er weiß, wie leicht dieses Gleichgewicht gestört werden kann. Lange Zeit fütterten Touristen die rotbraunen Adler mit Fleischbrocken von Booten aus. Das gehörte dazu, schließlich ist der Name „Langkawi“ vom malaiischen Wort für die Raubvögel abgeleitet. Dann aber klappten diese ihre Schwingen zusammen und gaben die Jagd auf. Das Ökosystem geriet ins Wanken: Die Population der Vipern, die Lieblingsbeute der Adler, schnellte in die Höhe. Fischer wurden Opfer der potenziell tödlichen Bisse. Heute dürfen Besucher nur noch zuschauen, wie sich die Vögel ins Wasser stürzen.
Die Insel war lange verflucht
Als Ayobs Mutter ihn vor knapp 40 Jahren in der Inselhauptstadt Kuah gebar, war Langkawi ein vergessenes Fleckchen Erde am nördlichen Ende der Straße von Malakka, kurz vor der Grenze zu Thailand. Nur eine rostige Fähre verband das Eiland über die Meerenge mit dem malaysischen Festland. Fischer waren in der Regenzeit Reisbauern. Es reichte sonst nicht zum Leben.
Die Insel war verflucht. Jedes Kind auf Langkawi kennt die Legende. Einst hatten Verschwörer eine junge Frau namens Mahsuri des Ehebruchs bezichtigt. Und obgleich sie ihre Unschuld beteuerte, ließ sie der Herrscher der Insel hinrichten. Weißes Blut soll aus ihrer Brust geflossen sein, als der Dolch ihr Herz durchbohrte. Ein Zeichen ihrer Unschuld, glaubt man bis heute. Im Moment des Sterbens verfluchte Mahsuri ihre Heimat. Sieben Generationen lang sollte das Land unfruchtbar bleiben. Und tatsächlich: Erst die achte Generation schüttelte Mitte der 1990er Jahre den Fluch ab – und der Tourismus erreichte das Eiland.
Nur halb so groß wie Rügen ist Langkawi. Das Miniaturmodell eines tropischen Traums. Hochaufragende Kalksteinfelsen zeichnen sich gegen den milchigen Himmel ab, reißende Wasserfälle stürzen sich in den undurchdringlichen Regenwald. Feinkörnige Sandstrände, an die gemächlich die jadegrüne Andamanensee schwappt. An den Küsten huschen Sandkugelkrebse herum, vollbringen ihr Tagewerk, indem sie kleine Gänge graben. Wenige Stunden später ist alles von der Flut verschluckt. Die Gezeiten lutschen an den ausgewaschenen Granitfelsen wie der Urlauber am schmelzenden Eis.
Warum aber ereilte die Insel nicht ein ähnliches Schicksal wie etwa das thailändische Phuket? Liegt es daran, dass Partytouristen bislang für den Besitz von Drogen die Todesstrafe fürchten müssen und homosexuelle Handlungen weiterhin strafbar sind? Pilgern deshalb vor allem Naturliebhaber hierher, weil sie auf Langkawi nicht viel davon mitbekommen? Einwohner sagen: „Das ist das Verdienst des Meisters.“
Ein Banker wurde zum Pionier des Ökotourismus
Die Spur führt in den äußersten Nordwesten der Insel. Ganz am Ende einer sich dahinschlängelnden Straße liegt die Datai-Bucht. Laut „National Geographic“ beherbergt sie einen der zehn schönsten Strände der Welt. Und dort sitzt er. Ein Zopf hält das bereits ergraute Haar zurück. Ein freundlicher Blick über einem sanft lächelnden Mund. Irshad Mobarak heißt der Meister mit bürgerlichem Namen.
Schon als Kind schickte ihn sein Vater barfuß in den Regenwald und im Einbaum durch die Mangroven. Warum er später Banker auf dem Festland wurde, kann sich der Mittfünfziger bis heute nicht erklären. Wohl aber, was ihn zurückkommen ließ. Bei einer Schnorcheltour sah er das erste Mal die Farbenpracht der Korallenriffe. Als er auftauchte, wusste Mobarak: Ich bin auf einem Irrweg. Und er wurde zum Pionier des Ökotourismus auf Langkawi. Das war vor 25 Jahren.
Damals waren hier Strandurlaub und Shopping angesagt. Für ein bisschen Naturerlebnis baute das Tourismusministerium eine Seilbahn. Steil hinauf, im Winkel von 45 Grad. Weltrekord. Vom Meeresniveau auf den 700-Meter-Berg in wenigen Minuten. Weit unter dem Glasboden der Kabine schwanken die Wipfel der Urwaldriesen. Als wäre man selbst einer dieser Adler. Oben wartet die spektakuläre „Skybridge“, eine schmale Brücke zwischen zwei Gipfeln. Beeindruckend, doch Mobarak wollte näher dran.
Seit kurzem leitet er sein eigenes Naturzentrum. Vom Schreibtisch, der unter freiem Himmel auf einer Veranda steht, schweift der Blick über die Bucht bis hinüber nach Thailand zum einstigen Piratennest Tarutao, heute ein Nationalpark. In seinem Rücken der unberührte Regenwald. „Als natürlicher Schutzschild gegen die Invasoren aus dem Norden wurde er nie gerodet“, erklärt Mobarak. Mehr als die Hälfte von Langkawi ist noch von ihm bedeckt. Zwischen den bizarren Felsformationen darin erwartet man jederzeit, dass der Hals eines Dinosauriers auftaucht. Dabei gab es sie noch nicht, als diese Berge vor 500 Millionen Jahre entstanden.
Rund um die Uhr ertönt ein ohrenbetäubendes Konzert
Viele Hotelanlagen sind aus der Luft kaum zu erkennen, so geschickt fügen sie sich in das dichte Grün ein. Der malaysische Staat ließ die Betreiber für jeden gefällten Baum umgerechnet mehrere tausend Euro zahlen. „Da haben sie sich gut überlegt, wie viele sie stehenlassen“, sagt Mobarak. Die strengen Umweltauflagen auf Langkawi werden mit ungewöhnlichen Maßnahmen erfüllt. Als sich der Naturforscher in jungen Jahren einmal durch das Unterholz zum Strand durchschlug, stand er plötzlich vor einem Elefanten. Er war eigens für die schonenden Baumfällarbeiten von Thailand eingeschifft worden.
Es ist schwierig, ein Gespräch mit dem „Meister“ zu führen, immer wieder legt er den Finger auf den Mund, wirbelt herum, legt seinen Kopf in den Nacken und formt obskure Laute. Er imitiert das durchdringende keek-keek-keek des Beos, das raue, krächzende chääk des Türkisracken oder das liebliche cheeup-cheeup-cheeup des Schneidervogels. Und die Tiere antworten. Man müsse nur aufpassen, dass man es nicht übertreibe. Die gefiederten Originale könnten verängstigt vom menschlichen Organ ihr Revier aufgeben.
Kaum zu glauben, ertönt hier doch rund um die Uhr ein ohrenbetäubendes Konzert. Je nach Tageszeit treten dabei verschiedene Solisten in den Vordergrund. Doch den penetranten Grundton bestimmen die Zikaden, deren Zirpen die Lautstärke eines Düsenjets erreichen. Lachend berichtet Mobarak von Touristen, die nach Langkawi kämen, und sich nach der ersten Nacht über den durchdringenden Feueralarm beschwerten. „Man muss sich auf die Insel einlassen.“
Das schönste Ereignis sei die Hochzeit der Adler
Begünstigt durch das große Durcheinander geologischer Formationen, hat sich eine unglaubliche Artenvielfalt entwickelt, die sich auf kleinstem Raum den Platz teilt. Auf einem Hektar, erklärt der Naturführer, sind mehr Tierarten zu finden als in ganz Europa.
Am 26. Dezember 2004, dem Tag des verheerenden Tsunamis, fiel den Naturführern auf, dass die Tiere des Waldes sich auf die mächtigsten Bäume zurückzogen. Raubvögel saßen neben Eichhörnchen. In friedlicher Eintracht angesichts der drohenden Gefahr. Auch weil die Menschen solche Warnungen lesen konnten, gab es hier keine Todesopfer zu beklagen.
Diese kleinen Wunder will Mobarak den Besuchern Langkawis vermitteln, ihnen erklären, warum die Geckos nicht von der Decke fallen und welchen Zweck die Bäume verfolgen, wenn sie die Affen mit ihren Früchten berauschen und abstürzen lassen. „Damit sie es nicht nochmal machen.“ Das schönste Ereignis aber, das diese Insel zu bieten hat, sei die Hochzeit der Adler. Wenn diese während der Paarung ineinander verkeilt in einen spiralförmigen Sinkflug gehen.
Eigentlich, sagt Mobarak, sei er einfach nur ein sehr passionierter Spanner. „Ich weiß, wer hier im Dschungel mit wem schläft.“ Dann steht er auf. Richtet sich seinen Zopf. Vielleicht findet er heute sein Lieblingstier, den Doppelhornvogel. Wenn dieser mit seinen mächtigen Schwingen startet, klingt er wie eine Dampflok. Kurz hält der Meister inne. Bläst seine Backen auf, schnauft ein paar Mal lautstark, lacht. Dann verschwindet er in der grünen Wand.
Reisetipps für Langkawi
Hinkommen
Mit Quatar Airways bis Kuala Lumpur, ab 600 Euro, dann mit Malindo Air nach Langkawi.
Unterkommen
Zum Beispiel im Berjaya Langkawi, das Doppelzimmer kostet ab 430 Euro.
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