Nachhaltiger Urlaub in Thailand: Landpartie statt Strandparty
Nordthailand ist noch unentdeckt. Jetzt können Reisende bei Familien übernachten – und lernen schnippeln, mörsern und schmoren.
Zu Gast bei einer Frau, die man mit Mutter anreden soll: Da muss man sich direkt zu Hause fühlen. Mae Pong, also „Mutter Pong“, ist drahtig, Ende 50, trägt einen grau melierten Dutt und eine runde Brille. Gleich wird sie mit den Gästen in ihrer Küche thailändische Gerichte zubereiten. Dafür kauft man nicht im Supermarkt ein, sondern geht in den Garten hinters Haus.
Ursprünglich war Mae Pong Bäuerin. Als sie die Arbeit langweilte, heuerte sie in einem Schönheitssalon an. Heute ist sie Touristengastgeberin in Ban Na Ton Chan, einem Dorf in Nordthailand. Sie spricht zwar kein Englisch, aber kommt auch so klar. Sie zeigt einfach auf alles, was ihre Besucher nun ernten sollen: verschiedene Sorten Basilikum, feuerrote Chilischoten und die blau-violetten Blüten der Schmetterlingserbse. Allein vier Sorten Aubergine stehen zur Auswahl. Die kleinsten sind zartgrün und nur so groß wie Murmeln, andere sehen wie Pfirsiche aus und sind fast weiß. Ihre Gäste pflücken, was der Garten hergibt, und bringen alles in die Küche.
Der Thailand-Tourismus boomt, für 2018 rechnete das Land mit 38 Millionen Besuchern. Aber ins Landesinnere verschlägt es die wenigsten. Acker statt Strand, das ist nicht der klassische Thailand-Trip. Der Großteil der Urlauber konzentriert sich im Süden des Landes, wo die Bilderbuchbuchten und die Hauptstadt Bangkok liegen. Unter deutschen Touristen lag die südliche Provinz Phuket 2017 auf Platz eins. Fast 600 000 Reisende zog es dorthin. Zum Vergleich: Die Provinz Sukhothai, in der das Dorf Ban Na Ton Chan liegt, besuchten nicht mal 30 000 Deutsche.
Urlaub abseits vom Massentourismus
Die Massen an Strandbesuchern verursachen gewaltige Probleme. Sie hinterlassen bergeweise Müll, viele Abwässer laufen ungeklärt ins Meer, Tausende von rettungswestenbewehrten Touristen trampeln auf den empfindlichen Korallenriffen herum. In der Bucht Maya Bay, wo der Film „The Beach“ gedreht wurde, wussten sich die Behörden im vergangenen Jahr nicht mehr anders zu helfen, als den Strandabschnitt für einige Monate komplett zu sperren.
Unter dem Overtourism leiden nicht nur Natur und Einheimische. Selbst die Touristen sind genervt, wenn sie wie die Sardinen in der Büchse am Strand liegen und auf dem Weg zur Trauminsel mit dem Boot im Stau stehen. Der Politik ist der Ansturm ganz recht. Sie hofft sogar noch auf einen Zuwachs der Besucher auf 50 Millionen pro Jahr. Bis zu 20 Prozent des thailändischen Bruttoinlandsproduktes gingen zuletzt direkt oder indirekt auf den Tourismus zurück. Im Norden von Thailand kommt von diesem Geld allerdings kaum etwas an.
Einige örtliche Reiseveranstalter arbeiten daran, die Massen stärker auf die Regionen zu verteilen, die negativen Folgen des Tourismus einzudämmen und die Einnahmen aus dem Geschäft mit den Urlaubern zu streuen. Dafür kooperieren sie mit lokalen Initiativen und einzelnen Bewohnern in den bisher wenig gefragten Regionen. „Community-based tourism“ nennt sich der Ansatz.
Wer sich darauf einlässt, den führt der Weg zum Beispiel nach Sukhothai. Vom Flughafen geht es per Minivan eine Stunde lang über ruhige Straßen, vorbei an Reisfeldern und Bananenplantagen bis nach Ban Na Ton Chan – und damit direkt in die Küche von Mae Pong. Sie wohnt in einem stabilen, großen Pfahlbau mit Wellblechdach, der nach zwei Seiten offen ist. Wenn man ihr Haus betritt, steht man halb im Garten. Die Palmwedel hängen fast bis auf den Esstisch, ein paar Schritte weiter wachsen die Bananenstauden, unter ihren riesigen Blättern leuchtet knallroter Hibiskus.
Fremder Alltag, direkt und ungefiltert
Mae Pongs Küche ist ziemlich vollgekramt, auf den Schränken stapeln sich Schüsseln, Dosen, Körbe und Geschirr. An den Wänden hängen verblichene Porträts des 2016 verstorbenen Königs Bhumibol, der das Land 70 Jahre geführt hat und bis heute in jedem Winkel des Landes verehrt wird. Es sind Mae Pongs private Räume, die sie auch nicht extra für Besucher hergerichtet hat.
Das passt zum Zeitgeist. Reisende möchten keine passiven Touristen mehr sein, die klassische Sehenswürdigkeiten abklappern, hat der Soziologe Andreas Reckwitz in seinem Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“ festgestellt. Urlauber wollen den fremden Alltag erfahren, direkt und ungefiltert. Sie suchen die berühmte Authentizität.
Genau die verspricht der heutige Speiseplan: Curry mit Reis, Pad Thai, also Reisnudeln mit Eiern, Fischsauce und Tamarindenpaste, Kohlsuppe und ein Dessert aus Klebreis mit Kokos. Mae Pong schnippelt, mörsert, schmort – die Gäste machen es ihr nach. Gemüseputzen kriegen sie so hin. Das ist international.
Vor zehn Jahren gab es im Dorf Ban Na Ton Chan noch kein Angebot für Touristen: weder ein Restaurant noch eine Übernachtungsmöglichkeit und erst recht kein Programm. Trotzdem verirrten sich ab und zu ein paar Urlauber hierher. Mae Pong war die Erste, die anfing, die Leute in ihrer Küche zu bewirten. Später richtete sie in ihrem Garten ein Gasthäuschen ein.
Alles eine Nummer kleiner
Heute bieten um das Dorf 27 Familien sogenannte Homestays an, also Übernachtungsmöglichkeiten auf ihren Grundstücken. Sie organisieren kleine Radtouren, Workshops in traditioneller Webtechnik und bieten geführte Sonnenuntergangswanderungen an. Zur Erkundung der Reisfelder haben sie vor Kurzem einen klapprigen Bambussteg verlegt. Sogar eine Touristeninformation gibt es jetzt. Nur eben keine Souvenirstände, Kioske oder Erklärtafeln, und auch andere Farang, also westliche Touristen, sieht man wenige. In den Feldern arbeiten ein paar Reisbauern, auf den Straßen sind Dorfbewohner mit Mopeds unterwegs, in Badeschlappen und ohne Helm. Manches motorisierte Holzfahrzeug sieht aus wie selbst gebaut.
Die Provinz Sukhothai ist eine der ärmsten in ganz Thailand. Bislang profitiert hier nur die alte Königsstadt gleichen Namens vom Tourismus. Allerdings zieht das Unesco-Weltkulturerbe eher Tagesgäste an. Von deren Ausgaben bleibt bei den Einheimischen nicht viel hängen. Ein kleines Souvenir, ein Mittagessen im Ort und ein paar Selfies, dann ziehen die Ausflügler wieder weiter.
Bei einem Homestay-Konzept wie in Ban Na Ton Chan läuft das anders. Natürlich ist der Aufenthalt dort nicht so komfortabel wie in einem der Fünf-Sterne-Resorts mit ihren Spas und Infinity-Pools, die man an den Haupttouristenorten des Landes findet. Die Sonne geht über den Reisfeldern nicht ganz so spektakulär unter wie im Meer. In Ban Na Ton Chan ist alles eine Nummer kleiner. Dafür findet man sich dort auch nicht in einem Paralleluniversum wieder, das mit dem Leben der Einheimischen kaum etwas gemeinsam hat.
Die Gastfreundschaft hat einen praktischen Nebeneffekt
Zum Essen bei Mutter Pong setzen sich alle um eine robuste Holztafel, der man den häufigen Gebrauch ansieht. Dampfende Schüsseln und Bastkörbe werden herumgereicht. Mit dem gängigen Kokosmilch-Sahne-Klischee der thailändischen Küche hat das nichts zu tun, man schmeckt Thai-Basilikum, Kurkuma, Zitronengras heraus. Die Gerichte sind mit Fischsauce statt mit Salz gewürzt. Nur bei der Schärfe hat Mae Pong ein Zugeständnis an ihre westlichen Küchenhelfer gemacht. Im Topf schwimmt eine einzige Chilischote.
Aber wie fühlt sich das für sie an, wenn Besucher auf ihrer Jagd nach Authentizität in ihre Küche vordringen? Das finde sie nicht unangenehm, sagt sie. Bisher hätten die Gäste sich immer rücksichtsvoll verhalten. Und einen großen Vorteil habe es außerdem: „Seitdem ich das mache, ist es viel ordentlicher bei mir.“
Reisetipps für Sukhothai
Hinkommen
Thai Airways beispielsweise fliegt in Kooperation mit Bangkok Airlines von Frankfurt über Bangkok nach Sukhothai; ab 1035 Euro.
Unterkommen
Ban Na Ton Chan Homestay, 20 Euro inklusive Frühstück und Dinner, homestaynatonchan.blogspot.com. Mehr Komfort bietet das Sriwilai Sukhothai Resort und Spa, etwa 119 Euro die Nacht, sriwilaisukhothai.com
Info
Mehr unter thailandtourismus.de.
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