Amerikareise: Im Greyhound quer durchs Land
Von New York durch die Südstaaten bis nach Kalifornien: Wie Autor Gary Shteyngart die USA mit dem Bus durchquerte.
Die Amerikaner haben so eine Angst vor dem Greyhound! Meine Freunde haben mich alle für verrückt erklärt, als ich damit durchs Land fahren wollte. Da säßen doch nur Drogensüchtige, Kriminelle und die Ärmsten der Armen. Meine Antwort: Ich schwöre, da steckt ein Roman drin. Vier Monate lang bin ich, mit Unterbrechungen, im Sommer 2016 gereist, von New York über Baltimore durch die Südstaaten, Virginia, Atlanta, Mississippi, Texas, Arizona, Kalifornien und zurück.
Losgefahren bin ich vom Port-Authority-Busbahnhof in Manhattan. Dort roch es wie Fuß, der Schalter war geschlossen, die Rolltreppe kaputt, und auf den Stufen saß ein Inder und weinte. Was für ein Bild!
Für mich hatte die Vorstellung der Busreise durchaus was Romantisches. Wenn du jung bist und kein Geld hast, springst du auf den Hound und bist frei. Na ja, die Freiheit an Bord ist ziemlich beschränkt. Ich bin noch nie in einer Umgebung gewesen, wo alles so stark reglementiert ist. Das ist Amerika. Freedom, freedom, freedom – aber das bedeutet: unterschiedliche Formen der Freiheit für die einzelnen Schichten.
Fluchen und Alkohol sind an Bord verboten
Es gibt so viele Vorschriften! Zum Beispiel darf man im Bus keine Sardinen oder Thunfisch essen. Weil die riechen. Alkohol ist auch verboten. Bis zu 15 Stunden ohne. Wenn ich irgendwo angekommen bin, habe ich erst mal was getrunken. Wenn der Greyhound bloß eine Bar hätte! Wie der Zug, mit dem ich immer den Hudson hochfahre. Aber dann gäbe es wahrscheinlich Streitereien.
Und die habe ich kaum erlebt, niemand wurde geköpft, wie das mal in einem kanadischen Greyhound-Bus passiert ist. Nur eine Fahrt, kurz vor San Diego, wurde extrem emotional, da schrie eine Frau ihr Kind an, dann schrien alle sie an, und der Busfahrer brüllte uns an: „Language! Language!“ Fluchen ist an Bord verboten.
Die Fahrer benehmen sich wie die Feldwebel. Und sie wirken sehr erschöpft. Einmal schlief einer am Steuer ein, und die Passagiere riefen: „Sir! Sir!“ An Bord sagen alle Sir, ein schwachsinniges Wort, weil niemand den anderen dort wirklich für einen Sir hält.
Um mich herum hat niemand gelesen
Als Erstes habe ich mir immer einen Sitz am Fenster gesucht, so weit weg wie möglich vom Klo. Das habe ich nur einmal ausprobiert, um zu gucken, wie es aussieht – oh! Das Wichtigste war, einen Platz mit funktionierender Steckdose zu ergattern. Die sind nämlich oft kaputt, aber alle wollen ihre Handys aufladen. Wenn du also einen Anschluss mit Strom findest, bist du der King. So bin ich auch mit den Leuten ins Gespräch gekommen, weil sie sich dann neben mich gesetzt haben. Sie haben von ihrer Obdachlosigkeit erzählt, von Riesenratten zu Hause. So wie New Yorker sagen, ich habe an diesem oder jenem College Jura studiert, sagen sie: „Ich war in der Armee, war im Gefängnis, komme aus der Psychiatrie.“
Manche haben mich nach meinem Beruf gefragt. Schriftsteller, mit dieser Information konnten sie nichts anfangen. Eine College-Studentin meinte: Das muss toll sein, alle lieben doch Bücher! Und ich dachte: Wovon redet sie? Um mich herum hat niemand gelesen. Selbst die Studenten haben einfach gedöst. Ich selbst hatte nur einen Klassiker als Lektüre mit auf die Reise genommen, Alexis de Tocquevilles „Democracy in America“. Der war fast genauso langweilig wie die Fahrt.
Viele Buchszenen sind im Bus entstanden
Die ist ja endlos. Manchmal versuchen Männer, Frauen aufzureißen, dabei habe ich lustige Sachen gehört wie: Ich habe einen Lexus, aber der ist gerade in der Werkstatt, deswegen nehme ich den Bus. Ich selber habe zwar ein Auto, aber das lasse ich auf dem Land. Den Führerschein habe ich erst seit drei Jahren, deswegen kann ich nicht gut aus der Stadt rausfahren.
Schon während der Gespräche habe ich mir Notizen gemacht. Das ist das Schöne am Smartphone, man kann so tun, als würde man eine SMS schreiben, in Wirklichkeit hält man Beschreibungen und Dialoge fest. „Oh Gott, der Typ ist auf Meth und schlägt seine Frau.“ Hätte ich auf einen Block geschrieben, das hätte ausgesehen, als wäre ich Journalist. Wegen meiner Deadline habe ich schon möglichst viele Szenen im Greyhound entworfen, alles auf dem Handy. Die meisten Bus-Episoden im Buch habe ich genau so erlebt, ich habe höchstens etwas übertrieben.
Auf meiner Reise bin ich niemandem wie meiner Romanfigur begegnet, diesem reichen Hedgefondsmanager, selbst aus der Mittelschicht sieht man selten jemanden. Auf manchen Abschnitten der Reise gab es fast nur Afroamerikaner oder Latinos im Bus, vor allem in der Nähe zur mexikanischen Grenze.
Das ist der amerikanische Traum
Einmal saß ein dicker Typ neben mir, der etwas roch. Wir fingen an zu reden, das war der Sommer des Präsidentschaftswahlkampfes, und er prophezeite: Trump wird gewinnen, das steht fest. Dieser geistig behinderte Mann hatte recht – und ich lag falsch. Amerikanische Journalisten müssten in diesen verdammten Bus steigen, mit ihm einmal quer durchs Land fahren. Er ist eine Fundgrube der Wahrheit.
Richtig Angst bekam ich nie. Es gab nur eine ungemütliche Begegnung, mit rechtsextremen Rassisten, die auch im Roman vorkommen, und damit angaben, Moslems und Juden kreuzigen zu wollen. Ich saß da und dachte, ich bin ein Jude! Barry, meine Romanfigur, steigt aus dem Bus und kauft das Neue Testament zum Ausmalen, als Tarnung. So eins habe ich tatsächlich gesehen. Manchmal habe ich noch Spuren von Gewalt entdeckt, in einem Motel zum Beispiel war der Abdruck einer Faust in der Wand neben meinem Bett. Aber meist habe ich einfach Armut gesehen. Und grauenhafte Ernährungsgewohnheiten. Das Essen unterwegs war widerlich, ungenießbar und hat mir echte Probleme bereitet. Ich habe 15 Pfund abgenommen.
Einmal in Kalifornien, so eine Dreiviertelstunde vom Bahnhof Los Angeles entfernt, hat ein Typ was Lustiges gemacht. Er wollte unbedingt im Vorort aussteigen, weil er da lebte, also tat er so, als hätte er einen Herzinfarkt. Der Bus hielt an, Sanitäter kamen, und er sagte: Oh, mir geht’s schon viel besser. – Sir, wir müssen Sie ins Krankenhaus bringen! – Nein! Er packt sein Gepäck und rennt weg. Alle anderen waren stinksauer. Wieder Zeit verloren.
Selten sind die Busse pünktlich
Greyhound bedeutet ja Windhund. Das war die ursprüngliche Idee, dass der Bus so schnell ist. Heute ähnelt er mehr einem elfjährigen Dackel. Ich liebe Dackel, die stöhnen über ihre Rückenschmerzen, sollen den Dachs aufspüren, tun es aber nicht. Die Passagiere nennen den Bus „the Hound“ oder „the Dog“: Ich muss den Jagdhund nach Atlanta erwischen.
Selten sind die Busse pünktlich. Einmal musste ich elf Stunden auf meine Verbindung in Phoenix warten. Da war ich kurz davor, jemanden umzubringen, wurde zum wütenden, anstrengenden New Yorker: Schicken Sie den Bus aus Tucson! Das sind fast 200 Kilometer. Nein, man muss sich beruhigen und in den Modus des Greyhound-Passagiers fallen. Man ist dem System ausgeliefert, kann es nicht ändern. Ich habe bei so was einen Trick. Ich gucke auf meine Uhr. Das beruhigt mich. Vor allem der kleine Zeiger.
15 Stunden dauerte die längste Strecke, von Dallas nach El Paso, quer durch Texas. Wobei die Landschaft total schön ist. Vorbei an Kakteen und Bergen, der offene Himmel – der Westen ist großartig. Open space, das ist der amerikanische Traum. Auf dem Highway waren wir manchmal stundenlang allein. Man sitzt wie in seiner eigenen Kapsel am Fenster.
Die Bushaltestellen haben eine traurige Aura
In El Paso habe ich mich richtig verliebt. Eine tüchtige Stadt mit guter Uni, man lebt günstig, und Mexiko ist nur eine halbe Meile entfernt. Die Leute, die ich dort getroffen haben, wirkten sehr glücklich. Ein guter Freund von mir arbeitet in El Paso als Professor. Er stand am Busbahnhof, um mich abzuholen. Meine Sitznachbarin war ganz beeindruckt: Oh, Ihr Boyfriend ist ja süß, dass er extra herkommt.
Niemand wird sonst am Greyhound erwartet. Die Bushaltestellen haben eine traurige Aura. Als würde man sich dort eine Krankheit einfangen. Sie sind schon lange nicht modernisiert worden und liegen oft außerhalb der Stadtzentren, in Armenvierteln.
Meine Romanfigur Barry sagt, er will mit dem Greyhound fahren, um Amerika zu sehen, wie es wirklich ist. Was ich selber gelernt habe? Dass es ein Land ist, das immer ärmer wird. Die Straßen sind eine Katastrophe, die Leute ernähren sich furchtbar, der Staat hat sich vielerorts zurückgezogen. Es gibt noch etwas Hoffnung. Junge Leute, die weite Strecken mit dem Bus fahren, um zu einem College zu kommen, das sie sich leisten können.
Eine Bloody Mary bitte
Einmal, in Raleigh, North Carolina, kamen lauter junge Soldaten in den Busbahnhof. Mit dem Greyhound werden ja auch die Truppen transportiert. Es gab dort zwei Wartesäle, und die schwarzen und weißen Soldaten haben sich sofort separiert, ein Schwarzer lief wie ein Dolmetscher zwischen den beiden hin und her. So viel zum Mythos der amerikanischen Armee als großem Gleichmacher.
Dermaßen lange zu sitzen, war richtig schlimm für mich, weil ich Rückenprobleme habe. Ich hatte große Schmerzen. Ab und zu bin ich aufgestanden, um mich zu strecken. Wenigstens hält der Bus alle paar Stunden an, da konnte ich Dehnübungen machen. Ich habe viel Aspirin genommen. Alles für die Kunst!
Weil ich einen kleinen Sohn habe, bin ich zwischendurch nach Hause geflogen. Auf den ganzen Lesereisen hatte ich so viele Flugmeilen gesammelt, dass ich immer in die erste Klasse upgegradet werde. Das heißt, ich bin aus dem Greyhound gestiegen, mit dem Taxi zum Flughafen gefahren und wurde herzlich empfangen. „Oh, Mr. Shteyngart!“ Als Gold-Mitglied konnte ich mich in der Kabine ausstrecken und dann: Eine Bloody Mary bitte.
Protokoll: Susanne Kippenberger
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