Was man von Pavianen über Menschen lernen kann: „Ich will von den Affen ignoriert werden“
Primatenforscherin Julia Fischer über Drohgebärden, Humor im Feld und studentische Beamtenmentalität.
Julia Fischer ist Primatenforscherin und leitet ein Institut an der Universität Göttingen.
Frau Fischer, Sie sagen, dass der Affe im Menschen Sie mehr interessiert als der Mensch im Affen. Wie viel Affe steckt in Ihnen?
Eine Menge! Vor allem, was die Beziehungen angeht, die Freundschaften. Das ist eine meiner Einsichten aus der Forschung der vergangenen Jahrzehnte: Wir sind uns in Bezug auf die Bedeutung sozialer Bindungen sehr ähnlich. Da bin ich ein richtiger Affe – auch, was Umarmungen angeht.
Und welche Art wären Sie?
Ein Guinea-Pavian, die untersuchen wir im Senegal seit 13 Jahren. Die Weibchen können relativ frei entscheiden, mit welchem Männchen sie sich zusammentun, und werden nicht ständig verkloppt, wie bei anderen Arten. Orang-Utans finde ich auch gut, weil sie so geschickt und intelligent sind - die Ingenieure. Es gibt einen Film, wo einer sich eine Hängematte im Zoo aufhängt. Als er alles festgebunden hat, legt er sich rein, es passt nicht so richtig, also macht er‘s wieder auf, ein bisschen höher…. Allerdings sind sie nicht besonders sozial.
In der Silvesternacht sind beim Brand im Krefelder Zoo 30 Tiere verendet, darunter fünf Orang-Utans.
Absolut entsetzlich. Was für verheerende Folgen Gedankenlosigkeit haben kann! Da muss ich natürlich an Australien denken, wo sich ein solches Inferno ungleich größeren Ausmaßes abspielt. Es sind dort bislang über eine halbe Milliarde Tiere in den Flammen umgekommen, nach vorsichtigen Schätzungen. Unbegreiflich, dass es immer noch Leute gibt, die den Klimawandel leugnen.
Gehen Sie in Zoos?
Ungern. Affen in Gefangenschaft kann ich mir nicht angucken. Lieber geh ich im Wald spazieren. Doch vielleicht braucht man Zoos, um wenigstens eine Erinnerung an die Wildnis wachzuhalten. 96 Prozent der Biomasse von Säugetieren auf der Erde sind entweder solche, die wir essen, Rinder, Schweine Schafe etc. - oder Menschen. Wilde Tiere machen nur noch vier Prozent aus. Das ist fürchterlich!
Die Affen gehören wie wir Menschen zur Ordnung der Primaten. Können wir aus Ihrer Forschung etwas über unsere eigenen Ursprünge lernen?
Verhaltensbeobachtungen sind die Basis, um die Verschiedenheit von Tiergesellschaften zu verstehen. Warum agieren manche Arten sehr despotisch und territorial, andere nicht? Gerade Paviane sind ein tolles Modell, um herauszufinden, wie ursprüngliche menschliche Gesellschaften organisiert gewesen sein könnten. Kurzschlüsse wie „Bei denen gibt’s Gewalt, deswegen ist es natürlich, dass Menschen auch so sind“, finde ich unsäglich. Mir geht’s um das Herausarbeiten von Prinzipien sozialer Evolution. In welchen Gesellschaften haben Weibchen zum Beispiel mehr zu sagen?
Warum sind die einen territorial, die anderen nicht?
Ein Fruchtesser muss seine Bäume verteidigen, wenn es nur wenige gibt. Mag man lieber Gras oder Blätter, lohnt es sich nicht, darum zu streiten. Dann ist man eher nicht territorial. Manches ist allerdings auch artspezifisch, man muss immer noch die evolutionäre Entwicklung in Betracht ziehen. Jede Art schleppt ihr Erbe mit sich rum.
Ihre überraschendste Erkenntnis?
Wie sehr die Affen in der Gegenwart leben! Die wünschen sich 700 mal täglich „Guten Tag“. Gleichzeitig haben die ein gutes Gedächtnis. In Botswana konnten sie sich nach fünf Jahren an mich erinnern.
Die Forschungsstation im Senegal besuchen Sie …
… jedes Jahr für einen Monat. In zwei Wochen fahre ich wieder hin.
Was tun Sie als Erstes, wenn Sie dort ankommen?
Erst mal Vorräte besorgen. Ich fahre mit gefrorenen Hühnern, Salat und Gemüse ins Camp. Wir haben es dort komfortabel, tolle Rundhütten, sogar einen Kühlschrank und eigenen Brunnen. Ich stehe im Dunkeln auf, kleines Frühstück, dann geht man los, dorthin, wo die Affen auf den Bäumen schlafen, zum Schutz vor den Raubtieren. Dann warte ich, bis sie runterkommen. Eine schöne Zeit.
Wie sieht die Morgenroutine der Tiere aus?
Sie hängen rum, die Kinder spielen, man krault einander das Fell. Irgendwann läuft einer los – dazu haben wir gerade eine Studie gemacht: Wie organisieren die Tiere sich? Interessanterweise kann jeder ein Initiator sein. Das zeigt, wie egalitär es zugeht. An manchen Tagen folge ich einer kleineren Gruppe mit etwa 40 Tieren. Einmal waren Löwen dort, die Affen rotteten sich zusammen, da ist man schon mal mit 400 Pavianen unterwegs.
Erkennen die Tiere Sie?
Ja, jeden im Camp. Mich auch, obwohl ich so selten da bin. Das merke ich daran, dass sie mich nicht beachten. Wenn man einen Neuen mitbringt, machen sie sich vertraut. Bekannte Gesichter begrüßen die Paviane mit Lauten: „Rhm, rhm.“
Trotzdem haben Sie herausgefunden, dass die Tiere keine Sprache im menschlichen Sinne haben – auch, wenn sie viel verstehen können.
Mit wenigen Mitteln kommen die Affen weit. Da fragt man sich: Warum haben Menschen angefangen zu sprechen? Weil sie sich über die Welt austauschen wollten? Das sehe ich bei den Affen nicht.
Erwidern Sie so einen Gruß mit „Rhm, rhm“?
Das ist verboten! So wie das Füttern. Ich will ignoriert werden.
Sie wollen das Verhalten der Affen nicht beeinflussen. Aber Sie geben ihnen Namen.
Man muss sie irgendwie identifizieren. Irgendwann redet man über die Tiere wie über die „Lindenstraße“: „Wie geht’s Peter?“– „Der hat alle seine Weibchen verloren.“ – „Oh-oh!“
Auch wenn Sie mit ihnen unterwegs sind?
Da tragen wir auf dem Handy Aktivitätsbeschreibungen ein: Wer macht gerade was, mit wem und wie lang? Der groomt dem jetzt das Fell, der hat dem gedroht, jetzt hauen sie sich.
Sie sagen: „Kot ist das Gold des Forschers.“
Die Methoden haben sich immer mehr verfeinert. Daraus extrahieren wir DNA, bestimmen die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Tieren, können nachvollziehen, wer fruchtbar ist, wer gestresst …
Wie lange halten Sie an so einem Tag im Feld durch?
Am späten Vormittag wird es heiß. Wenn man Pech hat, steht man zwölf Kilometer vom Camp entfernt in der sengenden Sonne. Wer dort arbeiten will, muss in der Sauna Matheaufgaben lösen können.
Sie könnten auch eine Drohne losschicken.
Nein, mir würden Details entgehen, und die Affen mögen keine Drohnen. Wir haben das versucht, um von oben bestimmte Muster zu sehen, weil man ja immer nur ein Tier richtig beobachten kann. Aber sie haben die Drohnen so gehasst, dass sie einfach den ganzen Tag unterm Baum sitzen geblieben sind. Außerdem macht einen das glücklich, hinter Pavianen herzulaufen, manchmal jedenfalls.
Wie lernen Studenten, gut zu beobachten?
Erst mal muss man so gehen, dass man die Tiere nicht stört. Also nicht hinter ihnen, sondern neben ihnen. Wenn ein Affe über die Schulter schaut, weiß ich schon, ich hab’ was falsch gemacht.
Geduld scheint ganz elementar zu sein: Es hat drei Jahre gedauert, bis die Paviane sich an Sie und Ihre Kollegen gewöhnt haben!
Anfangs rannten die Tiere jedes Mal vor uns weg. Wir hatten einen sehr beherzten Mitarbeiter, der meinte: Wir waren einfach zu vorsichtig. Wir müssen aggressiver sein, wirklich zu denen hingehen, und die müssen verstehen, dass ich ihnen nichts tue. Das war der Trick. Jetzt ist die Situation natürlich ganz anders – fast alle Jungtiere dort, die jünger sind als zehn Jahre, kennen uns.
Wie stellen Sie sicher, dass die Beobachtungen verschiedener Forscher vergleichbar sind, wenn doch jeder mit anderen Augen guckt?
Wir überprüfen die Genauigkeit, lassen zwei Leute gleichzeitig dasselbe Tier beobachten, und sie müssen auf 95 Prozent Überlappung kommen.
Das Grooming, die Fellpflege, scheint eine der wichtigsten sozialen Tätigkeiten zu sein. Was sagt das über eine Gesellschaft aus, wer wen groomt?
Das ist unser Maß für Freundschaft. Entspannt zusammen sitzen, sich gegenseitig das Fell zu kraulen, erst der eine, dann der andere. Das hängt dann auch von der Gesellschaft ab. Manche Arten kraulen lieber ranghöhere Tiere, weil sie sich Unterstützung erhoffen. Bei den Bärenpavianen wird jede Gelegenheit genutzt, klarzustellen, wer hier oben und wer unten ist.
Lachen Sie oft, wenn Sie im Feld sind?
Dauernd! Man hat seinen Forscherinnenblick, aber eben auch diesen Seifenopernblick: Gestern hat ja der den gehauen, und jetzt kommt die Rache. Zum Beispiel haben wir bei den Bärenpavianen ein rangniedriges Weibchen beobachtet, wie es das Kind der Alpha-Familie verhauen hat.
Auffallend ist das große Interesse der Paviane an Babys. Ist das bei allen Affen so?
Bei den Bärenpavianen, mit denen ich anderthalb Jahre unterwegs war, habe ich junge Weibchen gesehen, die nicht wussten, wie rum sie den Säugling halten mussten. Die Mütter unterscheiden sich extrem im Stil. Manche halten das Kind fest, und das Kleine schreit, weil es weg will. Ein Weibchen, Helen – da musste ich auch lachen. Das Kind wollte dauernd auf ihren Rücken, und sie hat es immer wieder runtergezogen und auf den Boden geworfen. Das ist auch ’ne Frage: Wie wirkt sich der Stil der Mutter auf die weitere Lebensgeschichte aus? Vielleicht ist es in einer hierarchischen Gesellschaft wichtiger, die Mutter für sich allein zu haben. Bei uns wechseln die Mütter auch mal zu einem anderen Männchen und lassen ihre Kinder zurück. Die kommen prima zurecht.
Wobei Sie ja auch sagen, dass nichts schlimmer ist für ein Affenbaby, als allein zu sein.
Aber die haben dann ihre Altersgenossen. Wie im Kibbuz.
In Botswana haben Sie Paviane erlebt, die die Gruppe wechselten und ein paar Kinder töteten, um sich Einlass zu verschaffen. Ganz schön brutal.
Das sind ausgewachsene Männchen, auf dem Gipfel ihrer Kraft. Es ist so kompetitiv dort, sonst hätten sie gar keine Chance. Wenn sie sich ein bisschen etabliert haben, geht’s los mit dem Kindertöten. Natürlich schaudert einen das, wenn da ein Baby mit offenem Schädel rumgetragen wird.
Jane Goodall sagte mal: „Ich dachte, die sind wie wir, nur netter.“ Sie war schockiert von der Brutalität der Affen. Sie auch?
Nein, ich hatte ja einen ganz anderen Wissensstand. Als Jane Goodall anfing, wusste man eigentlich nichts über die Tiere. Als ich das erste Mal über Infantizide las, wollte ich es nicht glauben. Dann verstand ich, warum die Evolution das hervorbringt: Weibchen sind dann schneller wieder geschlechtsreif. Aus der Sicht des Männchens, der hat nur ein Dreivierteljahr, bevor der nächste kommt und es vom Thron stößt, ist es eine adaptive Strategie. Im Senegal haben wir andere Beobachtungen gemacht. Manchmal sterben die Affenkinder an Krankheiten. Einmal trug das Weibchen es tagelang mit sich rum, als es schon ziemlich verdorrt war, hat sie das Fell gepflegt. Und dann fing sie an, es aufzuessen. Oooah!
Und dann fangen Sie an zu weinen?
Nein, geweint hat niemand, aber man muss schon schlucken. Ich halte es für vermessen, zu sagen, man hätte als Forscher keine Emotionen, da betrügt man sich selber. Man muss sich damit auseinandersetzen und gucken, wie geht man damit um? Wie kann man sich davor schützen, dass die Datenaufnahme dadurch beeinflusst wird? Dafür haben wir unsere Protokolle.
Die Paviane mit ihren langen spitzen Zähnen sind nicht ganz ungefährlich.
Einmal war ich einem Pavianweibchen zu nah gekommen, das hat geschrien, das Männchen ist auf mich zu galoppiert wie eine rote Rakete, mit seinem Drohgesicht. Ich hatte entsetzliche Angst, aber ich wusste: Bloß keine Schwäche zeigen! Dann ist man verloren. Also bin ich auf ihn zu, hab ihn angebrüllt und mich groß gemacht. Dann ist er abgedreht.
Ihr Forscherinnenleben haben Sie mal mit den Worten zusammengefasst: Man hangelt sich von Niederlage zu Niederlage.
Von meinen Studenten wünsche ich mir Frustrationstoleranz. Denn meistens geht’s schief. Und dann braucht man die Bereitschaft, das wie Staub abzuklopfen, okay, ich versuch’s noch mal.
Es gibt auffallend viele prominente Affenforscherinnen. Hatten Sie ein Vorbild unter ihnen?
Nein. Biruté Galdikas war mir zu kitschig, zu esoterisch. Dian Fossey war ziemlich wahnsinnig. Die hat Gorillas geliebt, aber Menschen verachtet. Jane Goodall finde ich sehr beeindruckend – ich bewundere sie vor allem für ihr Engagement für den Erhalt der Schimpansen. Für mich war meine Mentorin Dorothy Cheney wichtiger, die einen brillanten Verstand hatte.
Was haben Sie von ihr gelernt?
Beim Schreiben guckt sie mir bis heute über die Schulter, sagt, es ist nicht gut genug. Doch auch eine andere war für mich wichtig. Feldforscher tragen ja oft Khaki – und da kam plötzlich Meredith Small reingesprungen, mit Kleid, roten Lippen, blond gefärbten hochstehenden Stachelhaaren. Okay, dachte ich, es geht auch anders.
Das ist der Stil der amerikanischen Hochschulen?
Als Postdoc in den USA war ich ein Mensch, der forscht, es ging darum, was man beizutragen hat – nicht um das Geschlecht. Als ich einem Professor hier in Deutschland sagte, ich will promovieren, meinte der: Wieso, Sie kriegen doch Kinder.
Sie saßen mal in verschiedenen Gremien zur Förderung von Wissenschaftlerinnen.
Irgendwann hatte ich das Gefühl, die Frauen befassen sich mehr mit ihrer Befindlichkeit und weniger mit der Forschung. Ich habe ihnen gesagt: Ihr könnt zu mir kommen, wenn Ihr Beratung braucht, aber ich bespreche nicht mit Euch, wie es Euch so im Allgemeinen geht.
Und wie sind Millennials als Studierende?
Ich sehe mit Sorge, dass das Forschen immer mehr als Beruf verstanden wird im Sinne einer Beschäftigung: Ich bin jetzt hier angestellt, nine to five, wer ersetzt mir die Kosten für meine Handseife? Ich vermisse das Leidenschaftliche, mit dem ich sozialisiert worden bin.
Erleben Sie noch einen Kulturschock, wenn Sie aus Göttingen in den Senegal kommen?
Wenn dort unten die Flugzeugtür aufgeht, schalte ich in den afrikanischen Modus: Jetzt nicht mehr aufregen, falls etwas nicht klappt. Und wenn ich nach Hause komme, bin ich wahnsinnig dankbar, dass wir hier in so einer reichen Welt leben. Angefangen bei der medizinischen Versorgung – irre! So gut wie wir hat es fast niemand auf der Welt.