Ein Ratgeber: Gibt es eine ideale Geburt?
Die Niederkunft ist ein existenzielles Ereignis. Da verwundert es nicht, dass Eltern viele Fragen dazu haben. Experte Michael Abou-Dakn vom St. Joseph-Krankenhaus in Tempelhof beantwortet einige davon
Wann ist der ideale Geburtstermin und sollte man die Geburt bei einer Verspätung künstlich einleiten?
Es gehört zur guten Tradition, dass der Gynäkologe, der die Schwangerschaft feststellt und diese dann weiter begleitet, auch einen Termin nennt, wann die Geburt zu erwarten ist. Und die werdenden Eltern kommunizieren diesen Termin gern Angehörigen und Kollegen, was dann zum errechneten Termin zu mitunter nervenden Nachfragen führen kann, wann es denn nun endlich so weit sei. Und auch die Eltern werden immer nervöser, wenn der Termin überschritten wird, fragen sich, ob da etwas falsch laufe, gar Gefahr drohe. Für derlei Sorgen gebe es meist aber keinen Grund, sagt Michael Abou-Dakn, Chefarzt der Geburtsklinik am Sankt Joseph-Krankenhaus in Berlin-Tempelhof. „Der Geburtstermin ist eigentlich eher als Monat zu verstehen, nicht als Tag. Denn wer kennt schon den genauen Zeugungszeitpunkt, ab dem die Schwangerschaft beginnt und der Timer bis zur Geburt zu ticken beginnt?“
Und auch die später nach den regelmäßigen Untersuchungen genannten voraussichtlichen Termine sind nur Orientierungsangaben. „Eine normale Schwangerschaft dauert 40 Wochen, plus / minus ein paar Tage“, sagt Abou-Dakn. Deshalb sollten sich die Eltern keine Sorgen machen, wenn es nicht nach Kalender läuft – und die Ärzte sich nicht von der Sorge anstecken lassen. Erst wenn das Kind eine Woche hinter dem errechneten Geburtstermin zurückliege, könne man über eine Einleitung der Geburt nachdenken. „Wenn es dem Kind gut geht, kann man auch zwei Wochen abwarten.“
Nur deshalb, weil die Eltern es zu einem bestimmten Termin wünschen, sollte man keinesfalls die Geburt einleiten. „Das Kind hat seinen eigenen Zeitplan, und der entscheidet, nicht die Mutter. Wenn für das Baby der ideale Zeitpunkt gekommen ist, dann sendet es über die Nabelschnur ein hormonelles Signal an den Organismus der Mutter und der Geburtsprozess beginnt.“ Wer ein Kind bekomme, müsse sich sowieso von dem Gedanken verabschieden, das Leben bis zur letzten Minute planen zu wollen. „Von Stunde zu Stunde kann ein Kind alles umwerfen. Und das ist gut so!“
Was muss der ideale Kreißsaal bieten und wie viel Personal ist nötig?
Ein Kreißsaal ist heutzutage selten ein Saal, sondern mehrere Einzelzimmer. Der Raum müsse der Gebärenden eine angenehme, intime Atmosphäre bieten, sagt Geburtsmediziner Abou-Dakn, ebenso das Gefühl von Autonomie vermitteln und Stressfreiheit. Das ist nicht nur für die psychische Verfassung der Frau wichtig, der eine Schwerstarbeit bevorsteht, sondern auch physiologisch vorteilhaft. Für eine gut verlaufende Geburt muss der Organismus der Gebärenden nämlich das Hormon Oxytocin ausschütten, das den Geburtsvorgang steuert. „Doch dieses Hormon ist scheu. Es bildet sich nicht, wenn die Frau sich unwohl fühlt.“
Weil das so wichtig ist, ist die ideale Ausstattung eines Kreißsaals sogar Gegenstand medizinischer Forschung. „Eine der Fragen ist etwa, ob das Bett in einem Kreißsaal eine so dominierende Position haben sollte oder nicht besser an die Peripherie gehört und dafür Elemente hinein sollten, die die Frau dazu einladen, aufzustehen und herumzulaufen.“ Denn vorherige Bewegung erleichtere die Geburt und lindere die Wehenschmerzen. Zur Nasszelle sollte es keine langen Wege geben, damit die Schwangere schnell mal hineinkönne, sagt Abou- Dakn. Und der Kreißsaal sollte im Notfall, in dem jeder Augenblick zählt, alles bieten, um hier auch eine Entbindung per Kaiserschnitt auszuführen.
Das Personal ist mindestens ebenso wichtig wie die Ausstattung: Die Gebärende muss kontinuierlich betreut werden, sagt Abou-Dakn. Studien zeigen, dass dadurch weniger Medikamente notwendig werden und die Geburt leichter verläuft. „Im besten Fall sollte die Frau in der gesamten Zeit von einer einzigen Hebamme umsorgt sein – doch das kann sich keine Klinik wegen der hohen Personalkosten finanziell leisten.“ Ein Verhältnis von einer Hebamme zu zwei Gebärenden sei dem Ideal aber auch schon sehr nahe, wenn zumindest in der letzten Geburtsphase – dann hat sich der Muttermund sechs bis sieben Zentimeter geöffnet – eine Hebamme für die Gebärende da ist.
Und schließlich sollte es ein Familienzimmer geben, in dem auch der Partner mit Mutter und Kind nach der Geburt noch etwas verschnaufen kann. Die meisten Kliniken bieten solche hotelähnlich ausgestatteten Räume zwar nur gegen ein zusätzliches Entgelt an. Trotzdem sollte auch der Vater nach der Geburt nicht sofort die Klinik verlassen müssen, schließlich hat auch er sehr anstrengende Stunden hinter sich – gerade wenn die Geburt am Abend oder in der Nacht stattfand. Familienzimmer verhindern solch furchtbare Ereignisse wie im Februar 2017 in Brandenburg, als ein junger Vater wahrscheinlich völlig übermüdet nach der Geburt nachts die Klinik wegen Platzmangel verlassen musste und mit dem Auto auf dem Rückweg nach Hause einen tödlichen Unfall erlitt.
Muss eine Geburt solche Schmerzen bereiten?
„Eine schmerzfreie Geburt gibt es nicht, auch nicht mit den modernsten Medikamenten“, sagt Geburtsmediziner Abou-Dakn. Aber zumindest könne man die Schmerzen in der Phase, in der sich der Muttermund unter Wehen öffnet, lindern. Das sei vor allem bei Erstgebärenden, bei denen diese Eröffnungsphase häufig sehr lange dauert, eine echte Erleichterung. Dazu nutzt die Medizin eine sogenannte Periduralanästhesie (PDA). Dabei werden Medikamente über einen Zugang im Bereich der Lendenwirbelsäule direkt in die Nähe der schmerzübertragenden Nerven des Rückenmarks gebracht.
Alle anderen schmerzstillenden Medikamente bleiben bei Wehenschmerzen weniger effektiv, sagt der Arzt. Das oft in Kreißsälen eingesetzte Lachgas habe eher einen angstlösenden Effekt als einen schmerzunterdrückenden, bietet aber den Vorteil, dass die eigenen wehenfördernden Hormone weniger unterdrückt werden als durch die PDA. Spätestens mit der zweiten Geburt sollte man jedoch kritisch über eine PDA nachdenken. Denn diese sei keinesfalls eine risikolose „Schmerzabschaltung“. So können Nebenwirkungen durch die Medikamente auftreten und auch die Überwachung der Geburt werde erschwert, weil die Gebärende die Wehen nicht mehr richtig wahrnimmt.
Der Wehenschmerz sei eigentlich sogar medizinisch notwendig. Erfahrungen zeigten, dass die Frauen ohne die Lokalanästhesie einer PDA weniger wehenanregende Medikamente benötigen. „Aus Sicht der natürlichen Geburt ist eine PDA also eher nicht günstig“, sagt Abou- Dakn. Besser sei eine intensive, gute Betreuung. Wenn die Gebärende sich umsorgt fühle und Vertrauen in das Personal gewonnen habe, sei der Schmerz nicht mehr so schlimm. Außerdem liefere der weibliche Körper seine eigenen schmerzlindernden Arzneimittel – Hormone wie Endorphine. „Oft fallen die Frauen während des Geburtsvorgangs sogar in eine Art Trance.“
In welcher Körperhaltung bringt die Frau am besten ihr Kind zur Welt?
In der sogenannten Eröffnungsphase, wenn sich der Muttermund öffnet, sollte die Schwangere sich noch so viel bewegen, wie sie mag. „Das Herumgehen lindert die Wehenschmerzen, hilft aber gleichzeitig, dass sich der Muttermund leichter öffnet“, sagt Michael Abou- Dakn. Während der eigentlichen Geburtsphase – Mediziner nennen sie „Austreibungsphase“ – sei aufrecht hockend die ideale Position. „Und zwar so, dass das Becken hochsteht“, sagt Abou-Dakn. „So ist es größer und lässt dem Baby im Geburtskanal mehr Platz.“
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Leider aber werde in vielen Geburtskliniken noch die althergebrachte Position auf dem Rücken liegend bevorzugt, wobei oft die Geburtshelfer die Beine der werdenden Mutter auch noch in die Breite drücken. „Dabei wird das Kreuzbein am unteren Teil der Wirbelsäule der Frau fixiert. Das hindert die Bänder im Beckenboden daran, auszuweichen und so den Geburtskanal zu vergrößern.“ Im Ergebnis muss die Frau mehr Kraft aufbringen und hat größere Schmerzen bei den Presswehen. Für die medizinischen Geburtsbegleiter ist die Rückenlage die bequemere Position, kommen sie so doch besser an die Frau heran, um die Geburt zu überwachen. Doch oft sind dafür gar nicht Ärzte und Hebammen verantwortlich, sondern die Gebärende selbst, weil sie sich wegen der Anstrengung und Erschöpfung instinktiv in die vermeintlich bequemere Rückenlage begeben möchte. Und gute Geburtsbegleiter werden sie nicht daran hindern. „Im Kreißsaal bestimmt die Gebärende, was sie möchte“, sagt Abou-Dakn. Aber es wäre gut, wenn die aufrechte Position, die physiologisch am besten für die Geburt geeignet ist, intensiver und nachdrücklicher in den Geburtsvorbereitungskursen gelehrt werde, sagt der Mediziner.
Noch etwas mehr Erleichterung biete die Geburt in einer Wanne mit warmem Wasser. „Für die Frau ist es ein entspannendes, positives Erlebnis und für das Kind ist es ungefährlich“, sagt Abou-Dakn. Dabei sitzt die Gebärende nicht etwa über Stunden im warmen Wasser, sondern meist nur unmittelbar vor der Geburt, etwa eine Stunde lang. Viele Geburtskliniken haben auch eine Wanne bei ihren Kreißsälen platziert, doch die Zahl der Wannengeburten gehe seit Jahren zurück, sagt Abou-Dakn. Auch dies sei ein Effekt, wenn Hebammen nicht genügend Zeit haben, länger bei der Frau zu bleiben.