Interview mit Fotojournalistin Barbara Klemm: „Ich schmuggelte mich ins Kanzleramt“
Sie richtete ihr Objektiv auf Diktatoren, Kanzler, Obdachlose und Models: Barbara Klemms Arbeiten zeigen Weltgeschichte. Jetzt wird die Fotojournalistin 80 Jahre alt.
Barbara Klemm, 79, ist eine der bekanntesten Fotojournalistinnen Deutschland. Sie richtete ihr Objektiv auf Diktatoren, Kanzler, Obdachlose und Models. Ihre Arbeiten zeigen Weltgeschichte. 30 Jahre war sie Redaktionsfotografin der FAZ und bereiste mehr als 60 Länder. Barbara Klemm lebt mit ihrem Mann, einem Psychoanalytiker, in einer Altbauwohnung im Frankfurter Westend.
An den Wänden hängen eine Picasso-Zeichnung, ein Bild von Meret Oppenheimer und ein Geschenk ihrer Fotografinnenfreundin Ellen Auerbach - vor allem aber Gemälde und Zeichnungen ihres Vaters, des Nachexpressionisten Fritz Klemm. Das eigene Archiv und die Dunkelkammer befinden sich in einem Nebenhaus. Dort hat Barbara Klemm auch an ihrem Buch "Zeiten Bilder" gearbeitet, das jetzt im Verlag Schirmer / Mosel erschienen ist und aus dem wir die nachfolgenden Fotos entnommen haben.
Frau Klemm, bis heute fotografieren Sie nur schwarz-weiß, ohne Blitz oder Kunstlicht, meist ohne Stativ. Warum?
Ich will beweglich sein und möglichst unauffällig. Auf eine Szene, die mich reizt, möchte ich sofort reagieren. Sonst ist der richtige Augenblick vielleicht schon vorbei.
Henri Cartier-Bresson sagte, es gehe immer um den „moment décisif“. Hängt der entscheidende Moment auch vom glücklichen Zufall ab?
Man muss dem selber Vorschub leisten. Ich bin oft Stunden angestanden, um bei einem Ereignis den entscheidenden Moment zu erhaschen – in der Ungewissheit, dreht sich der oder jene jetzt gerade mal um und ergibt sich daraus ein Bild, das etwas über den Augenblick hinaus erzählt. Oder man muss wahnsinnig schnell sein. Trotzdem kann es sein, dass ein Foto für die Betrachter ganz toll wirkt, ich jedoch weiß: Es ist nur das zweitbeste. Das beste wäre jener Moment gewesen, den ich nicht bekommen habe.
Oft hatten Sie das entscheidende Glück?
Manchmal hab ich’s ein bisschen erzwungen. Als Staatspräsident Pompidou 1974 in Paris beerdigt wurde, war das Drumherum interessanter als die offizielle Trauerfeier. Willy Brandt sollte zum Beispiel US-Präsident Richard Nixon zu einem Gespräch treffen. Also stand ich vor der amerikanischen Botschaft, bei der sich nur ab und an die Tür einen Spalt öffnete. Ich zeigte denen meinen Presseausweis, ohne Erfolg. Aber ich dachte mir: Du musst da jetzt rein! Irgendwann habe ich mich dann mit einem Pulk amerikanischer Fotojournalisten in die Botschaft gedrängelt und bin mit ihnen eine Treppe hochgerannt. Worauf für die Fotografen mit einem Schlag überall Scheinwerfer angingen!
Entstanden ist dennoch ein fast intimes Foto, auf dem Nixon im Jahr vor Watergate mit einem geradezu charmanten Lächeln verblüfft, während Brandt ihm Knie an Knie sehr reserviert gegenübersitzt.
Es war auch für mich eine Überraschung. Als das kurze Shooting schon zu Ende war, die Lichter wieder ausgingen und die amerikanischen Kollegen rausstürmten, fragte Nixon noch: „Ist auch jemand aus Deutschland da?“ Worauf ich den Finger hob, und Nixon sagte: „Please take a special picture.“ So wurde es dann speziell.
Willy Brandt hatten Sie im Jahr davor zusammen mit Leonid Breschnew beim ersten Bonn-Besuch des sowjetischen Generalsekretärs ähnlich konzentriert und nah in einer Verhandlungspause fotografiert.
Ich hatte mich mit der farbgleichen Zugangskarte zu einem anderen Termin ins Kanzleramt reingeschmuggelt, und die vier anderen anwesenden Fotografen waren wie üblich Männer. Breschnew rief aus: „Endlich mal eine Frau!“ Das wurde mir aus dem Russischen übersetzt.
Dieses Reinschmuggeln klingt angesichts des heutigen Security-Aufwands bei politischen Ereignissen märchenhaft.
Es war noch Bonn. Heute in der Berliner Republik haben es die Kollegen viel schwerer. Außerdem wurden seit den Anschlägen von Nine Eleven die Sicherheitskontrollen überall verschärft.
Hat Willy Brandt Sie später wiedererkannt?
Ich glaube schon. Er hat mir leise zugenickt. Bei ihm konnte ein Signal schon allein aus den Augenwinkeln kommen.
Oder von der kalten Schulter, die er seinem Nachbarn und baldigen Nachfolger Helmut Schmidt auf dem SPD-Parteitag 1973 zeigt – auch diese Aufnahme von Ihnen wurde zum Symbol.
Bei Parteitagen ist man sich ohnehin mehrfach begegnet. Aber ich habe nie persönliche Beziehungen entwickelt. Mir war es immer wichtig, eine gewisse Distanz und Objektivität zu wahren, gegenüber allen Menschen, die ich fotografiert habe. Sogar gegenüber großartigen Künstlern wie Beuys, Warhol oder dem kühlen, scheuen Anselm Kiefer, den ich erst nach vielen Anläufen in seinem Palais im Pariser Marais-Viertel und in seinen riesigen Atelierhallen auf dem Land besuchen durfte. Mit persönlicher Distanz bin ich freier, jemandem mit der Kamera nahezukommen.
Kamen Sie später nochmal so dicht an Willy Brandt heran?
Am 10. November, am Tag nach der Maueröffnung. Da habe ich in Berlin von Brandts erstem Treffen mit Ost-SPDlern im damaligen Christlichen Hospiz in der Albrechtstraße erfahren. Um die Ecke vom Schiffbauer Damm sah ich abends die schwarzen Westlimousinen stehen, ich bin rein, überall geschlossene Türen, und ich habe so lange die Klinken gedrückt, bis ich in dem Raum stand, wo Brandt saß, mit den ehemaligen Berliner Bürgermeistern Hans-Jochen Vogel und Dietrich Stobbe, und unter den Ost-Leuten erinnere ich mich an den unseligen Ibrahim Böhme …
… der später als Stasi-IM enttarnt wurde.
Sie ließen mich fotografieren, doch die Situation ergab keine richtig guten Bilder. Danach war ich so groggy, dass ich gefragt habe, ob ich in einem der Wagen mit zurück in den Westen dürfe. Willy Brandt hat sofort Ja gesagt, und ich konnte mit ihm über die Invalidenstraße zurückfahren. Brandt war bewegt, dass er die Maueröffnung noch hat erleben dürfen – und ich hatte das Gefühl, dass für mich der Anfang von allem bereits in dem Treffen von Brandt und Breschnew lag, das ich 1973 im Bonner Kanzleramt fotografieren konnte. Das war sehr berührend.
Am 10. November hatten Sie von Brandt schon tagsüber ein berühmtes Bild gemacht, als er, umringt von unzähligen Menschen, zur Mauer kommt. Die Aufnahme wirkt wie aus einer filmischen Perspektive erfasst, weil Sie die Szene in einer Draufsicht von oben fotografieren. Als hätten Sie einen Kran gehabt?
Nein, ich stand oben mit all den tanzenden jungen Leuten auf der Mauer, um von dort in den Osten hinüberzufotografieren. Beim Brandenburger Tor hatte ich eine an der Mauer stehende Leiter entdeckt, bin hochgeklettert, und kurz darauf sehe ich Brandt mit dem Bürgermeister Walter Momper und Dietrich Stobbe unter mir in der Menge. Später hörte ich auch, dass sich die SED-Führung am frühen Abend noch vorm Alten Museum versammeln wolle. Der ganze Lustgarten war voller Menschen, ich habe mich durchgedrängelt, bis ich vorne direkt gegenüber von Honeckers Nachfolger Egon Krenz stand. Gewundert habe ich mich, dass auch Gregor Gysi, der am 4. November bei der Großdemo am Alexanderplatz noch Reformen gefordert hatte, hier bei der alten Führung stand. Etwas abseits, doch offenbar verbandelt.
Ihr Bild von den Genossen, die sich nach der Maueröffnung noch mal mit erhobenen Fäusten Mut zusingen, wirkt wie ein Schwanengesang nach der legendären Bruderkuss-Szene zwischen Erich Honecker und Breschnew zehn Jahre zuvor.
Es war der 30. Jahrestag der DDR-Gründung, und aus dem damaligen Pulk der Fotografen gab es nur noch einen französischen Kollegen, der das Bild auch hatte. Er stand weiter hinten, hatte darum das Teleobjektiv drauf und erhaschte den Kuss als Close-up, das wurde zum Vorbild für das berühmte Mauergraffito der East Side Gallery. Bei mir sieht man noch die übrigen Genossen im Saal, auch Breschnews baldigen Nachfolger Tschernenko. Ich habe den sogar einzeln fotografiert, ohne zu wissen, wer er ist. Als er ernannt wurde, hatte die FAZ-Redaktion ein eigenes Bild von ihm. Das sind so Glücksfälle.
Was waren in Ihrer Arbeit als Fotojournalistin die härtesten Konkurrenzsituationen?
Das waren die Nächte bei den Bundestagswahlen, wenn die Ergebnisse kamen und die Spitzenpolitiker auftraten.
Den SPD-Spitzenkandidaten Gerhard Schröder haben Sie 1998 als Sieger in fast ekstatischer Jubelpose erwischt.
Alles in der Hitze des Gefechts. Denn wir armen Fotografen müssen uns bei solchen Anlässen gegenüber den viel dominanteren Fernsehteams behaupten.
Sie fotografieren bis heute nur analog. Ein Stück Ihrer Kunst liegt im Dunkeln. In der Dunkelkammer.
Die ist sehr wichtig. Natürlich muss das Negativ erst mal was hergeben. Doch dann geht es darum, einen Himmel etwas aufzuhellen, einem Schatten mehr sattes Schwarz zu geben. Oft muss ich lange nachbelichten, um Figuren im Hintergrund, wo es dünn wird, plastischer herauszuarbeiten. Diese Beschäftigung mit dem unfertigen Bild ist für mich unersetzlich. Wir hatten in der Zeitung auch Laboranten, aber wenn es drauf ankam, habe ich die Vergrößerungen und die Abzüge immer selbst gemacht. Auch für alle meine Ausstellungen.
Könnten Sie das mit Photoshop nicht viel leichter haben?
Leichter vielleicht. Nur mit einer anderen Qualität. Für mich hat ein Analogbild noch immer mehr Tiefe und atmosphärische Nuancen. Digitale Fotos sind kälter. In gewisser Weise perfekter. Da ich immer schwarz-weiß fotografiere, ergibt sich mit der Silbergelatine beim Abzug auf Fotopapier eine mehr malerische Tönung. Wenn ich vor 15 Jahren nicht aus dem täglichen Zeitungsbetrieb ausgeschieden wäre, hätte ich mich allerdings umstellen müssen.
Inzwischen ist alle aktuelle Fotografie in den Medien digital.
Das geht schneller und sicherer. Früher war es ja jedes Mal eine Zitterpartie, wenn man seine Filme von unterwegs zum Entwickeln verschickt hat. Als ich am Abend des 19. Dezember 1989 Helmut Kohls erste öffentliche Rede in Dresden vor der Ruine der Frauenkirche fotografiert habe, bin ich zum letzten Zug nach Frankfurt gerast und habe am Bahnsteig Leute angesprochen, ob sie gegen etwas Geld meine Filme für die Redaktion mitnehmen würden. Einer hat das dann gemacht, ein DDR-Bürger, der war erfreut über den kleinen Reisekostenzuschuss in D-Mark. Und die Bilder sind gut angekommen.
Hatten Sie für Ihren Beruf einzelne Vorbilder, auch Fotografinnen?
Es gab viele gute Fotografinnen aus den 20er oder 30er Jahren, die meisten von den Nazis vertrieben: Lotte Jacobi, Gisèle Freund oder Ellen Auerbach, eine Freundin meiner Mutter, sie waren zusammen in Karlsruhe auf der Akademie. 1933 emigrierte Ellen als Jüdin zuerst nach Palästina, dann nach London und New York. Ich hatte noch einen engen freundschaftlichen Austausch mit ihr und besitze einige Abzüge ihrer Bilder. Auch DDR-Kolleginnen wie Sibylle Bergemann, Helga Paris, Evelyn Richter habe ich früh geschätzt, ebenso Harald Hauswald oder Roger Melis. Deren Fotografien finde ich zum Teil besser als das, was es in den 70er, 80er Jahren im Westen gab.
Leni Riefenstahl?
Die war eine ingeniöse Filmemacherin. Nur völlig uneinsichtig, was ihre Rolle bei den Nazis betraf. Ihre später erfolgreichen Fotos mit den nackten Nubiern waren für mich eine Variante von Helmut Newton. Das ist nicht so mein Ding. Nein, es gibt viele andere Vorbilder, auch der große jüdische Fotograf Erich Salomon in den 20er Jahren, sein besonderer Blick auf Politiker und die Gesellschaft. Salomon hatte immer versucht, hinter die Kulissen zu blicken.
Wie das?
Na, er ist bei diplomatischen Empfängen im Frack reinmarschiert und hat alle überrascht. Einmal hat er bei einem Gerichtsprozess seinen Hut vor sich hingelegt und darunter die Kamera verborgen. In den Hut hatte er ein Loch gebohrt. Ich dachte mir, so was probier ich auch! Als Hermann Rudolph noch bei der FAZ war …
… der spätere Tagesspiegel-Chefredakteur und Herausgeber ...
… da bin ich als Jungfotografin 1970 mit ihm auf die Leipziger Messe gefahren, und wir kamen nie richtig an den Honecker heran. Also habe ich so lange die Hintertüren einer Messehalle abgeklappert, bis wir drinnen plötzlich an einem Biertresen landeten, und in der Nähe stand das halbe Politbüro. Als ich fotografierte, fiel das auf, und einige Kerle von der Sicherheit schmissen uns raus. Aber sie vergaßen, mir die Filme abzunehmen. So wurde das zum Aufmacherbild.
Salomons Kollege Alfred Eisenstaedt hat 1933 den NS-Propagandaminister Joseph Goebbels am Rande einer Konferenz in Genf fotografiert. Erst zeigt sich Goebbels gut gelaunt, dann flüstert ihm jemand zu, dass der Fotograf Jude sei, worauf Goebbels versteinert und einen hasserfüllten Blick in die Kamera schickt. Von Ihnen gibt es ein ähnliches Bild des chilenischen Diktators Augusto Pinochet, der Sie voller Misstrauen fixiert.
Ich hatte mit unserem Korrespondenten Walter Haubrich 1986 eine Südamerikareise gemacht. In Chile mussten wir uns bei der Einreise als Journalisten akkreditieren, und ich fragte nach einer Möglichkeit, Pinochet zu fotografieren. Die Antwort war Nein, weil sich Pinochet nicht von Fremden porträtieren lasse. Später erfuhren wir, dass Pinochet Soldaten öffentlich auszeichnen werde. Hier durften wir teilnehmen, aber Haubrich war an dem Tag verhindert, ich konnte kein Spanisch, dafür wurde mir ein Offizier mit Englischkenntnissen als Aufpasser an die Seite gegeben. Die Zeremonie fand auf einem großen Kasernenhof statt, die Generäle saßen auf einer Tribüne, und es dauerte, bis Pinochet erschien.
Wo waren Sie?
Ich stand wenige Meter entfernt, stundenlang, mit einem Teleobjektiv, es war heiß und wurde immer dunkler, ich war schon einer Ohnmacht nah – bis er in seinem Sessel zum ersten Mal kurz in meine Richtung blickte und mich mit dem Tele sah. Was ihm nicht sehr gefiel. Das war das Bild.
Ihr einziges Bild von der Diktatur in Chile?
Oh nein, wir hatten im Untergrund Gewerkschaftsfunktionäre besucht, waren in einem Haus für Kinder, deren Eltern verschleppt und verschwunden waren. Die Leiterin erzählte uns, dass ihr Mann kurz zuvor mit durchschnittener Kehle auf der Straße gelegen sei. Solche Geschichten, und dann steht man diesem Kerl gegenüber, und nichts kann man machen!
Das berührt die Moral des Berufs. Journalisten sollen hinsehen und berichten. Gibt es dennoch Bilder, die Sie bewusst nicht gemacht haben?
Ja. Ich muss zeigen, was ist, aber Bilder sollen keine Trophäen fremden Unglücks und Elends sein. Es kommt auf das Wie an. Ich bin nie Kriegsfotografin gewesen, und bei Reisen in Indien oder Afrika habe ich die Armut von Obdachlosen und Flüchtlingen dokumentiert, doch keine Aufnahmen von Sterbenden oder Toten gemacht.
Es gibt in Ihrem neuen Buch „Zeiten Bilder“ das Foto eines obdachlosen Mannes, der 2014 mit seinen drei Kindern auf einer Straße in Paris campiert. Haben Sie den Mann gefragt, ob Sie ihn mit seinen Kindern so fotografieren durften?
Nein, ich habe nie vorher gefragt. Es geht mir immer um die authentische Situation. Wenn, dann habe ich erst hinterher, nachdem ich mein Bild hatte, mit den Leuten gesprochen.
Und wenn der obdachlose Vater nicht so abgebildet hätte werden wollen?
Er hatte offenbar nichts dagegen, sondern lächelte, als ich ihm zum Dank etwas Geld gegeben habe. Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, ihn mit der Aufnahme zu verletzen, wäre das Bild nicht veröffentlicht worden. So zeigt es, wie zwei Welten zusammenstoßen. Das ist ein schmaler Grat und heute noch schwieriger, weil das stärker durchgesetzte Persönlichkeitsrecht am eigenen Bild dem spontanen Blick der Fotografen oft entgegensteht. Aber ich glaube nicht, dass ich jemandem etwas geraubt habe.
Auf einem Ihrer jüngsten Bilder zeigen Sie in der Staatsgalerie Stuttgart eine Szene vor Barnett Newmans Gemälde „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue“. Selbst das bleibt schwarz-weiß. Sie haben von Havanna bis Kalkutta an fernen Orten fotografiert – haben Sie dort nie die Farben gereizt?
Ich habe für das verblichene FAZ-Magazin ein paarmal auch in Farbe fotografiert. Schöne Bilder, und sie waren trotzdem nicht „meins“. In den Nuancen der Schwarz-Weiß-Fotografie steckt für mich mehr Konzentration auf das Wesentliche. Außerdem ist die Schwarz-Weiß-Fotografie mehr als nur zweifarbig. Im Grau stecken viele Töne.
Literarisch wäre das in etwa die Botschaft von Samuel Beckett.
Nicht der schlechteste Kronzeuge!
Beim Genre der Reportage wird inzwischen viel über Dichtung und dokumentarische Wahrheit diskutiert. Wenn Sie bei der journalistischen Fotografie eine besondere Bildkomposition gesucht haben, bestand da die Gefahr, das Bild der Wirklichkeit auch zu manipulieren?
Die Gefahr habe ich nie gesehen, ich hatte nie das Gefühl, zu manipulieren. Natürlich gehört zur Objektivität die Vielzahl der Bilder, und wenn ich eines als besonders geglückt aussuche, ist das meine subjektive Entscheidung. Es ist mein Blick, den ich anderen zeige. Aber: Diesen einen Blick hat es gegeben!
Seit Ihrer Pensionierung kennt man Sie vor allem durch zahlreiche Ausstellungen, etwa Ihre große Retrospektive 2013 im Berliner Gropius-Bau. Was fotografieren Sie denn heute?
Mich interessieren in letzter Zeit vor allem Landschaften – als thematische Motive. Vor fünf Jahren habe ich für eine Ausstellung Szenerien fotografiert, von denen Johann Wolfgang von Goethe einst Skizzen gemacht hat. Diese Gegenüberstellung ergab reizvolle Kontraste. Gerade bereite ich für das kommende Jubiläumsjahr zum 250. Geburtstag von Friedrich Hölderlin eine Ausstellung von Fotografien seiner biografisch-literarischen Orte vor, die ab April 2020 im Tübinger Hölderlin-Turm zu sehen sein wird. Ende Oktober kommt sie dann auch ins Berliner Literaturhaus.
Welche Ihrer Bilder mögen Sie besonders?
Oh, das ist schwer. Eines ist sicher Brandt mit Breschnew. Ein anderes vielleicht das von einer Modenschau in Paris – eine bezeichnende Geschichte.
Erzählen Sie bitte.
Haute Couture hat mich eigentlich nicht interessiert. Doch einmal zumindest wollte ich das auch machen. Dieses Hin- und Hergerase der Models ist ja ein ganz eigenes Ritual. Es war bei Versace, und die Fotografen standen alle aufgetürmt am Scheitelpunkt des Laufstegs, um die optimale Perspektive zu haben. Nur ich habe mich erst mal zum Beobachten an der unüblichen Längsseite gegen eine Säule gelehnt, wo Fotografieren nicht erlaubt war. Meine Kamera hatte ich in der Tasche. Im letzten Moment, als es im Zuschauerraum dunkel wurde, kam eine blonde junge Frau mit ihrem Tross und setzte sich mir gegenüber in die erste Reihe. Worauf sich der Pulk der Fotografen auf den Laufsteg stürzte, um Bilder von ihr zu machen. Ich wusste gar nicht, wer das war.
Tatsächlich?
Ja. Ich dachte nur, das wird schon eine wichtige Person sein. Als die Modenschau anfing, mussten die anderen Fotografen zurück auf ihre Plätze, während mich keiner beachtete. Ich habe ein oder zwei Filme verschossen. Die Models sollten die offenbar berühmte Zuschauerin nicht verdecken. Meine Redakteurin fragte hinterher nur: „Hast du Madonna?“ So erfuhr ich, wer die Dame war.
Peter von Becker
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