Schauspielerin Claudia Cardinale: „Ich ließ meine Verehrer reihenweise abblitzen“
Sie alle versuchten bei ihr zu landen: Marcello Mastroianni, Alain Delon, Marlon Brando. Und als Claudia Cardinale mit Henry Fonda drehte, kam dessen Frau als Wachhund hinzu.
Frau Cardinale, Sie sind vor allem für zwei Dinge berühmt: zum einen dafür, dass Sie trotz Ihres Sexsymbol-Images nie nackt auf der Leinwand zu sehen waren. Und …
... ja, weil ich meinen Körper nicht verkaufen wollte. Und weil ich immer fand, dass es viel erotischer ist, wenn man der Fantasie noch ein wenig Raum lässt und gewisse Details nur andeutet, anstatt alles zu zeigen.
Zum anderen werden Sie dafür bewundert, dass Sie in Würde gealtert sind, ohne jemanden an Ihrem Gesicht herumschnippeln zu lassen.
Schon allein die Idee einer Schönheitsoperation war mir stets zuwider: Wollen wir wirklich, dass sämtliche Frauen gleich aussehen? Dass alle diese grässlichen riesigen Münder haben? Nein! Ich halte es für vollkommen schwachsinnig, sich liften zu lassen. Den natürlichen Alterungsprozess kann man sowieso nicht aufhalten. Insofern ist es doch viel gesünder, sich bewusst zu machen, dass wir alle auf dieser Welt nur zu Gast sind. Ich bin überzeugt davon, dass man sich am ehesten jung und frisch fühlt, wenn man aktiv bleibt und das tut, was man liebt. Schon meine Mama hat das erkannt. Sie hat immer gesagt: „Solange du lachend durchs Leben gehst, merkt keiner, dass du alt wirst!“
Sie sind in Tunesien geboren und aufgewachsen.
Meine Großeltern waren aus Sizilien dorthin ausgewandert. In der Nähe von Tunis gab es nicht nur eine große italienische Gemeinde, sondern auch viele Russen. Bei uns nebenan lebte eine attraktive Adelige, eine Nachfahrin der Zaren, die von praktischen Dingen keine Ahnung hatte, weil sie es gewohnt war, mit großem Gefolge in irgendwelchen Palästen zu residieren. Darum bat sie ständig meinen Vater um Hilfe. Meine Mutter war extrem eifersüchtig auf sie.
Wann und wie wurden Sie in Nordafrika vom Filmfieber gepackt?
Überhaupt nicht. In meiner Kindheit war ich eher wie ein Junge, ein richtiger Wildfang, und ich habe mich auch dauernd mit Jungs geprügelt, um zu beweisen, dass ich stärker war als sie. Mein Vater hat mir extra einen Schulranzen geschenkt, den sonst nur Knaben trugen. Schon damals war ich extrem abenteuerlustig – jede Art von Gefahr zog mich magisch an. Ich fuhr täglich mit dem Zug zur Schule nach Karthago, fand es aber zu langweilig, wie ein normaler Mensch am Bahnhof einzusteigen. Stattdessen sprang ich immer auf den fahrenden Zug auf.
Kaum jemand dürfte Ihren Namen mit dem Bild eines Jungen assoziieren – schließlich hatten Sie stets eine sehr weibliche Figur und wirkten nie so dürr und knabenhaft wie manche Ihrer heutigen Kolleginnen.
Das stimmt, dürr war ich nie. Ich glaube, das habe ich meiner Mutter zu verdanken: Sie hat mich immer gezwungen, so lange am Tisch sitzen zu bleiben, bis ich brav aufgegessen hatte. Damals war ich übrigens felsenfest davon überzeugt, ich sei extrem hässlich.
Sie scherzen.
Nein, ganz im Ernst! Meine Schwester war nämlich wunderhübsch, blond und blauäugig. Sie wollte unbedingt zum Film, ich nicht. Dass ich entdeckt wurde, war purer Zufall. Mit 18 habe ich meine Schwester und unsere Mama nur widerwillig zu einem Wettbewerb begleitet, bei dem das schönste italienische Mädchen Tunesiens gesucht wurde. Plötzlich zerrte mich ein Mann auf die Bühne, und ehe ich wusste, wie mir geschah, wurde ich zur Siegerin erklärt: Man legte mir eine Schärpe um den Hals, und ich gewann eine Reise zu den Filmfestspielen von Venedig.
Dort blieben Ihre Starqualitäten nicht länger verborgen. Allerdings wurden Sie in Ihren ersten Filmen immer von anderen Darstellerinnen synchronisiert. Wie fühlte sich das an?
Schrecklich. Oft habe ich mich auf der Leinwand gar nicht wiedererkannt. Erstens hatte ich schon damals eine sehr dunkle, raue Stimme wie ein Mann, und zweitens sprach ich Italienisch mit starkem französischen Akzent. Aufgewachsen war ich mit Französisch, Arabisch und dem sizilianischen Dialekt meiner Eltern. Richtiges Italienisch lernte ich erst allmählich am Filmset – dort kapierte ich anfangs kaum, was man mir zurief. In Federico Fellinis „Achteinhalb“ konnte man zum ersten Mal meine eigene Stimme hören.
"Sie haben es gehasst, dass sie mich teilen mussten"
1963 waren Sie nicht nur in „Achteinhalb“ zu sehen, sondern auch in einem weiteren Meisterwerk: in Luchino Viscontis Epos „Der Leopard“. Stimmt es, dass sich die beiden Regisseure hassten?
Ja, sie waren große Rivalen. Sie haben es vor allem gehasst, dass sie mich teilen mussten. Denn die beiden Filme wurden gleichzeitig gedreht. Ich pendelte also Woche für Woche zwischen dem „Achteinhalb“-Set in Rom und den Dreharbeiten zu „Der Leopard“ in Sizilien hin und her. Zudem musste ich permanent meine Haare umfärben: Fellini wollte sie blond, Visconti hingegen pechschwarz. Die beiden hätten kaum unterschiedlicher sein können.
Wie äußerte sich das?
Visconti war ein Perfektionist, der jeden einzelnen Satz wie beim Theater akribisch proben ließ. Bei Fellini gab es nicht einmal ein Drehbuch – alles war komplett improvisiert: Federico rief mir vor laufender Kamera irgendwelche Sätze zu, und was Sie im Film hören, sind meine spontanen Antworten.
Welche Arbeitsweise lag Ihnen näher?
Die von Fellini. Bei Visconti herrschte eine todernste, angespannte Atmosphäre der Konzentration – niemand durfte ungefragt ein Wort sagen. An Fellinis Set ging es locker, laut und chaotisch zu wie bei einem Zirkus. Federico konnte Stille nicht ertragen. Er war sehr liebevoll im Umgang mit mir: Vor den Dreharbeiten kam er jeden Tag zu mir nach Hause, um mich in die Kunst der Improvisation einzuweihen, und er gab mir stets das Gefühl, ich sei das Zentrum seines Universums.
Im selben Jahr drehten Sie an der Seite von Peter Sellers „Der rosarote Panther“. Wie war Ihre Begegnung mit dem legendären Komiker?
Seltsam. Solange die Kamera lief, hatten wir alle einen Mordsspaß mit ihm – man kam kaum aus dem Lachen heraus. Doch sobald die Kamera abgeschaltet war, zog er sich in eine Ecke zurück, offenbar umwölkt von düsteren Gedanken, und sprach mit niemandem ein Wort. Auf mich wirkte er wie ein unglücklicher Mann, der sich auch über seinen Erfolg nicht freuen konnte.
Seitdem haben Sie mit fast allen großen Stars gearbeitet. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?
Schwer zu sagen. John Wayne kam mir vor wie ein Riese – schon allein seine Hand dürfte ungefähr dreimal so groß gewesen sein wie meine. Cary Grant war vielleicht der sympathischste Kollege von allen, Sean Connery der faszinierendste.
Und wer hat am besten geküsst?
Die lebhafteste Erinnerung habe ich an meine Filmküsse mit Alain Delon in „Der Leopard“. Alain war ein unfassbar schöner junger Mann, und bevor wir unsere Kuss-Szenen drehten, flüsterte mir Visconti ins Ohr: „Ich will deine Zunge sehen!“ Im Laufe der Jahre hat Alain immer wieder geseufzt: „Ach, Claudia, ist es nicht ein Jammer, dass wir nur auf der Leinwand eine Liebesaffäre hatten?“ Mit ihm verband mich allerdings nicht mehr als eine enge Freundschaft, wie mit fast allen meinen Filmpartnern.
Waren Sie mit Ihren weiblichen Filmpartnern auch befreundet? Oder gab es etwa einen Kleinkrieg zwischen Ihnen und Brigitte Bardot?
Das hätte die Boulevardpresse wohl gern gesehen: Unser gemeinsamer Film „Petroleum-Miezen“ wurde zum Kampf „BB gegen CC“ hochstilisiert. Dutzende Paparazzi lauerten am Set, weil sie hofften, wir würden uns gegenseitig zerfleischen. Doch wider Erwarten haben wir uns glänzend verstanden. In meinen Augen war sie ohnehin die schönste Frau der Welt – so, wie Marlon Brando für mich der tollste Mann auf unserem Planeten war. Ich habe bloß den Fehler gemacht, dies öffentlich zu verkünden.
Inwiefern?
Brando erfuhr davon. Als ich nach Hollywood kam, spürte er mich im Hotel auf, klopfte an meine Zimmertür und wollte mich verführen. Aber ich durchschaute sein Spiel, musste furchtbar lachen und verdarb dadurch die Stimmung. Als ich ihn hinauskomplimentiert hatte, dachte ich: „Mensch, Claudia, du bist wirklich bescheuert!“
Bereuen Sie es, die Gelegenheit verpasst zu haben?
Nein, ich bereue gar nichts. Ich wollte nie Arbeit und Privatleben vermischen – meine Unabhängigkeit war mir heilig. Darum habe ich meine Verehrer reihenweise abblitzen lassen. Der hartnäckigste von ihnen war Marcello Mastroianni: ein Charmebolzen, ein klassischer Latin Lover, ein Jäger und Sammler, der mich zeit seines Lebens verfolgt hat. Ich konnte nicht glauben, dass seine Liebe zu mir echt war. Und ich habe seine Gefühle nie erwidert.
Was verbindet Sie mit dem Kostümbildner Piero Tosi, dessen Ehren-Oscar Sie in diesem Jahr entgegengenommen haben?
Piero leidet unter Flugangst und bat mich deshalb, den Preis für ihn abzuholen. Er hat einige meiner schönsten Kostüme entworfen, etwa das weiße Ballkleid in „Der Leopard“ – ein Traum aus Tüll und Organza. Das Korsett war so eng, dass ich weder essen noch auf die Toilette gehen konnte. Aber Pieros Kreationen haben mir stets geholfen, mich in meine Filmfiguren zu verwandeln. Leider durfte ich in meiner gesamten Laufbahn nur ein einziges Kostüm behalten: Sergio Leone schenkte mir das sexy Kleid aus „Spiel mir das Lied vom Tod“.
Ein Kultfilm! Wie waren die Dreharbeiten?
Fabelhaft. Ennio Morricone hatte seine berühmte Filmmusik schon vor Drehbeginn komponiert, so dass Sergio uns bei jeder Szene die entsprechende Musik vorspielen konnte. Das war fantastisch. Außerdem habe ich es natürlich sehr genossen, die einzige Frau im Ensemble zu sein. Ich erinnere mich insbesondere an meine erotische Szene mit Henry Fonda: Er gestand mir, dass er noch nie eine Liebesszene gedreht hatte. Seine Frau wurde extra eingeflogen – als Wachhund. Sie postierte sich direkt neben der Kamera und starrte mich die ganze Zeit an. Eine ziemlich skurrile Situation.
"Werner Herzog hat mir das beste Abenteuer meines Lebens beschert"
Ihre bizarrsten Dreharbeiten dürften indes die zu Werner Herzogs „Fitzcarraldo“ gewesen sein.
Ja, aber zugleich hat mir Werner damit das beste Abenteuer meines Lebens beschert. Ich bin ein Risiko-Junkie – und beim Dreh im peruanischen Dschungel war es herrlich gefährlich: Überall lauerten wilde Tiere, die unerträgliche Hitze trieb das Team in den Wahnsinn, und außer ein paar seltsamen Insekten gab es nichts zu essen. Wir hatten schon den halben Film mit Jason Robards als Hauptdarsteller hinter uns, als der arme Kerl endgültig durchdrehte. Er kletterte auf einen hohen Baum und brüllte, er würde erst wieder herunterkommen, wenn er ein Steak bekäme. Wir mussten die Dreharbeiten abbrechen und begannen schließlich von vorn. Ausgerechnet mit Klaus Kinski, der bekanntlich noch durchgeknallter war als Jason.
Hatten Sie Angst vor Kinski?
Angst? Ich? Vor ihm? Ach was! Ich glaube, er hat sich vielmehr vor mir gefürchtet. Jedenfalls kam ich gut mit ihm klar. Ich habe freilich auch ein Faible für verrückte Typen. Schließlich bin ich selbst ein bisschen bekloppt: Ich liebe gefährliche Situationen und war immer ganz heiß darauf, sogar die tollkühnsten Stunts höchstpersönlich zu übernehmen. Bei „Die gefürchteten Vier“ ließ ich mich nicht davon abbringen, mitten durch explodierende Bomben im Gebirge zu reiten, obwohl ich nie zuvor ein Pferd bestiegen hatte. Bescheuert, ich weiß.
Wie hat sich das Kino Ihrer Meinung nach in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Früher war das Filmemachen ein großes Abenteuer, heute ist es nur noch ein Geschäft. Früher gab es für Frauen großartige Rollen, heute sind wir bloß einer von vielen Spezialeffekten.
Warum drehen Sie dann trotzdem unermüdlich weiter? Letztes Jahr kam „Joy de V.“ in die amerikanischen Kinos, dieses Jahr konnte man Sie in „Der stille Berg“ sehen, eine österreichisch-italienisch-amerikanische Produktion aus der Zeit des Ersten Weltkrieges.
Weil ich das Herumsitzen hasse und die Schauspielerei liebe. Ich genieße es, dass ich vor der Kamera so viele verschiedene Leben durchleben kann: von der Prostituierten bis zur Prinzessin. Allerdings muss man für diesen Job innerlich sehr stark und gefestigt sein. Andernfalls weiß man bald nicht mehr, wer man wirklich ist. Meine Persönlichkeit war zum Glück immer stark genug, um sich auch von einer Horde wilder Männer am Set nicht einschüchtern zu lassen.
Was wäre aus Ihnen geworden, wenn man Sie nicht bei dem Schönheitswettbewerb in Tunis entdeckt hätte?
Als Jugendliche träumte ich davon, die ganze Welt zu entdecken. Im Prinzip konnte ich mir diesen Traum erfüllen: Ich habe auf fünf verschiedenen Kontinenten gedreht und dabei Unvergessliches erlebt – zum Beispiel Sonnenuntergänge mit Baby-Kängurus in der australischen Wüste. Ich finde es sehr wichtig, so viel wie möglich zu reisen, fremde Kulturen kennenzulernen, dadurch seinen Horizont zu erweitern. Wir Menschen sind einander weit ähnlicher, als wir vielleicht denken. Das hat sich bereits bei einem prägenden Ereignis in meiner frühen Kindheit gezeigt, durch meine Reisen hat sich diese Erkenntnis verfestigt.
Was war das für ein Kindheitserlebnis?
Während des Zweiten Weltkrieges landeten an einem Tag plötzlich britische Marinesoldaten mit Booten bei uns an der tunesischen Küste. Als sie uns Kinder am Strand erblickten, brachen sie in Tränen aus, umarmten uns und gaben uns etwas zu essen. Weinende Männer, die fremde Kinder auf dem Arm hielten und küssten – dieses Bild hat sich damals in mein Hirn eingebrannt. Natürlich habe ich erst viel später verstanden, dass die Soldaten in jenem Moment offenbar an ihre eigenen Kinder denken mussten, die sie in ihrer Heimat zurückgelassen hatten.
Sie haben Italien schon vor einiger Zeit verlassen und sind nach Frankreich gezogen.
Zunächst wollte ich meiner Tochter eine bessere Schulbildung ermöglichen. Sie hat eine bilinguale Schule in Paris besucht, in der Englisch und Französisch gesprochen wurde und später in London studiert. Ich bin seither in Paris geblieben, denn dort lassen mich die Paparazzi in Ruhe.
Interview: Marco Schmidt
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