Tunesien: Am Boulevard der Freiheit
Gassengewirr im Souk, reich verzierte Minarette und französisches Flair: Wie Tunis Touristen zum Staunen bringt.
Das Herz von Tunis schlägt an der Place de la Victoire. Mit der mittelalterlichen Porte de France verbindet sie die beiden Herzkammern von Tunis: die Medina aus dem 8. Jahrhundert und die Neustadt aus dem späten 19. Jahrhundert. Menschen flanieren oder eilen vorbei an prächtigen Fassaden, die Cafés sind mit Müßiggängern und Geschäftsleuten gut ausgelastet. Es herrscht eine entspannte südländische Atmosphäre, eine, von der viele Urlauber träumen.
Die Porte de France heißt eigentlich Bab el Bahr (Hafentor) – heute ein bedeutendes, allerdings freistehendes Stadttor. Die Mauern drumherum hatte die französische Protektoratsmacht schleifen lassen. Weiterer Blickfang am Platz: der prächtige Bau der ehemaligen britischen Botschaft im maurisch-andalusischen Stil, mit Zinnen und Kacheln auf der Fassade. Von 1662 bis 2004 gab es hier eine britische Vertretung. Die Renovierung dieses mächtigen Schmuckstückes steht kurz vor dem Abschluss.
An der Place de la Victoire verabredet sich tout Tunis, hier beginnt die Avenue de France, die schnurgerade nach Osten führt, um an der Place de l’Indépendance in die Avenue Bourguiba überzugehen, den Champs-Élysées von Tunis. Richtung Westen hingegen bilden zwei schmale Gassen den Zugang in die am besten erhaltene Medina der islamischen Welt: enge, quirlige Gassen, in denen sowohl Touristen als auch Einheimische finden, was sie begehren – oder begehren sollen.
„Willkommen in Tunis. Wir demonstrieren – wie in Deutschland, wir sind frei“, ruft begeistert ein Hauptstädter, als er die deutschen Touristen am Platz des 14. Januar 2011 erspäht – ein friedlicher Demonstrationszug arbeitsloser Akademiker schiebt sich soeben über den großen Platz, der vom 7. November, dem Tag von Ben Alis Machtergreifung, auf den Tag der Revolution umgetauft worden ist. Die Polizei ist mit großem Aufgebot präsent, gleichwohl herrscht eine fröhliche, fast ausgelassene Stimmung.
Gleich gegenüber, an der Avenue Bourguiba, befindet sich das Innenministerium. Es ist noch mit Stacheldrahtrollen, Schützenpanzern und Polizeiketten gesichert. Ebenso ein Teil des Mittelstreifens dieser Prachtstraße mit ihren Jugendstil- und Gründerzeitfassaden. Unter den eckig gestutzten Bäumen reiht sich Café an Café. Vornehmlich Männer sitzen hier, doch an einigen Tischen haben auch Frauen Platz genommen.
Spuren der neuen Zeit sind an Hauswänden zu sehen
Der Besucher glaubt einen Hauch von Paris zu verspüren, wenn er diesen belebten Boulevard in Richtung Medina entlangschlendert. Links und rechts zweigen schnurgerade, zum Teil baumbestandene Straßen ab, die Fassaden sind tipptopp in Schuss. Hier hatten die Franzosen in der Protektoratszeit ihre Neustadt errichtet, dort, wo schon im 16. Jahrhundert europäische Kaufleute vor den Toren der Medina ihre Niederlassungen hatten. Tunis trieb lebhaften Handel mit allen Mittelmeeranrainern. Bis zur Unabhängigkeit 1956 waren mehr als 25 Prozent der Einwohner Franzosen, Italiener, Griechen, Malteser.
Auf der Dachterrasse im 11. Stock des scheußlich-schönen Hotels El Hana International lässt sich in der Bar Jamaica bei einem Drink ein atemberaubender Blick über die weiße Stadt genießen. Ein Besuch lohnt sich zur ersten Orientierung. Wie ein grünes Band durchschneidet die Avenue Bourguiba die Neustadt, erbaut im Schachbrettstil. Gegenüber dem Hotel liegt das Theater von 1902, ein weißer Jugendstilbau mit einem außergewöhnlichen Fassadenrelief des französischen Künstlers Jean-Baptiste Belloc. Ein wenig weiter rechts die jetzt schwer gesicherte französische Botschaft an der Place de l’Indépendance, an der auf der anderen Seite die mächtige zweitürmige Kathedrale Saint-Vincent-de-Paul von 1897 liegt. Dort wurde 1998 der Papst Johannes Paul II. empfangen.
Wie ein Zeichen der Toleranz steht inmitten der Stacheldrahtrollen und Armeefahrzeuge in der Mitte des Platzes die Statue des Historikers, Philosophen und Soziologen Ibn Khaldun, der in Tunis geboren wurde und einer der ganz großen Gelehrten im islamischen Mittelalter war. Auch er wird hoffentlich wieder bessere Zeiten erleben und auf der kleinen Grünanlage ungehindert zu besuchen sein, wenn Tunesien seinen Weg der demokratischen Entwicklung erfolgreich weitergeht. Die Tunesier reagieren fast allergisch auf die Zwischenfälle mit den Salafisten rund um die Amerikanische Schule. Sie wollen sich von ihnen nicht die Errungenschaften der Revolution zerstören lassen.
Spuren der neuen Zeit findet man auch in den engen sauber gefegten Gassen der Medina, die mit ihren weißen Wänden und hellblau abgesetzten Türen und Fenstern einen heiteren Eindruck vermittelt. An Hauswänden sind noch die schwarzen Rahmen zu sehen, in denen die Plakate der ersten freien Wahlen klebten. Mehr als 100 wurden da bestückt. Künstler haben dieses Motiv jetzt aufgenommen und daraus eine Foto-Performance gemacht. Die Bilder kleben in den schwarzen Rahmen und sind inzwischen ähnlich ab- und angerissen wie die Wahlplakate. Hin und wieder gibt’s auch fröhliche Wandmalereien, die ein friedliches, solidarisches Volk auf dem Weg zu Demokratie und Freiheit zeigen.
Warum wissen deutsche Reisende so wenig von Tunis?
Touristen werden freundlich angesprochen. Die Menschen sind froh, dass wieder mehr Besucher kommen. Das obligatorische Handeln und Feilschen im Souk fällt etwas schwerer, weil man weiß, dass die Geschäfte in jüngster Vergangenheit eher schlecht liefen. Die Medina ist gut erschlossen und mit zweisprachigen Straßenschildern versehen. Das Fremdenverkehrsamt gibt sogar einen detaillierten Stadtplan heraus, mit dem man sich zurechtfinden kann und der die Hauptsehenswürdigkeiten der Altstadt beschreibt.
Eingebettet im Gewirr der Gassen liegt die Zitounia-Moschee. Von der Porte de France führt die Rue Jamaa Zitounia direkt auf die Moschee zu, die mitten in der Medina von außen gar nicht richtig zu erfassen ist. Man gelangt über eine Treppe in die Loggia der Großen Moschee und gegen Eintrittsgeld ist das Betreten eines kleinen Teils des Innenhofs gestattet, der aber den Blick auf das ganze Ensemble freigibt, vor allem auf das mächtige Minarett im spanisch-andalusischen Stil. Die Olivenbaummoschee (Djamaa ez-Zitouna), wie sie auch genannt wird, ist das älteste Gebäude der Stadt. Der Bau in seiner jetzigen Form geht auf das 10. Jahrhundert zurück, in dem auch die Galerien zugefügt wurden. Die 184 Säulen sollen zum Teil aus Karthago stammen, das heute ein Vorort von Tunis ist. Im Stil erinnert sie an die bedeutendere Moschee von Kairouan.
Einen Einblick in das Alltagsleben von Tunis bietet das Volkskunstmuseum Dar Ben Abdallah. Es wirkt wie viele Paläste der Stadt von außen unscheinbar und entfaltet erst im Innern seine ganze Pracht. Wem nach dem Gang durch die Altstadt nach einem stilvollen Abendessen zumute ist, dem sei Dar Hamouda Pacha aus dem 17. Jahrhundert empfohlen. Auch dieser Palast wirkt bescheiden von außen, doch innen öffnet sich ein hoher Hof mit Kacheln, Säulen und umlaufender Galerie. Hier lässt sich königlich speisen, war doch Hamouda Pacha ein bedeutender Bey von Tunis. Stolz zeigt Moez ben Dhia, der in Köln studiert hat, das Ölporträt des ehemaligen Herrschers aus dem 17. Jahrhundert. Tunis hat noch viele solcher Schätze zu bieten, manch ein Haus wird auch jetzt wieder restauriert und zum Hotel oder Restaurant umgebaut.
Warum wissen deutsche Reisende oft so wenig von Tunis? Mit nur zweieinhalb Flugstunden von Berlin entfernt bietet es sich als Städteziel für ein langes Wochenende doch an. „Das war so gewollt, sowohl von Bourguiba als auch von Ben Ali“, erklärt Salah Belhouane, der aus seinem Familiensitz von 1825 das schicke Boutiquehotel Dar el Medina gemacht hat. „Sie wollten Touristen, aber bitte nur am Strand und im Süden am Rand der Wüste, aber nicht in der Hauptstadt“, sagt er. Bloß keinen Kontakt und damit auch keine neuen Ideen. Das wird sich bald ändern, wenn die Lage stabil , das Flugangebot verbessert wird. Dann werden auch Städtetouristen Tunis friedlich erobern wollen.
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