Interview mit Funny van Dannen: "Hühner habe ich immer als arrogant empfunden"
Er singt von bärtigen Delfinen, Laktoseintoleranz und Zoff mit Wolfgang Schäuble. Warum auch Nazis seine Lieder trällern dürfen und er kein Handy benutzt.
Funny, Sie singen und schreiben auf Deutsch, dabei ist Ihre Muttersprache Limburgisch, das man im Dreiländereck zwischen den Niederlanden, Deutschland und Belgien spricht. Wie klingt das eigentlich?
Lautmalerischer als Deutsch, saftiger. Frosch heißt Quackert. „Fien wie Puppenstruin“ – fein wie Puppenscheiße. „Eine Faust größer als ein Ferkel“, sagt meine Mutter über kleine Menschen. Die Sprache ist eng mit dem Bäuerlichen verbunden. Und deshalb zum Teil ausgestorben. Ick spreke dat noch.
Ihre ersten Songs haben Sie in diesem Dialekt geschrieben.
Meine Vorbilder waren die Troubadours. Leute, die zur Gitarre Lieder singen.
Die „Zitty“ hat sich mal bei Ihnen bedankt für die Neudefinition des Schlagers. Das haben Sie abgelehnt. Machen Sie Kinderlieder für Erwachsene?
Auch nicht. Oft bringen Leute Kinder mit ins Konzert. Finde ich nicht so gut. Meine Lieder haben nur kindliche Anteile. Albernheit war doch schon in der Schule eine Notwehr gegen die Ödnis. Einmal schrieb mir eine Frau eine rührende Mail. Deren zwei Kinder waren entwicklungsverzögert. Die Familie hatte einen Song entdeckt, den die Toten Hosen von mir übernommen haben: „Menschenverachtende Untergrundmusik“. Das waren die ersten Worte dieser Kinder.
Sie bezeichnen sich als katholischen Künstler.
Das sind Prägungen, die kann man nicht abschütteln. Schon das bildhafte Denken. Heiligenbilder, Plastiken. Ich hab’ als Kind seitenweise Hirten und Könige gezeichnet und vor Weihnachten in Ton geformt. Und biblische Geschichten total gerne gehört. Herodes war für mich Karo König, so Sachen.
Trotzdem sind Sie zur Enttäuschung Ihrer Mutter aus der Kirche ausgetreten.
Weil ich generell gegen Institutionen bin. Vor allem gegen religiöse Organisationen, die die Menschen trennen. Ich bin zwar Atheist, aber ein religiöser Mensch. Ich glaube an Menschen. Ich sehe das Böse, doch ich möchte an das Gute glauben.
Glauben Sie an Himmel und Hölle?
Wenn, dann hat man die zu Lebzeiten. Wenn man tot ist, ist man einfach tot. Ich war gerade in der Berliner Gemäldegalerie, die Spanier zu Velázquez’ Zeiten, und da liegt ein toller Jesus. Von einem Künstler Fernandez, kannte ich gar nicht. Der ist sowas von tot! Ich habe mit dem Tod keine großen Probleme. Das wird manchmal überbetont, als sei Sterben ein Motor im Leben oder sowas.
Was halten Sie vom aktuellen Papst?
Er ist okay. Ich habe nicht damit gerechnet, dass er lange überlebt, weil der Machtapparat Vatikan bestimmt nicht glücklich mit ihm ist. Ich hoffe, dass er die ganzen dogmatischen Säcke noch lange ärgert.
Schadenfreude?
Nicht meine Art. Aber wenn die etwas nervös werden, das finde ich gut, ja.
In Ihren Songs sind häufig Politiker die Protagonisten. Schröder, Putin, jetzt haben Sie im Lied von Wolfgang Schäuble geträumt.
Lässt sich nicht verhindern. Die kommen einfach im Leben vor wie der Wind und die Wolken. Das nostalgische Willy-Brandt-Lied war eine Reaktion auf Kohls dritte Wiederwahl. Ich konnte es beim ersten Mal schon nicht fassen, dass so ein Döspaddel unser Bundeskanzler wird.
Ist es ein Ausdruck von Hilflosigkeit, auf politische Missstände mit Musik zu reagieren?
Der Schäuble-Song ist natürlich ein Zeichen von Ohnmacht. Die große Politik bringt irgendwas auf den Weg, und man kann nichts daran ändern. Ich kenn es ja aus meiner Heimat, das Problem mit dem Tagebau zum Beispiel. Die baggern einfach ganze Dörfer weg, jahrhundertealte Traditionen. Da ist nicht mal ein Pastor, der sagt: Leute, ich verreck’ hier eher, als dass ihr mein Gotteshaus einreißt. Das ist ein eklatantes Versagen der Kirche. Unverzeihlich. Sogar die Grünen haben diese Scheiße mitgemacht. Was da an Natur verloren geht, an Verwurzelung von Menschen! Ich finde aber: Ein Lied kann die Welt verändern. Wenn man ein schönes Lied im Radio hört, das verändert einem doch alles.
"Hitler steht auch im Lexikon"
Auf Ihrem neuen Album singen Sie: „Nach dem Holocaust mussten wir uns schämen und dafür den Islam zu uns nehmen“ oder davon, Kinderschänder einzuschläfern. AfD-Positionen.
Das soll so ambivalent sein. Ich stelle das mal so dahin. Was davon jetzt meine eigene Meinung ist …
Sie riskieren, dass man Sie missversteht, vielleicht zweckentfremdet.
Ich glaube, die Leute wissen schon, was ich meine.
Jan Delay sang: „Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt“.
Doofer Satz. Ich fänd’ das geil, wenn irgendein Nazi plötzlich unter der Dusche ein Lied von mir trällert. Vielleicht sickert dann in die blöde Birne was Positives. Einen Versuch wäre es wert.
Sie haben sich öfter kritisch zum Islam geäußert.
Auf meinem Dorf waren Pastor und Lehrer die Autoritätspersonen. Ich war immer gegen das übermäßige Bestimmen der Kirche. Ich finde nicht alle Ideen des Islam fortschrittlich, und wir sollten unsere gesellschaftlichen Errungenschaften nicht preisgeben. Ich habe lange in Kreuzberg gewohnt, alles immer multikulti-prima-prima. Alles Deutsche war scheiße, alles Ausländische gut. Wenn man auf Vollversammlungen im Kindergarten gesagt hätte: „Wäre vielleicht nicht schlecht, die türkischen und arabischen Frauen lernten Deutsch“, hätte es sofort den Nazi-Vorwurf gegeben.
Die „FAZ“ hat Sie 2012 in einem Nebensatz als Bundespräsidenten ins Spiel gebracht. Interessiert?
Nee. Ich bin kein Politiker. Diese ganzen Ränkespielchen, das wäre mir zuwider.
Sie wussten ohnehin früh, dass Sie Künstler werden wollen, haben knapp vor dem Abi die Schule geschmissen. Was hat Sie so angekotzt?
Lehrer. Im besten Falle Fachidioten. Mein Mathelehrer zum Beispiel, der war der Bruder vom Landtagsabgeordneten, CDU. Er war großer Franz-Josef-Strauß-Fan, schwadronierte dauernd, ich seh’ ihn noch vor mir, im Nylonhemd, darunter sein zerfetztes Unterhemd, ein echt verwegener Typ. Ich sagte: Nun lassen Sie uns doch mal Mathe machen. Obwohl ich schlecht darin war. Da erhob er sich leidenschaftlich vom Tisch: „Hagmanns, der Strauß, der steht im Lexikon und Sie nicht!“ Und der Hitler, der steht auch im Lexikon, sagte ich.
Ganz schön frech.
Eigentlich bin ich eher schüchtern. Doch wenn ich finde, dass etwas nicht ok ist, kann ich mutig sein. Mein Vater sagte immer: Kein Mensch hat sich selbst gemacht. Eigenheiten wurden akzeptiert. Meine Mutter hat relativ wenig Bildung, trotzdem ’ne große Herzenswärme. Ihrer Familie gehörte eine Gaststätte, da saßen in der Küche Leute, denen es nicht so gut ging. Meine Oma schmierte ihnen Brote, mein Opa saß daneben und hatte Parkinson.
Familie ist Ihnen wichtig. Ihre Frau haben Sie nach nur sechs Wochen geheiratet.
Weil es nicht schneller ging. Sie brauchte aus Polen noch Papiere, sie ist aus Schlesien.
Ihre vier Söhne sind 33, 30, 29 und 19. Wäre eine Tochter mal ganz schön gewesen?
Wir hatten drauf gehofft. Wenigstens mal ’ne andere Haarfarbe, dachten wir. Doch er hat wieder blonde Haare und, naja, braune Augen. Wie wir alle. Ich habe mal in Bayern eine Frau getroffen, deren Mutter kam aus einer Familie: 14 Töchter, der 15. war ein Junge. Wir hätten gern mehr Kinder gehabt, aber wir waren einfach zu platt.
Ihnen steckten Jahre als Hausmann in den Knochen.
Ich hab’ mich nie so gesehen. Meine Frau hatte einen Modeladen, wir kümmerten uns zusammen um Kinder und Haushalt. Ich bin da nicht so begabt. Ich koch’ auch nicht gern. Diesen Kochwahnsinn der letzten Jahre finde ich ziemlich eklig. Dieses allgegenwärtige Gedöns um Kochen und Essen.
Auch eine Art Religion.
Kinder sind ja zum Glück immer für Hähnchen und Pommes zu haben.
Sie wurden erst spät erfolgreich, bei Ihrer ersten CD waren Sie 37, hatten schon Kinder. Waren Sie finanziell unter Druck?
Manchmal ja, dann habe ich im Auktionshaus gearbeitet, meine Frau hat irgendwelche Jobs gemacht, als Verkäuferin sogar. Ich habe immer weiter ausgestellt und gemalt, meist komplett erfolglos. Da brauchte ich Kraft, das Scheitern wegzustecken. Der Erfolg kam ganz langsam.
"Dahlem ist lässiger, als man denkt"
Nachdem Sie mit Wiglaf Droste in der Volksbühne als Liedermacher aufgetreten sind. Finden Sie heimlich, Sie seien ein besserer Maler?
Wenn ich mich mit den richtig großen Malern vergleiche, muss ich sportlich sagen: andere Liga. Ich wäre lieber Maler. Anfangs musste ich jeden Tag ein Bild fertig machen, das hatte etwas Zwanghaftes. Da musste was raus. Beim Schreiben gibt es Tage, da kann ich gar nicht aufhören, Kopfschmerzen, aber ich bleibe dabei, weil ich denke: Das ist gerade wie eine Goldader, wer weiß, ob die morgen noch da ist. Als junger Mensch konnte ich im größten Chaos arbeiten, da konnte in der WG die Welt um mich rum zusammenbrechen. Mit der Zeit brauchte ich mehr Stille.
Sind Sie deshalb vor zehn Jahren von Kreuzberg ins spießige Dahlem gezogen?
Dahlem ist lässiger, als man denkt. Wir brauchten einfach mehr Platz. In Kreuzberg bin ich durch alle Zimmer gezogen mit meinen Pinseln, je nachdem, wo gerade frei war. Hier haben wir ein billigeres Haus gefunden. Nicht, dass wir groß Wurzeln schlagen würden, was das Gesellschaftliche anbetrifft. Aber das haben wir in Kreuzberg genauso wenig. Wir waren immer eigen.
Sie schreiben Ihre Texte in Poesiealben, haben kein Handy, keinen Computer.
Nicht ideologisch. Es ist einfach nicht nötig. Meine Frau und meine Kinder haben alles, die helfen mir.
Viele schreiben am Computer, weil die Hand zu langsam für ihre Gedanken ist.
Das hat die Natur schon vernünftig eingerichtet, dass man sich ein wenig bremst. Schrift ist was Tolles. Dieses Fließende. Zeichnen und Schreiben, das geht bei mir oft ineinander über. Die letzten Jahre, hab’ ich bemerkt, komme ich handschriftlich total nach meiner Mutter. Die Poesiealben kaufe ich bei Woolworth, mit Herzchen drauf und Schlüsseln dran, manche gepolstert. Da schreibe ich Gedichte rein, Songtexte. Collagen. Die packe ich weg, zwei Monate oder noch länger, und dann schaue ich mir mal an, was davon brauchbar ist.
Wofür dieses Ritual?
Wenn ich was geschrieben habe, bin ich ein schlechter Kritiker. Man ist ja froh, dass man was geschafft hat, ist also parteiisch. Man hat den Hang zu sagen: Das hast du aber gut hingekriegt. Nicht so günstig, dann gleich ’ne Platte aufzunehmen. Lieber mal warten. Manchmal sind Sachen, bei denen man ewig rumgewürgt hat, besser als was, das so flutschte.
Sie sind streng mit sich!
Och, meine Frau ist strenger. Und die Kinder sind gnadenlos.
Fällt es Ihnen schwer, ein so hart erarbeitetes Bild wegzugeben?
Gar nicht. Wenn ich eines gemalt habe, kann ich mich sehr gut davon trennen. Aber ich habe mal ein paar Bilder in einer Kreuzberger Eisdiele ausgestellt, die seitdem verschwunden sind. Die würde ich gern wiederhaben. Christel hieß die Besitzerin, in der Lübbener Straße ...
Christel, bitte melden Sie sich! Ihre Bilder kosten ja inzwischen 4000 bis 8000 Euro – je nach Größe.
Ich könnte mir die selbst nicht leisten. Aber da bleibt nicht viel hängen. Die Hälfte geht an die Galerie, Rahmung, Steuern, ich verkaufe auch sehr wenige. Das ist das Gute an der Musik, sie ist für viel mehr Leute zugänglich. Ich selbst brauche keine Bilder daheim. Wenn ich eines im Museum sehe, gehört mir das für den Moment.
Neben Politikern sind Tiere Ihre wichtigsten Protagonisten: der bärtige Delfin, die flache Ratte, an den Flügeln gepiercte Tauben. Sind Tiere immer lustig?
Nö, die können auch sehr traurig sein. Oder furchtbar, der Säbelzahntiger. Der Rottweiler. Nicht immer nur nett.
Warum eignen die sich so gut für Ihre Bilder und Ihre Musik?
Ist vielleicht auch wieder katholisch, Franziskus ist ja mein Namenspatron. Franz von Assisi, ich habe immer toll gefunden, dass der mit den Tieren sprach. Ich bin mit Enten und Tauben aufgewachsen. Hühner habe ich immer als arrogant empfunden. Wahrscheinlich, weil die einen nur mit einem Auge anschauen. Mein Vater war Taubenzüchter. Die haben wir auch gegessen, sehr lecker.
Aber schmutzig!
Nur in der Stadt. Eigentlich sehr schöne Tiere. Im Flug genial. In unserer Bergbaugegend ist die Taube das Rennpferd des kleinen Mannes. Manche haben das professionell betrieben, mit Doping, mein Vater hat die Verletzten verarztet, Beine geschient. Jeden Freitag wurden die wohin gebracht, die weiteste Strecke war Spanien, hunderte Kilometer, 80 Stundenkilometer, man wettete, und dann wurde der Flug Sonntagfrüh „gelosst“, losgelassen. Das wurde im Radio übertragen. Jetzt stirbt auch das leider aus.