"Smolensk": Berliner Kino sagt Filmpremiere mit Polens Botschafter ab
War der Flugzeugabsturz von Smolensk 2010 Folge eines Attentats? Die polnische Regierung vertritt diese Verschwörungstheorie, ebenso der Film "Smolensk".
Kaum waren die 800 Einladungskarten des neuen polnischen Botschafters in Deutschland, Andrzej Przyłębski, gedruckt und versandt, sind sie schon Makulatur: Die „deutsche Premiere“ des in Polen extrem umstrittenen Films „Smolensk“, vorgesehen für einen festlichen Abend am 7. November im Berliner Delphi-Kino, wird dort nicht stattfinden. Das Kino hat jetzt seine ursprüngliche Zusage mit der Begründung zurückgenommen, der Film sei „offenbar derart kontrovers“, dass man „aus Sicherheitsgründen und zum Schutz der Gäste und des Hauses“ von einer Vorführung absehe. Gerne aber werde man, ließen die Kinomacher die Gastgeber wissen, bei der Veranstaltung einen anderen vorgeschlagenen Film zeigen.
Der Vorgang eines solchen Rückziehers ist höchst ungewöhnlich. Und blamabel vor allem für die polnische Botschaft, die nun Hunderte von Gästen wieder ausladen muss. Andererseits erscheint die Absage bei näherem Hinsehen verständlich. Denn der Film über die Umstände des Flugzeugabsturzes im April 2010 nahe der westrussischen Stadt Smolensk folgt, wie unlängst berichtet, exakt der Linie, die die rechtsgerichtete polnische Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) vorgibt: Die Katastrophe, bei der der damalige Staatspräsident Lech Kaczyński und 95 weitere Insassen ums Leben kamen, sei nicht als Unfall, sondern als Attentat zu deuten – was im Widerspruch zu den detaillierten Untersuchungsergebnissen von polnischer und russischer Seite steht.
Die Fakten: Erzwungene Landung in dichtem Nebel
Hier noch einmal die Fakten: Diesen Berichten zufolge versuchten die Piloten, gegen den eindringlichen Rat der örtlichen Fluglotsen bei extrem dichtem Nebel auf dem Flughafen von Smolensk zu landen; andere Flugzeuge waren bereits umgeleitet worden. Die Auswertung des Flugschreibers ergab, dass Passagiere, vor allem hohe polnische Militärs, die Piloten massiv zur Landung drängten. Schließlich waren die Fluggäste, darunter zahlreiche Top-Politiker, zu einer Veranstaltung unterwegs, bei der der polnischen Opfer des sowjetischen Massakers in Katyn 1940 gedacht werden sollte.
Die Legende: Putin hat den Flugzeugabsturz in Auftrag gegeben
Der Film „Smolensk“ von Antoni Krauze hingegen, dessen private Finanzierung erst nach dem Wahlsieg der PiS vor einem Jahr endgültig gesichert werden konnte, zeigt am Ende zwei Explosionen, die zunächst die linke Tragfläche des Flugzeugs, dann die Kabine zerfetzen. Außerdem suggeriert er, dass Wladimir Putin und Donald Tusk, damals die Ministerpräsidenten Russlands und Polens, das Attentat in Auftrag gegeben haben. Hierfür wird die erfundene Recherche einer Journalistin bemüht, die den Fall ganz alleine im Sinne der PiS-Zeitgeschichtsschreibung aufklärt. Zahlreiche polnische Schauspieler hatten sich geweigert, bei dem – äußerst hölzern inszenierten – Projekt mitzutun. Die TV-Serienschauspielerin Beata Fido, Lebenspartnerin eines Cousins des getöteten Präsidenten und seines Zwillingsbruders Jarosław Kaczyński, heute der starke Mann Polens, übernahm schließlich die Hauptrolle.
Die massive Implantierung dieser Verschwörungsthese im polnischen Bewusstsein gehört zu den Faktoren, die derzeit das Land spalten. Die PiS hat eine neue Untersuchungskommission eingesetzt, und zuletzt forderte Kaczyński sogar, die Leichen der Opfer zu exhumieren, was Proteste der Hinterbliebenen zur Folge hatte. Die Premiere des Films am 5. September im Warschauer Teatr Wielki fand in Anwesenheit des Staatspräsidenten Andrzej Duda und hoher PiS-Vertreter statt. Einige Tage später startete der Film im Kino; der mäßige Besuch wurde, wie das Wochenmagazin „Polityka“ in seiner jüngsten Ausgabe beschreibt, vor allem durch Abordnungen von PiS-Honoratioren samt Familien sowie Armeeangehörigen gesteigert.
"Newsweek Polska": Kaczyński will Tusk fertigmachen
Wie zentral die Katastrophe von Smolensk die Agenda der Machthaber Polens bestimmt, zeigt auch eine Analyse des zweiten renommierten Wochenmagazins „Newsweek Polska“. Unter dem Titel „Tusk fertigmachen“, berichtete es vorige Woche über einen Plan Kaczyński, „wie er sich für Smolensk rächen und Donald Tusk“ – einst Vorsitzender der Mitte-Rechts-Partei Bürgerplattform (PO) und heute EU-Ratspräsident – „aus der polnischen Politik eliminieren kann“. Die bewusste Platzierung einer deutschen Premiere von „Smolensk“ in Berlin, zudem mit einer Begrüßungsrede des seit Juli neu installierten Botschafters, lässt sich daher durchaus als Teil einer politischen Kampagne verstehen, bei der unter anderem die in Berlin lebenden Polen mit der Sichtweise ihrer Regierung am konkreten Beispiel vertraut gemacht werden sollten. Ein Filmstart in Deutschland nach der „Premiere“ ist im Übrigen nicht in Sicht, ebenso wenig auch derzeit in anderen Ländern außerhalb Polens.
Nun, da die Gala im traditionsreichen Berliner Delphi-Kino – alljährlich während der Berlinale Heimstatt der im Internationalen Forum gezeigten neuen Filmkunst – ausfällt, muss die polnische Botschaft sich dringend nach Alternativen umsehen. Ein Versuch, die Delphi-Macher noch einmal umzustimmen, auch mit dem Hinweis, die „Sicherheit der Gäste selber garantieren“ zu können, ist am Freitag gescheitert. Der Presseattaché der Botschaft, Jacek Biegała, sagte auf Anfrage, man suche nun kurzfristig nach einem vergleichbaren Spielort „in der Nachbarschaft des Delphi“, das über insgesamt 670 Plätze verfügt. Entsprechende Gespräche seien im Gange.
Botschafter-Position: Die Medien haben die Wahrheit verschleiert
Welche Rede der von dem PiS-geführten polnischen Außenministerium ernannte Botschafter halten wollte, bleibt derweil unbekannt. Einen Hinweis könnte das eingelegte Blatt geben, das der nun schon historischen Einladung für den Delphi-Abend beilag. Darin heißt es über „Smolensk“: „Der Spielfilm des hervorragenden polnischen Regisseurs Antoni Krauze ist ein Versuch, den wahrscheinlichen Verlauf der Ereignisse zu schildern und ihren sozial-politischen Kontext zu zeigen, besonders in Bezug auf die Rolle der Medien bei der Verschleierung und Suche nach der Wahrheit.“
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