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Die drei Amigos vom Rosa-Luxemburg-Platz. Trystan Pütter, Martin Wuttke und Milan Peschel.
© Lenore Blievernicht

Berliner Festspiele und René Pollesch: Hilfe, das Theater schrumpft

Zwei Premieren in Berlin: Während die Berliner Festspiele immersive Kunst suchen, hält sich René Pollesch an der Volksbühne fest.

Seit einiger Zeit spricht man hierzulande von schrumpfenden Städten, shrinking cities auf gut Deutsch. In Berlin, das ja als Stadt mächtig wächst, lässt sich dagegen das Phänomen der schrumpfenden Theater besichtigen. Das Theater als öffentlicher Raum schnurrt zusammen. Dazu zwei Beispiele: Sie kommen nicht etwa aus der Off-Szene, es handelt sich vielmehr um Produktionen großer und bedeutender Kulturinstitutionen.

Eine neue Reihe gibt es bei den Berliner Festspielen. In einem leerstehenden Riesengebäude in Friedrichshain wird das Experimentierfeld „Immersion“ eröffnet. Nach komplizierten Formalitäten gerät man in ein Labyrinth kunstvoll schmuddeliger Labors. Der Aufzug fährt von selbst, sobald die schweren Eisentüren geschlossen sind. Als Einzelkämpfer zwängt man sich durch niedrige Türen, unterzieht sich ominösen Tests, begleitet und gezielt fehlgeleitet von Stimmen und Lichtsignalen. Nichts für Menschen mit klaustrophobischen Neigungen.

Mona el Gammal ist Mitarbeiterin des Signa-Kollektivs, das auch schon zum Theatertreffen eingeladen war. Sie und ihr Team haben diesen finsteren Parcours eingerichtet. Im „Rhizomat“ kann dem Besucher nichts wirklich Schlimmes passieren, man wird über Kameras beobachtet beim einsamen Tappen und Tasten durch die mit altmodischem Gerät bestückte Geisterbahn. Die Reaktionen gehen nachher weit auseinander. Jemand findet die Tour gruselig und geheimnisvoll, jemand anderes fühlt sich überwacht, manipuliert, einfach nur unwohl. Bloß raus hier!

Die Provokation liegt im Aufwand

Aber das persönliche Empfinden in der Zelle ist nicht entscheidend. Die Provokation liegt darin, dass ungeheuer viel Aufwand getrieben wird, um eine sehr kleine Zahl von Menschen zu nerven oder für ein neues „Format“ zu gewinnen. In den Sprachblasen und Gedankennebeln verbirgt sich auch schon die Erlebnisanweisung: „An einem unbekannten Ort betritt der Besucher eine Parallelwelt, in der das Rhizomat aus dem Untergrund gegen die Übermacht des monopolisierenden, alles überwachenden Instituts für Methode arbeitet. Zwischen Dystopie und Utopie, zwischen Gehorsam und Freiheit erfährt der/die Besucher*in alleine die Räume und begegnet den Figuren nur in ihrer Abwesenheit.“ Okay, alles klar.

So ähnlich geht es bei René Pollesch an der Volksbühne weiter. Seine aktuelle Kreation heißt – und das sind jetzt keine Schreibfehler: „Diskurs über die Serie und Reflexionsbude (Es beginnt erst bei Drei), die das qualifiziert verarscht werden great again gemacht hat etc. Kurz: Volksbühnen-Diskurs. Teil 1: Ich spreche zu den Wänden“. Zitat Ende. Wow!

Der Theatermacher Pollesch prägt gern deutsch-englische Stücktitel, in Anlehnung an Filme. Vorschlag also für die jüngste Arbeit: „Honey, I shrunk the Bühne“. Zwar spielt der „Volksbühnen-Diskurs“ im großen Haus, und die drei Helden Milan Peschel, Trystan Pütter und Martin Wuttke werden mit einem Kran über das Flachdach eines Pavillons an die Rampe gehievt. Großer Bewegungsspielraum, Breitwandkinogefühl. Im Bühnenbild von Barbara Steiner zeigt sich das Schrumpfen nicht. Es findet im Kopf statt. Nur die Titel werden länger.

Backstage-Komödie mit Cowboy-Chaoten

Das Thema, wenn es denn eines gibt, ist die Volksbühne. Stück und Theater beschäftigen sich exklusiv mit sich selbst. „Ich fand es ganz toll, aber ich habe nichts verstanden“, heißt das Mantra. Es stimmt. Das Trio steckt in roten Strampelanzügen und im falschen Stück. Pollesch führt mit seinen verlorenen Cowboy-Chaoten eine Backstage-Komödie auf. Das Publikum hockt auf dem harten Boden und amüsiert sich. Es ist durchtrainiertes Volksbühnenpublikum. Wer sich zufällig nicht auskennt in den Befindlichkeiten des Hauses, hat keine Chance.

Der geistige Raum, das Theatererleben wird freiwillig geschrumpft. Das wissen sie und wollen sie, und sie machen Außenstehende dafür verantwortlich. Schrumpfen als kulturpolitischer Protest. Martin Wuttke greift die Sache auf. Sein Monolog dreht sich um die Volksbühne als Ort, der einzigartig ist. Man kann diesen Ort nicht mitnehmen, aber man kann ihn wegnehmen. Das macht der Berliner Senat, das hat der böse Chris Dercon vor, wenn er Frank Castorfs Intendanz übernimmt. Wuttke räsonniert in seiner hinreißend zappeligen Art über Leute, die nichts vom Wert eines Orts verstehen, da sie kuratierend durch die Welt schwirren, ortlos. Klarer Standpunkt, aber schnell wird Polleschs Text dünn und schmollend.

Am Sonntag hat der zweite Teil vom „Volksbühnen-Diskurs“ Premiere. Geht die Selbstbespiegelung weiter, die freiwillige Einschränkung? Es ist ja sonst nichts los in der Welt. Es geht auch mit Würde und Klasse, auch an der Volksbühne. Christoph Marthalers Abschiedsinszenierung „Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter“ verkleinert die eigene Geschichte nicht, sondern öffnet Räume der Resonanz, der Erinnerung. Er zeigt, was auf dem Spiel steht.

„Rhizomat“ bis 4. Dezember. Infos über www.berlinerfestspiele.de

Rüdiger Schaper

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