Yogakolumne: Glaubst du an das wahre Yoga?
Wie Dauerlächeln, Hare-Krishna-Gesänge und ein paar Hindu-Tattoos heute mit Spiritualität verwechselt werden.
Vor ein paar Wochen bedankte sich eine neue Teilnehmerin bei mir nach dem Kurs. Sie habe bereits überall auf der Welt Yoga gemacht, erzählte sie. Es sei in meinem Studio so angenehm wenig spirituell, fügte sie strahlend an. Sie meinte das als Kompliment.
Mich hat das nachdenklich gestimmt, schließlich habe ich meine Schule „Spirit“ genannt. Mein Anliegen ist es, einen beseelten Raum zu schaffen, in dem jeder für sich zur Besinnung kommen kann – und das eben auch über das Körperliche und Geistige hinaus.
Immer wieder muss ich feststellen, dass Yoga inzwischen Bestandteil unseres Zeitgeistes ist und somit beeinflusst von Codes. Dauerlächeln, überschwängliches Glückseligkeitsgedusel und das gemeinsame Einlullen zu Hare- Krishna-Gesängen gelten dabei als spirituell. Und wer sich dann noch ein paar Oms und indische Gottheiten tätowieren lässt, dem steht seine Erleuchtung unmittelbar bevor.
Mein davon abweichender Zugang zu Spiritualität passt nicht in dieses Bild. In Zeiten von Schwarmintelligenz ertragen wir es kaum, für uns zu stehen. Es ist ja auch viel sicherer, sich kollektiv Abende lang über Deutschlands Rechtsruck oder Trumps letzten Tweet aufzuregen, als sich aus tiefer Überzeugung heraus selbst für etwas zu engagieren.
Wir haben unseren inneren Seismografen verloren
In meinen Stunden üben wir deshalb die Asanas, die ruhenden Körperstellungen wie den Hund, die Krähe und die Kuh. Diese Positionen stärken nämlich nicht nur die Muskulatur. Ich bin überzeugt, dass eine kraftvolle äußere Haltung auch zu einer stabilen inneren führt. Yoga ist ein hervorragendes Instrument für Detox und Stressabbau, aber es kann uns zusätzlich helfen, unsere Prinzipien, also das, was wir als würde- und wertvoll erachten, zu pflegen und hinaus in die Welt zu tragen. Irgendwann scheint uns in den letzten Jahren der innere Seismograf verloren gegangen zu sein, mit dem wir einst spüren konnten, wann überreagiert wird und wann zu viel weggeschaut.
So wie im Zuge der Globalisierung das Lokale wieder an Bedeutung gewonnen hat, so erkennen immer mehr Menschen, dass sie dem Lärm, dem Dauerrauschen an Möglichkeiten, etwas entgegensetzen wollen. Wir, zumindest die, die in den westlichen Industrienationen leben, können für 29 Euro durch Europa jetten, sämtliche Informationen stehen uns zur Verfügung, und in einer virtuellen Welt hat jeder Freunde. Im Außen sind uns keine Grenzen gesetzt. Erfüllung bringt das dennoch nicht, es isoliert uns eher.
Yoga gibt uns keine Antworten
Nach der Spaßgesellschaft musste ja der große Aufruf zum Glücklichsein kommen, die Magazine dazu heißen „Flow“ „Herzstück“ und „Happinez“, ihre Titelgeschichten: „Glück ist jetzt“ und „Das Leben ist schön“. Und ausgerechnet Google bietet Seminare zur Achtsamkeit an, sie heißen „search inside yourself“ und zeigen, dass wir vielleicht nicht nur unsere Daten schützen sollten, sondern auch unsere Seele.
Unser Wunsch nach Eindeutigkeit ist derart groß, dass wir uns selbst beim gewollt mehrdeutigen Yoga glauben entscheiden zu müssen: Praktizierst du das eine, wahre Yoga – die 2000 Jahre alte Tradition oder glaubst du etwa an die moderne, medizinisch erklärbare Form, die die Hirnforschung längst durchleuchtet hat? Und wehe, die beste Freundin deutet Yoga anders.
Yoga gibt uns keine Antworten. Es kann uns nur den Weg weisen.
Patricia Thielemann ist Chefin von Spirityoga.
Patricia Thielemann
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