Yogakolumne: Yoga in New York: Work your booty, girl!
Endlich mal Yoga woanders! Darauf hatte ich mich so gefreut. Und dann das. Warum ich die Klassen fluchtartig verließ.
Endlich mal Yoga woanders, darauf hatte ich mich vor meiner Reise in die USA gefreut. In meinen eigenen Berliner Studios kann ich einfach nicht abschalten – ich bin dort schließlich Gastgeberin, Mentorin, Chefin. Wenn ich mir eine Stunde anschaue, sehe ich in den schön geputzten Lampen eine tote Fliege durchschimmern und überlege, wie die wohl da reingeraten ist, ich rieche das Desinfektionsmittel auf den Leihmatten und frage mich, ob es das nicht noch geruchsneutraler gibt, ich entdecke, dass sich eine Öse aus der Gardine gelöst hat.
Statt mich zu entspannen, grüble ich: Sind die Übungsabfolgen physiologisch fundiert, werden die Schüler bei uns ausreichend korrigiert? Nun bin ich nicht nur die Leiterin einer Schule, ich bin vor allem selbst überzeugte Yogini. Auch ich möchte manchmal in die Praxis eintauchen, meine Verspannungen lösen, mich stärken, den Kopf frei kriegen, dieses Gefühl des Eingebundenseins erleben.
In New York, hatte ich gehofft, würde mir das endlich gelingen, ohne mich ständig für irgendetwas verantwortlich zu fühlen. Gerade weil es dort noch lauter und hektischer als in Berlin ist, hatte ich geglaubt, die New Yorker wüssten, wie man einen starken Gegenpol zu all dem Wahnsinn schafft.
Beat Bumpin'
Und dann das. Die Lehrer brüllten schrill durch voll aufgedrehte Headsets und mit einem zur Maske gewordenen Grinsen gegen lauten Gangsta-Rap auf die mit roten Köpfen prustenden Teilnehmer ein. Die geistige Ansprache ging über „You guys are doing amazing“, „work that booty, girl“, und „shanti om“ nicht hinaus. Die Sessions hatten Namen wie „Beat Bumpin’“, „Sweat Drippin’“ und „Laughing Lotus Soul Sweat“.
Yoga muss wahrlich nicht immer eine todernste Angelegenheit sein – aber heilsam schon. Vielleicht, dachte ich, müssen die Amerikaner mit den grellsten Bildern werben, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Immerhin steht hier an jeder Ecke ein schrabbeliges Studio. Vielleicht ist das mit Yoga wie mit den Autos. Außer einem Tesla würde man doch kein amerikanisches Auto fahren wollen. Die verbrauchen viel zu viel Benzin, sind riesig und geschmacklos.
Die meisten Klassen verließ ich fluchtartig weit vor dem Höhepunkt oder der „Peak Pose“. Ich war derart gereizt und verkrampft, dass ich verwegen wurde: Wenn sich hier schon alles nur ums Verkaufen dreht und nichts Wesentliches mehr bleibt, dann doch gleich richtiger Konsum! Bei Bloomingdale’s probierte ich 300 Paar Schuhe an, um völlig abgekämpft mit ein paar neuen Adidas-Sneakers den Konsumtempel zu verlassen.
Die größte Entspannung
Zurück in Berlin besuche ich meine Schule. Noch durch zwei geschlossene Schranktüren höre ich das Ticken der kleinen Uhren, die ich meinen Lehrern hingestellt habe, damit sie ihren Unterricht pünktlich beenden. Sofort fange ich an zu grübeln. Wie lange läuft der Mietvertrag für die Räume weiter? Sechs Jahre oder doch nur fünf? Und werde ich jemals wieder so eine tolle Location finden?
Am Ende hat die Reise mir doch etwas gebracht. Erkenntnis. Die gleichen Schuhe hätte ich günstiger und relaxter auf dem Tauentzien kaufen können. Die größte Entspannung empfinde ich zu Hause in Zehlendorf, früh morgens, bevor die Kinder wach sind. Und meine eigene Schule ist immer noch einzigartig: Ich muss nicht brüllen und werde trotzdem verstanden.
Patricia Thielemann ist Chefin von spirityoga.de und vertritt unsere Yogakolumnistin Katja Demirci.
Patricia Thielemann
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