Die Yogakolumne: Von schlafenden Schlangen und Chakren-Bettwäsche
Ich mag es, dass im Yoga nicht alles wissenschaftlich belegt werden muss. Kann man nicht die Magie bewahren und trotzdem aufgeklärt bleiben?
Laut der indischen Mythologie befindet sich in unserem Körperinneren, am Grund des Beckens, eine schlafende Schlange, die Kundalini. Sie steht für die in uns schlummernde Lebenskraft, die durch Yoga geweckt werden kann. Bis zur Erlösung muss dieses nach Erkenntnis strebende Geschöpf glorreich durch unseren Körper aufsteigen und sich durch sieben wirbelnde Energieräder hindurchwinden – die sogenannten Chakren. Auf jeder dieser Bewusstseinsstufen besteht die Gefahr, zu stagnieren oder zurückzufallen. Die sieben Chakren sind dem feinstofflichen Körper zugeordnet, der nach der klassischen Yogalehre den physischen Körper durchdringt.
Klingt verrückt? Ja – möglicherweise ist das alles großer Humbug.
Und natürlich lädt dieses schillernde Modell zu esoterischer Grütze ein: Im Internet gibt es zum Beispiel für 49,45 Euro eine Chakra-Wasserflasche zu kaufen, die Reichtum und Lebensfreude verspricht, „pulsierende Chakren-Bettwäsche“, die Tiefenentspannung prophezeit und eine telefonische Chakren-Beratung.
Schade. Denn in einer Welt, die nach immer mehr Eindeutigkeit strebt – sei sie auch noch so platt – halte ich es für wünschenswert, dass uns der Raum für Magie nicht restlos verloren geht. Ich mag es, dass im Yoga nicht alles wissenschaftlich belegt werden muss. Es geht ums Integrieren der Gegensätze. Kann man nicht das Geheimnisvolle bewahren und trotzdem aufgeklärt bleiben?
Der Weg zur Erleuchtung
Aus diesem Grund beziehe ich die Chakrenlehre auch bewusst in meinen Unterricht mit ein. Jedes der sieben Chakren ist einer bestimmten Körperregion zugeordnet: Unten im Becken befindet sich Muladhara, das Wurzelchakra, das für Urvertrauen und Sicherheit steht. Im Unterleib liegt das Sakralchakra, auch Svadhisthana genannt. Das beeinflusst unsere Sexualität und unser Gefühlsleben. Auf der Höhe des Solarplexus sitzt Manipura, das für Willenskraft und Selbstbestimmung verantwortlich ist. Das Anahata-Chakra residiert in der Herzregion. Liebe und Mitgefühl sind die Attribute, die ihm zugeordnet werden. Aktiviert wird es durch die Position des Kamels, bei dem man im Kniestand hinter sich die Fersen greift. Natürlich werde ich keine bessere Partnerin, nur weil ich jeden Morgen ein paar Rückbeugen mache. Aber eine positive Wirkung auf mein Gemüt haben Übungen, in denen ich meinen Brustraum weit werden lasse und mehr Luft bekomme, ganz sicher.
Fehlen noch das Vishuddha-Chakra in der Kehlkopfregion, das für Kommunikation und Kreativität steht, und das Ajna-Chakra zwischen den Augenbrauen, das auch das „ Dritte Auge“ genannt wird. Dadurch können Intuition und Imagination empfangen werden. Das siebte Chakra heißt Sahasrara und befindet sich ganz oben am Scheitelpunkt. Hat der Mensch diese Bewusstseinsstufe erklommen, ist er erleuchtet. So ganz fremd ist die Vorstellung nicht – im christlichen Kontext gibt es stattdessen den Heiligenschein.
Bunte Steinchen reichen nicht
Ich weiß, dass es nicht reicht, bunte Steinchen um den Hals zu tragen, damit unsere Kreativität sprudelt, wie es manch einer verspricht. Aber wenn wir uns mithilfe so einer Landkarte auf unserem Weg besser orientieren können, habe ich nichts dagegen.
Daher zum Schluss noch ein anderes Chakren-Symbol – die Lotusblüte. Sie wächst ganz primitiv im Schlamm und erblüht Blatt um Blatt, Chakra um Chakra, zur magischen Schönheit.
Das ist doch ein wunderbares Bild, ob es nun wahr ist oder nicht.
Die Autorin ist Chefin von Spirityoga.
Patricia Thielemann