Kolumne: Moritz Rinke erinnert sich: Gespräch über das Sinnliche
„Salome“, die Oper von Richard Strauss, handelt von den Weinsteins und Wedels dieser Welt, erklärte meine Frau.
Ich war in Madrid in „Salome“. Diese Oper von Richard Strauss scheint mir wirklich wie für eine Karikatur meines Freundeskreises geschrieben: Narraboth, der junge Hauptmann, will auf einer Party Salome „ansehen“, also Richard Strauss meint mit „ansehen“, der Hauptmann wolle was von ihr.
Salome will aber Jochanaan ansehen, das ist Johannes der Täufer, der sitzt in einer Zisterne und wird extra rausgeholt, damit ihn Salome anstarren kann, man muss sich Jochanaan vorstellen wie Brad Pitt in „Sieben Jahre in Tibet“, da sieht Pitt irre gut aus.
Herodes, der Stiefvater von Salome, will Salome ansehen, was Herodias, dessen Frau, aber nicht will.
Man müsste noch fragen, was Jochanaan, der Brad Pitt in der Zisterne, eigentlich will? Er will, dass Salome Jesus oder Gott ansieht, doch das will sie nicht. Sie will auch nicht für Herodes tanzen, nur dann, wenn er Jochanaan den Kopf abschlägt, damit sie diesen dann küssen kann.
„Würdest du mir auch den Kopf abschlagen, um mich zu küssen?“, habe ich meine Liebste gefragt. „Ich glaube, schon“, sagte sie. „Wenn du mich wirklich herausforderst, kann so etwas passieren. Der Kopf ist ja nicht alles.“
Keine Ahnung, wie sie das meinte.
So agiert kein Mann
„Warum schaut aber Herodes nicht einfach nur seine Frau Herodias an?“, fragte sie mich. „Weil er ein Mann ist?“, habe ich vorsichtig gefragt. „Es gibt statistisch viel mehr Auffahrunfälle im Sommer, der Winter ist nichts gegen die Nacktheit der Frauen.“ „Frauen gucken Männern genauso viel hinterher, nur diskreter“, sagte sie.
„Dann schreib die Oper um und lass Frau Herodias den jungen Hauptmann ansehen“, antwortete ich. „Wenn ich Jochanaan gewesen wäre, ich hätte mich auf jeden Fall von Salome küssen lassen. Im Ganzen, also mit Kopf. Erstens muss die doch irre gut aussehen; und zweitens wäre das die einmalige Chance, aus dem Loch herauszukommen, weil doch Herodes ihr an den Lippen hängt. Ehrlich gesagt, ich finde Jochanaan unnatürlich, so agiert kein Mann, als moderner Dramatiker muss ich so etwas anmerken. Einfach da im Loch zu sitzen, wenn über dir eine Mischung aus Penélope Cruz, Scarlett Johansson und Angelina Jolie nach deinem lilienhaften Körper und deinem korallenhaften Mund schmachtet? Psychologisch nachvollziehbar ist das nicht. Zu viel Statik, zu wenig Ibsen!“
„Diese Oper handelt von Männern in Extremen“, erklärte sie, „den Weinsteins oder Wedels dieser Welt, den Herodes-Männern, und den ganz anderen, den Jochanaans, den Heiligen oder den wahrhaft Liebenden. Ich würde mir wünschen, du seist ein Jochanaan.“
Dafür hat man iPhones und Tinder erfunden
„Jochanaan ist ein Ideologe! Wir müssen aufpassen, dass wir den Umgang von Frauen und Männern jetzt nicht, wie soll ich sagen, jochanaanisieren, sonst gibt es bald nur noch Männer ohne Kopf! Man könnte auch sagen, Jochanaan bedrohe die Sinnlichkeit, die Angst vor dem Stärkeren, wie im Übrigen auch Herodes diese Sinnlichkeit bedroht. Beide, Jochanaan, der ideologisch nach Macht strebt, und Herodes, der physisch die Macht besitzt: Sie beide glauben, die Flügel des Todesengels in der Luft zu spüren. Es ist auch ein Kampf der Männer gegen das Sinnliche, das Liebende, das Stärkere.“
„Diese Oper ist wirklich kompliziert“, schloss sie ab. „Ja, vermutlich hat man iPhones und Tinder und so was erfunden“, fügte ich hinzu, „damit die Menschen nun nur noch ihre Smartphones ansehen und nebenbei fürs Sexuelle klick, klick, wisch, wisch machen, ohne Drama und Kopfabschlagen.“
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