Design in Kapstadt: Brücken fürs Leben
Kapstadt ist Designhauptstadt 2014 und nutzt die Chance, urbane Strukturen zu verändern und Begegnungen zu erleichtern.
Hier wurde ein gefeierter Jazzpianist geboren, dort wuchs ein bekannter Cricketspieler auf, und aus dem unscheinbaren Häuschen am Ende der Straße stammt eine Kapstädter Schönheitskönigin. In der Harlem Street im Stadtviertel Langa sieht man alle paar Schritte an den Häusern angebrachte, selbst gemalt aussehende, kreisrunde Gedenkplaketten für Kapstädter Berühmtheiten. Die Straßen sind staubig, die Häuser bescheiden – ist das Armutsviertel dennoch eine Art Prominentenbezirk?
„Ja“, sagt Tony Elvin, der in Langa (auf Deutsch: Sonne) ein ungewöhnliches Stadtentwicklungsvorhaben initiiert hat. Der „Social Entrepreneur“ will das geografisch in der Mitte des Stadtgebiets, aber sozial und touristisch abseits liegende Viertel ins Bewusstsein von Bewohnern und Besuchern heben. „Im Rahmen unseres Geschichtsprojekts haben wir Dutzende berühmter Namen entdeckt, deren Lebensgeschichten mit Langa verbunden sind und Besucher anziehen“, berichtet Elvin.
Früher gehörten Ausflüge in die Wohnsiedlungen der schwarzen Bevölkerung zum sogenannten Poverty Tourism. Jetzt können Kapstädter Touristenbusse neu entdeckte und neu geschaffene Sehenswürdigkeiten ansteuern. Neben dem Langa History Project ist das Maboneng Arts Experience Project entstanden, eine Kunstaktion in unmittelbarer Nachbarschaft, die Wohnhäuser innen und außen in Galerien verwandelt. Schon hat sich in der Harlem Street mit Nomzi’s B&B, dem Mzansi-Restaurant und weiteren Gaststätten, Hotels und Geschäften eine ordentliche touristische Infrastruktur gebildet. Bei der Einrichtung der kleinen Township-Hotels hat das renommierte Table Bay Hotel, das Fünf-Sterne-Haus an Kapstadts Waterfront, mitgeholfen.
„Design kann ein Katalysator sozialen Wandels sein“
Nach Helsinki trägt 2014 die südafrikanische Millionenmetropole den alle zwei Jahre vom Internationalen Designerverband ICSID vergebenen Titel „World Design Capital“ (WDC). Die finnische Hauptstadt konnte diverse Designmuseen, Designshops, Designbars, -restaurants und -hotels in die Waagschale werfen – dazu zahlreiche Designausstellungen in Galerien oder Produktionsstätten wie etwa von Arabia-Porzellan oder Iittala-Glas. Kapstadt hat diese Fülle nicht zu bieten.
Das geplante Design Museum, das auf dem Stadtplan des „Wallpaper City Guide Cape Town“ schon eingezeichnet ist, wird frühestens im kommenden Jahr in Angriff genommen – „und dann in abgespeckter Form und an anderem Standort gegenüber dem Cullinan Hotel“, konstatiert Mokena Makeka, Chef des Makeka Design Lab. „Wir hinken dem Zeitplan bis zu einem Jahr hinterher“, gibt der Architekt zu. Dafür propagiert Kapstadt als „Designhauptstadt“ einen sozialen, ja emanzipatorischen Designbegriff, der die Lebenswelt der Menschen verändert.
„Design kann ein Katalysator sozialen Wandels sein“, sagt Mugendi M’Rithaa, ICSID-Vorstandsmitglied und kommender Präsident der Organisation. Ergonomisch und ästhetisch noch so vollendet gestaltete Duschköpfe, Parfümflakons oder Kaffeebecher würden die Lebenswirklichkeit in 90 Prozent der Welt überhaupt nicht verändern, gezielte Eingriffe in das Stadtbild und urbane Strukturen aber sehr wohl, sagt der Professor für Product und Universal Design an der Cape Peninsula University of Technology.
Das ist ein innovativer Ansatz: Die Apartheid hat einem großen Teil der südafrikanischen Bevölkerung das Vertrauen genommen, Probleme ihres Daseins selbst anpacken und lösen zu können. Mit diesem erweiterten Designbegriff kann den Menschen dafür wieder Werkzeug in die Hand gegeben werden.
Das historische Hafengebiet ist jetzt eine Hauptattraktion der Stadt
„Live Design – Transform Life“, lautet denn auch die Formel, die zugleich Devise der Designhauptstadt Cape Town ist. Das Spektakuläre liegt oft im Einfachen. Etwa darin, dass man als Townshipbesucher in Langa nicht mehr kritisch beäugt, sondern herzlich empfangen wird. Wie sich das anfühlt, bekommt man in der Harlem Street gleich zu spüren. „Chris Hani, Politician, lived here“, steht auf einer der Gedenkplaketten. Hani, populäre Führungsfigur neben Nelson Mandela, hatte also nicht nur einen guten Draht zu den Bewohnern der Townships – er war selber einer von ihnen. Während der Besucher noch überlegt, ob er Haus und Tafel wohl fotografieren dürfe, kommt ihm die schwarze Bewohnerin mit überbordender Freundlichkeit entgegen: „Come on, take a photo, dear“, lädt sie den Fremden ein.
Zurück in die City: Unmittelbar vor dem Central Business District mit seinen Hochhäusern liegt das historische Hafengebiet, das aus einem düsteren Terrain zu einer Hauptattraktion der Stadt, in die „Victoria and Alfred Waterfront“, verwandelt wurde. In trauter Eintracht sind hier Capetonians und Kapstadtbesucher bis tief in die laue Nacht unterwegs, flanieren und amüsieren sich, essen und trinken in den zahllosen Freiluftetablissements, stöbern in Buchläden und Modetempeln, kaufen in Supermärkten und Souvenirläden, steigen womöglich in einem der direkt am Wasser gelegenen Hotels ab.
Auch die Fähren nach Robben Island, einst Inhaftierungsort Nelson Mandelas, legen hier ab. Einfühlsam wurden historische Bestände wie der alte Glockenturm oder das Haus des Hafenmeisters durch neue Gebäude im alten, viktorianischen Stil ergänzt. Mit der Waterfront sei das „weltweit gelungenste Hafenerneuerungsprojekt“ umgesetzt worden, meint der Architekturkritiker Roman Hollenstein – nicht zuletzt, weil sich Einheimische wie Touristen auf den Piers, Plätzen und Brücken rund um die Hafenbecken in einem sicheren Ambiente ohne Straßenkriminalität bewegen.
Freiraum für die Zivilgesellschaft
„Wir wollten die architektonische Bunkermentalität der Apartheid aufbrechen und offene Räume schaffen“, sagt Eitan Karol, Chef des gleichnamigen Architekturbüros, der neben dem Table Bay Hotel auch das Victoria Wharf Shopping Center entwarf (und gemeinsam mit der deutschen Firma Gerkan, Marg und Partner auch für das Kapstädter WM-Stadion verantwortlich zeichnet). Damit entsteht Freiraum für die Zivilgesellschaft, wird die noch tief in den Köpfen steckende Segregation überwunden – nicht nur die zwischen Schwarz und Weiß, sondern über soziale und kulturelle Unterschiede hinweg. „Bridging the Divide“ – „Das Trennende überwinden“ heißt nicht von ungefähr ein anderer WDC-Claim. Es geht um die Wiedergewinnung des öffentlichen Raums, um den Wandel von Mentalitäten, Schaffung einer offenen, kommunikativen Atmosphäre – in den Townships und überall in der Stadt.
Nur in einer solchen Atmosphäre kann eine kreative Szene entstehen und gedeihen, die zu wahrer Urbanität gehört. Im Stadtteil Woodstock haben sich auf den Terrains früherer Industrieproduktion entlang der Albert Road bereits zahlreiche Design- und Kunsthandwerkstudios niedergelassen. Der Stadtplan „Woodstock Design District“ animiert zu einem Spaziergang. Ein Designhotspot ist die Old Biscuit Mill (Albert Road 375). Dort findet man neben hippen Läden auch die Designhochschule Cape Town Creative Academy und die „Test Kitchen“, eines der besten Restaurants der Stadt.
Eine andere Hochburg der Kreativen ist „The Woodstock Exchange“ (Albert Road 66), wo die Möbelmanufaktur Pedersen + Lennard Produktions- und Ausstellungsräume samt Café eingerichtet hat. Hier werden vor den Augen der Kunden schicke Lederwaren von Wolf & Maiden gefertigt, und wer will, kann in Julie Carters Imbiss „Ocean Jewels“ preiswert frischen Fisch und anderes aus dem Meer essen. „Design Afrika“ (Hares Avenue 42) von Binky Newman wird in Kapstadt noch als sogenannter Geheimtipp gehandelt: Newman hat es geschafft, traditionelle afrikanische Korbwaren in Trendprodukte zu verwandeln.
Die kreative Energie muss jetzt sprudeln
„Bis vor einigen Jahren gab es so etwas wie ,südafrikanisches Design‘ gar nicht“, sagt Aidan Bennetts, der in der Loop Street 65 das Designgeschäft Stable betreibt. „Alles relativ neue Entwicklungen“, meint er auf die Frage, wie er denn zwei Stockwerke seines Ladens mit exquisiten Designbeispielen von in Kapstadt ansässigen Produktdesignern füllen kann. Wenn Südafrika seinen Reichtum bisher vor allem im Farmland und den Bodenschätzen gesehen hat, wie Bennetts sagt, müsse die kreative Energie jetzt umso kräftiger sprudeln. In den Schaufenstern, Regalen und Vitrinen von „Stable“ fallen Möbel von James Mudge, Leuchten von Framed, Accessoires von Wiid.design und Textilien von Hertex auf.
Im Café Sequoia, ein paar Schritte weiter, Church Street/Ecke Burg Street, ist es die farbenfrohe Kombination von Designmobiliar, die schon durch die großen Fenster hervorleuchtet. Das bunte Völkchen der Gäste sitzt auf Klassikern von Charles Eames, auf den transluzenten Kunststoffsesseln, die Philippe Starck für den italienischen Produzenten Kartell entworfen hat, und an den schlichten, schönen Tischen des einheimischen Herstellers Pedersen + Lennard. Bei einem Café Latte erläutert Mitbetreiberin Esther Schuite, was ihren Partner Chris Taal und sie selbst aus den Niederlanden nach Kapstadt getrieben hat: die einladende Atmosphäre! Sie hätten sich gleich in die Stadt verliebt. Und als sie feststellten, dass ein Designcafé fehlt, hätten sie sich 2013 kurz entschlossen gesagt: „Dann machen wir es selbst.“ Genau solche Entwicklungen will Kapstadt als „World Design Capital“ initiieren.
Kai-Uwe Scholz
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