Ex-US-Außenministerin Madeleine Albright: "Frauen machten mir das Leben schwer"
Zu Machos wie Erdogan muss man streng sein, das hat Madeleine Albright als Außenministerin gelernt. Sie glaubt: Wenn Trump scheitert, dann an einem Mann.
Frau Albright, wie ist die Stimmung in Washington zurzeit?
Alle Blicke sind auf den Präsidenten gerichtet. Jeder versucht, sich einen Reim auf Trumps Verhalten zu machen.
Und?
Uns ist unklar, wo das alles hinführen soll. Ich bin jetzt seit 36 Stunden in Europa und stelle fest, dass wir unsere Verbündeten ebenfalls verwirrt haben. Es ist schon riskant, seine Feinde zu verwirren. Doch seine Verbündeten zu verwirren, ist noch gefährlicher.
Sie sind in Washington verwurzelt, wohnen seit fast 50 Jahren mitten in der Stadt in einem großen Haus …
… mein Haus ist nicht besonders groß ...
... sind Sie Donald Trump schon begegnet?
Nein. Ich kenne ihn nicht.
Vergangenes Jahr sagten Sie in einem Interview, dass Sie ihn für verrückt halten.
Ich, die ich von logischem Denken geleitet bin, verstehe ihn jedenfalls nicht. Unberechenbarkeit kann durchaus eine Strategie sein. Aber konstante Unberechenbarkeit, wie wir sie gerade erleben, richtet großen Schaden an.
Joschka Fischer, mit dem Sie gut bekannt sind, prognostizierte kürzlich das „Ende des Westens“. Und der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach auf der Münchner Sicherheitskonferenz von einer „post-westlichen Weltordnung“.
Das Gefühl habe ich so nicht. Ich glaube, dass sich die Probleme, die wir westlichen Nationen miteinander haben, lösen lassen. Was in den USA, aber auch in Großbritannien und einigen anderen europäischen Ländern passiert ist, ist nicht spezifisch für die betreffenden Länder.
Meinen Sie das Erstarken rechtspopulistischer, antieuropäischer Kräfte?
Ja. Trump ist ein Symptom. Der Gesellschaftsvertrag ist brüchig geworden. Er besagt, dass Menschen individuelle Rechte abgeben, um einen Staat zu haben, der sie vor Gefahren von außen beschützt und ihnen bei Schulbildung und Jobsuche hilft. Das passiert mittlerweile nicht mehr in ausreichendem Maße. Ich war im Wahlkampf viel unterwegs, und bereits in den ländlichen Gegenden von Pennsylvania spürte ich, dass sich Menschen ausgeschlossen fühlen.
Bernie Sanders, Clintons Widersacher bei den Vorwahlen, stellte Gerechtigkeitsfragen ins Zentrum seines Wahlkampfes. Hillary Clinton ließ auf dem Gebiet wenig Engagement erkennen. Hatte die Demokratische Partei die falsche Kandidatin?
Hillary ist keine Sozialistin, sondern eine Demokratin! Nein, noch nie war ein Kandidat besser auf das Präsidentenamt vorbereitet als sie. Als Anwältin arbeitete sie zu Bürgerrechtsbelangen und während Bill Clintons Präsidentschaft an der Reform des Gesundheitssystems. Sie begreift das Zusammenwirken von Innen- und Außenpolitik. Bernie Sanders wusste null über Außenpolitik. Null. Als ich im Amt war, war er nie bei irgendeinem Treffen, das etwas mit nationaler Sicherheit zu tun hatte.
Sie haben für Hillary Clinton Wahlkampf gemacht. Waren Sie zu ihrer Wahlparty eingeladen?
Ja, ich verbrachte den Abend im Javits Center in New York, in einem speziellen VIP-Teil. Mir fiel eine Aufgabe zu, die sich als besonders schwierig erwies. Hillary und ich hatten das Wellesley College besucht, eine private Hochschule nur für Frauen. Am Wahlabend war für 22.30 Uhr eine Skype-Schalte dorthin ausgemacht. Viele Sympathisantinnen hatten sich in der Uni versammelt, und für die sollte ich den Wahlsieg, so hatten wir ja gehofft, kommentieren. Doch als ich vor die Kamera treten musste, sah die Lage bereits anders aus. Ich habe gesagt, was der Wahrheit entspricht, dass es für Frauen viel schwerer ist, so ein Amt zu erringen.
Der Grund für die Wahlniederlage war doch nicht nur, dass Hillary Clinton eine Frau ist.
Die Mehrheit gab ja Clinton ihre Stimme. Die Wahl ging in einzelnen Staaten verloren, deren spezifische Themen der Partei durchgerutscht sind. Außerdem wurde in der Wahlkampagne den sozialen Medien zu wenig Beachtung geschenkt, dann haben sich noch die Russen eingemischt!
"Lies meine Brosche!"
Bei ihren Fernsehauftritten wirkte Hillary Clinton steif, fast versteinert. Wie eine Sprechpuppe. Können Sie erklären, warum sie so unbeholfen agierte?
Ich empfand sie nicht als unbeholfen. Für eine Frau ist es schwer, zu einer jubelnden Menschenmenge zu sprechen. Das kann ich Ihnen aus Erfahrung sagen. Wenn Menschen schreien, muss man seine Stimme erheben, um zu ihnen durchzudringen, was sich bei Frauen schnell so anhört, als würde man die Menschen seinerseits anschreien. In kleinen Gruppen traf Clinton den Ton, wenn sie zum Beispiel mit Wählern in deren Wohnzimmern sprach.
Haben Sie noch Kontakt zu Hillary Clinton?
Klar. Das Außenministerium hat ein Museum der Diplomatie eröffnet. Das war meine Idee, Hillary Clinton hat sie in ihrer Zeit als Außenministerin zu Ende gebracht. Wir sahen uns dort.
Wie geht es ihr?
Sie versucht herauszufinden, was passiert ist, und auch, was sie als Nächstes tun will.
Sie sagten mal: „Es gibt in der Hölle einen besonderen Platz für Frauen, die andere Frauen nicht unterstützen.“
Ich helfe, wo ich kann, weil ich früher selbst enttäuschende Erfahrungen machen musste: Frauen machten mir das Leben schwer.
Inwiefern?
Damals, in den 60ern, arbeiteten in meinem Umfeld die meisten Frauen nicht. Sie bedeuteten mir, dass sie besser kochen könnten als ich und dass ich meine Zeit mit meinen drei Kindern verbringen sollte statt in der Bibliothek.
Sie selbst waren nicht erwerbstätig, als Ihre Kinder klein waren. Waren Sie eine unglückliche Hausfrau?
Ja, und keine gute. Ich war gelangweilt.
Wie sind Sie da reingerutscht?
Ich machte meinen College-Abschluss mit 22 und heiratete drei Tage später. Mein Mann ging zur Armee, und ich arbeitete als Journalistin für eine kleine Zeitung in Missouri: schrieb Nachrufe, interviewte Menschen, die glaubten, Ufos gesehen zu haben. Später zogen mein Mann und ich nach Chicago, wo er einen Job bei einer Zeitung bekommen hatte. Einmal saßen wir mit seinem Chefredakteur beim Essen, als der mich fragte: „Und was willst du machen, Honey?“ Ich antwortete, dass ich auch bei einer Zeitung arbeiten wolle. Darauf meinte er, das sei keine gute Idee. Bei der Zeitung meines Mannes könne ich aufgrund arbeitsrechtlicher Bestimmungen nicht anfangen. Die drei anderen Zeitungen, die es damals in Chicago gab, kämen auch nicht infrage, weil ich ja wohl nicht mit meinem Mann konkurrieren wolle. Heute kann man sich nicht mehr vorstellen, sich von so etwas beeinflussen zu lassen, doch ich habe es getan.
Dann machten Sie eine späte Karriere, wie sie in Deutschland wohl so nicht möglich wäre.
1976 beendete ich meine Doktorarbeit, mit 39. Mein Glück war, dass ich zu genau der Zeit fertig war, als die Leute begannen, sich gezielt nach Frauen für ihre Belegschaft umzusehen. In meinem ersten Vollzeitjob arbeitete ich für den Senator Ed Nusky. Ich war, was meine Karrierestufen angeht, immer zehn Jahre später dran als andere.
Sie waren mit 59 die erste Außenministerin der USA. Hatten Sie bei Treffen mit Kollegen einen Eisbrecher?
Meistens fing ich an, über irgendetwas Unverbindliches wie das Wetter zu reden. Aber am Ende musste ich auf den Punkt kommen. Ich verwendete immer diesen Satz: „Ich bin von weit her gekommen, deshalb muss ich offen sein.“
Sie haben ein Buch über Ihren Einsatz von Broschen zur Übermittlung von diplomatischen Botschaften geschrieben.
Ich hatte eine Sammlung. Das Ganze fing an, als ich Botschafterin bei der UNO war, die nach dem Golfkrieg Sanktionen gegen den Irak verhängt hatte. Eines Tages verglich mich eine Bagdader Zeitung mit einer Schlange. Immer wenn wir über den Irak sprachen, heftete ich mir fortan meine Schlangen-Brosche an. Ich mag Schmuck und kaufte viele Broschen. Ich war die einzige Frau im Sicherheitsrat, und an guten Tagen trug ich Blumen und Schmetterlinge, an schlechten Insekten. Wenn mich Leute fragten, was anstünde, sagte ich: „Lies meine Brosche!“ Als ich Außenministerin war, fanden wir zum Beispiel heraus, dass die Russen einen Raum im Ministerium verwanzt hatten. Als ich mich das nächste Mal mit dem russischen Außenminister traf, trug ich eine riesige Wanze als Brosche. Gerade habe ich meine Broschen dem Museum der Diplomatie vermacht.
"Ich musste in meinem Leben zwei Mal fliehen"
Sie haben als Außenministerin eng mit Joschka Fischer zusammengearbeitet. Angeblich verbindet Sie eine Freundschaft?
Ja. Er gehört auch einer Gruppe von ehemaligen Außenministern an, die ich gegründet habe.
Wie sieht Ihre Freundschaft aus? Besuchen Sie ihn gelegentlich in seinem Haus im Grunewald?
Da war ich schon länger nicht mehr. Als wir gestern zusammen zu Abend gegessen haben, sprachen wir darüber, dass eines unserer schönsten gemeinsamen Erlebnisse eine Bootstour durch Berlin war.
Von Politikern hört man oft, dass in der Spitzenpolitik keine Freundschaften möglich seien.
Das stimmt nicht. Auch Hillary Clinton ist eine enge Freundin. Wir machen zusammen mit Chelsea viele Mutter-Tochter-Dinge.
Zurzeit besetzen aggressive, machohafte Männer Machtpositionen in der Weltpolitik: Trump, Putin, Erdogan. Haben Sie einen Rat aus Ihrer Zeit als Außenministerin, wie man mit ihnen umgeht?
Ich würde versuchen, Gebiete abzustecken, auf denen wir etwas gemeinsam haben. Dann würde ich ihnen klarmachen, dass ihr Verhalten international inakzeptabel ist. Solche Männer respektieren Strenge von der anderen Seite. Strenge aus westlicher Sicht heißt: unser Wertesystem herauszustellen, die freie Gesellschaft, was nicht einfach ist im Moment, da sie ja auch bei uns nicht ganz unumstritten ist. Das ist alles schwierig. Ich sage nicht, dass irgendetwas, was jetzt getan werden muss, leicht ist.
In den letzten Monaten las man häufig die Formulierung, dass „die Welt aus den Fugen“ geraten sei. Sogar Angela Merkel hat den Satz in ihrer Neujahrsansprache zitiert. Teilen Sie die Einschätzung?
Es herrscht gerade schon eine große Unordnung. Übrigens bewundere ich Angela Merkel für ihre Flüchtlingspolitik, die sie zur Heldin macht.
Das Bild „aus den Fugen“ suggeriert eine außergewöhnliche Bedrohung. In Anbetracht der Grausamkeiten in der Menschheitsgeschichte – war die Welt jemals in den Fugen?
Schon. Nach Ende des Kalten Krieges, in den 90ern, als ich Außenministerin war, bauten Länder und ihre Regierungen, die etwas gemeinsam hatten, Institutionen auf, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen. Doch dann kamen Irakkrieg und Finanzkrise, und viele Menschen hatten das Gefühl, dass sich ihre Regierungen nicht ausreichend bemühten, ihnen zu helfen.
Was uns Europäer beunruhigt und auch verärgert, sind die destruktiven Äußerungen zur EU, die vom US-Präsidenten und aus seinem Umfeld kommen.
Mich besorgt, dass das, was Trump im Wahlkampf sagte, dem sehr ähnlich ist, was Putin gerne hätte. Da gab es das Einvernehmen: „Wir müssen die EU loswerden.“ Ich bin im Herzen Europäerin. Ich hoffe, dass, wenn sich diese Trump-Regierung selbst organisiert bekommt, es Leute darin gibt, die die russische Bedrohung verstehen. Diese Bedrohung funktioniert jetzt anders: nicht mehr nur durch Panzer, sondern auch digital.
Sie haben sich gegen den Einreisestopp für Muslime engagiert. Auf Twitter schrieben Sie, dass Sie aus Solidarität bereit seien, zum Islam überzutreten.
Der Einreisestopp ist unamerikanisch. Ich musste in meinem Leben zwei Mal fliehen. Ich war ein privilegierter Flüchtling, mein Vater war tschechoslowakischer Diplomat, und so konnten wir vor den Nazis nach England fliehen, wo wir den Krieg verbrachten und viel Hilfsbereitschaft erfuhren, verbunden mit der freundlich gestellten Frage: „Wann geht ihr wieder nach Hause?“ Nach dem Krieg emigrierten wir in die USA, wo wir ebenfalls viel Empathie erlebten. Doch hier lautete die Frage: „Wann werdet ihr amerikanische Staatsbürger?“ Als ich zur Ministerin berufen wurde, war Henry Kissinger der Erste, der mich anrief. „Madeleine, du hast mir mein Alleinstellungsmerkmal weggenommen“, sagte er. „Ich war der erste Immigrant als Außenminister.“
Gerichte haben Trumps Einreisestopp ausgesetzt.
Unsere Demokratie ist widerstandsfähig. Senator McCain, ein Republikaner, wandte sich gegen Trumps Politik. Wir haben eine Weile gebraucht, um zu erkennen, was los ist. Und wir werden noch eine Weile brauchen, um alles zu reparieren.
Hält Trump Ihrer Ansicht nach vier Jahre durch?
Das lässt sich nicht sagen. Niemand weiß ja von einem Tag zum nächsten, was er tun wird.
Was ist sein größter Stolperstein: die Geheimdienste, die Republikanische Partei, der Kongress?
Er selbst.
Barbara Nolte