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Fischer und Albright bei einem G8-Gipfel im Jahr 1999.
© dpa

Ortstermin mit Albright und Fischer: Blick zurück

Die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright stellte in Berlin die deutsche Übersetzung ihres Buches vor. Bei der Podiumsdiskussion war auch Joschka Fischer dabei. Heute sind sie befreundet, doch das war nicht immer so - beide erinnern sich.

Wie trifft man die Entscheidung, einen Krieg zu beginnen? Wie lebt man damit, wenn man US-Außenministerin ist und kurz vor seinem 60. Geburtstag erfahren hat, dass man aus einer jüdischen Familie stammt? Und warum hat Joschka Fischer in der heißen Phase des Kosovo-Konflikts bei Telefonkonferenzen mit anderen westlichen Außenministern Fußball geschaut?

Es war Madeleine Albright, die diese spannenden Fragen bei einem Podiumsgespräch in Berlin aufwarf. Die Chefdiplomatin von Präsident Bill Clinton während der Jahre 1997 bis 2001 stellte auf Einladung der American Academy und des Siedler-Verlags die deutsche Übersetzung ihres Buches „Winter in Prag – Erinnerung an meine Kindheit im Krieg“ vor. Und räsonierte gemeinsam mit ihrem Freund Joschka Fischer darüber, wann es unumgänglich wird, Diktatoren mit militärischer Gewalt zu stoppen, die für massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind.

„Ich war 59 Jahre alt, als ich meine jüdischen Wurzeln entdeckte“, erinnerte sich Albright an die Anfangsphase ihrer Amtszeit, als ihr ein Journalist seine Recherchen präsentierte. Ihre Eltern hatten ihr nie davon erzählt, dass sie aus einer jüdischen Familie stammte und dass 25 ihrer Angehörigen im Holocaust ermordet worden waren. In ihrem Buch hat die Politikprofessorin nun diese Familiengeschichte rekonstruiert, was auch ihren Blick auf die Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs und das Land ihrer Eltern veränderte.

1937 wird Albright als Maria Jana Korbelová in Prag geboren, ihr Kosename heißt „Madlenka“. Ihr Vater, ein überzeugter Demokrat, arbeitet als Diplomat für Edvard Benes. Als sie zwei Jahre alt ist, flieht ihre Familie vor den Nazis nach London. Dort erlebt sie die schwersten deutschen Luftangriffe auf die britische Hauptstadt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kehrt ihr Vater an der Seite von Benes mit großen Hoffnungen nach Prag zurück.

Doch nur drei Jahre später, 1948, fliehen die Eltern vor den kommunistischen Machthabern mit ihrer achtjährigen Tochter ins amerikanische Exil, wo Madeleine im katholischen Glauben aufgezogen wird. Sie sei mit der Überzeugung aufgewachsen, die Tschechoslowakei sei „ein perfektes Land“ gewesen, sagte Albright auf dem Podium. Erst bei der Recherche zu dem Buch setzte sie sich dann auch intensiv mit der Vertreibung der Deutschen durch die Tschechen nach 1945 auseinander – und bewundert noch heute Präsident Vaclav Havel für seinen Mut, für dieses Unrecht um Entschuldigung zu bitten.

Während seiner kurzen Tätigkeit als tschechischer Diplomat war Albrights Vater mit der gesamten Familie nach Belgrad versetzt worden, in jene Stadt also, in der rund 60 Jahre später Slobodan Milosevic die ethnische Säuberung Kosovos in Gang setzte.

Der Versuch, Milosevic in die Schranken zu weisen, das Leid der Kosovaren zu stoppen und die Nachkriegsordnung Europas zu bewahren, führte Albright dann mit Joschka Fischer zusammen. Sehr detailliert erinnerte sich die Amerikanerin bei ihrem Auftritt in der Repräsentanz der Bertelsmann-Stiftung an das erste Treffen mit dem damals frisch gekürten deutschen Außenminister.

Die Entscheidung über den Krieg um das Kosovo stand unmittelbar bevor. Der Gast aus Bonn, so erinnerte sich die Amerikanerin in Berlin, sagte damals: „Ich kann’s nicht glauben. Ich, Joschka Fischer, sitze hier im Dreiteiler im Außenministerium der USA und rede über die Nato.“ Tatsächlich hatte der ehemalige Straßenkämpfer einen weiten Weg zurückgelegt, bis er seine grüne Partei und die Deutschen in den Krieg führte.

Als Neuling im Amt, so erwiderte Fischer, sei es „ziemlich hart gewesen, mit der Frau Außenministerin zurechtzukommen“. Schließlich kam er aus einer politischen Tradition, der Militärinterventionen denkbar fremd waren. Albright, so erinnerte sich der Deutsche, ratterte immer wieder den Katalog von Bedingungen herunter, die Milosevic zu erfüllen hatte, und endete jeweils mit der Drohung: „Or we bomb!“ („Oder wir beginnen mit der Bombardierung!“)

Bekanntlich entschieden sich Fischer und die rot-grüne Regierung gegen massive Widerstände in den eigenen Reihen, nicht aus der westlichen Allianz auszuscheiden und die Menschenrechtsverletzungen durch eine militärische Intervention ohne UN-Mandat zu stoppen. „Ich glaube, wir haben richtig gehandelt“, sagte Fischer im Rückblick.

In der öffentlichen Debatte in Deutschland zog der Grünen-Politiker damals Auschwitz als Begründung für die Notwendigkeit des militärischen Schutzes der bedrohten Zivilisten heran. Auch im Kreis der Außenminister der großen westlichen Nationen bemühte er laut Albright ein ähnliches Argument und verglich das Vorgehen des serbischen Machthabers Slobodan Milosevic mit dem düstersten Kapitel der deutschen Geschichte: „Das ist genau das, was auch die Nazis getan hätten.“ Glaubt man Albright, zeigte der Rückgriff auf die Geschichte auch im Kreis der Chefdiplomaten Wirkung: „Der Auftritt von Joschka Fischer auf der Bühne sorgte für die Entscheidung.“

Ein interessantes Detail ihrer damaligen Krisen-Telefonate im Kreis der westlichen Außenminister, das Fischer betraf, erzählte Albright ganz nebenbei. „Er war immer derjenige, der seine Ansichten am direktesten vortrug und in einer Weise, die uns alle überzeugte“, meinte sie: „Manchmal schaute er ein Fußballspiel an, aber meistens war er bei der Sache.“ An dieser Stelle hob ihr Gesprächspartner auf der Bühne abwehrend die Hände.

Ihre Wertschätzung für den deutschen Kollegen hat das Medienverhalten des Grünen-Politikers in der Vorkriegsphase aber offenbar nicht gemindert. Im Gegenteil. „Ich glaube wirklich, dass er in diesem Konflikt eine unglaubliche Rolle gespielt hat“, meinte Albright im Rückblick auf das Ringen um das Kosovo. Fischer sei „einer der ehrlichsten, direktesten Menschen“, sie sie jemals getroffen habe. Für sie sei er auch heute noch „ein wirklich naher Freund“. In diesem Moment schaute Fischer nicht Madeleine Albright an, sondern auf einen imaginären Punkt in weiter Ferne.

Hans Monath

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