Berliner Intensivpfleger an der Corona-Front: „Ein paar Wochen - und die ganze Familie ist ausgelöscht“
Ricardo Lange berichtet jede Woche aus dem Krankenhaus. Diesmal: die südafrikanische Mutante und die unsinnige Debatte über Betten. Ein Interview.
Ricardo Lange, 39, arbeitet als Pflegekraft auf Berliner Intensivstationen mit Covid-Schwerpunkt. Hier berichtet er jede Woche von Nachtschichten, Provisorien und Hoffnungsschimmern.
Herr Lange, eine Woche Frühdienst liegt hinter Ihnen. Berichten Sie von der Lage der Station!
Es ist wie bei den ersten Wellen. Die Nachrichten bringen die hohen Zahlen und ich denke, naja, so dramatisch isses bei uns noch nicht. Und zack, am nächsten Tag ist die Station plötzlich komplett voll. Inzwischen kümmere ich mich auch um erste Fälle der südafrikanischen Mutante.
Außerdem betreue ich gerade eine Frau, deren Covid-Verlauf eine sehr schlechte Prognose hat. Ihr Mann hatte es auch, er hat es nicht geschafft. Anfang des Jahres ist der gemeinsame Sohn bei einem Unfall gestorben. Ein paar Wochen - und die ganze Familie ist ausgelöscht. Das geht mir sehr nahe.
Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci sagte, Berlin könne Covid-Kranke aus anderen Bundesländern aufnehmen. Ist doch noch Platz?
Wo sollen die hin? Die nun jüngeren Patient:innen liegen lange, ihren Körpern muten wir es zu, alle Therapieansätze auszureizen. Und selbst genesen müssen die Patient:innen noch wochenlang wieder entwöhnt werden, Weaning nennen wir das. Diese Debatte um „freie Betten“ ärgert mich.
Die Betten müssen von erfahrenem Personal betreut werden – wo soll das herkommen? Die Betten in kleinen Häusern werden auch dazugerechnet, dort liegt aber eher mal eine Hüft-OP mit Komplikationen. Schwere Fälle wurden schon vor der Pandemie in Spezialkliniken, zu Maximalversorgern wie der Charité, verlegt. Corona bedeutet oft: schwerer Fall. Diese Patient:innen brauchen eventuell eine ECMO …
[Weitere Folgen der Kolumne "Außer Atem" mit Ricardo Lange:
- „Wir hatten ihn 16 Stunden auf dem Bauch liegen“
- „Die Leute bekommen weiter Herzinfarkte – Corona hin oder her“
- „An eine frühe Begegnung mit dem Tod denke ich oft“
- „Ich darf keine Fehler machen, auch wenn mein Körper sich im Schlafmodus befindet“
- „Sie japsen als kämen sie vom Joggen“
- „Ich verstehe nicht, was die App bringen soll“
… das Lungenersatzgerät, von dem manche Kliniken gar keines besitzen, weil es so teuer ist …
… und spezialisiertes Personal benötigt. Eigentlich betreuen wir Patient:innen, die da dran hängen, 1:1, aber in manchen Kliniken sind gerade 15 davon parallel im Einsatz, da geht das nicht. Wir sprechen ja immer von erhöhtem Arbeitsaufwand durch Covid.
Ein Beispiel: Wenn wir Patient:innen mitsamt dieser ECMO durchs ganze Haus zum CT fahren, über die Magistrale, in den Aufzug, müssen wir enorm aufpassen: Rutscht einer der beiden fingerdicken Schläuche raus und wir können die entstehende Öffnung nicht abdrücken, können sie binnen Minuten verbluten.
Sie klingen heute dennoch so motiviert.
Ich habe die ARD-Doku über die Charité gesehen, die spricht mir aus dem Herzen. Man sieht authentisch, wie professionell und gleichzeitig menschlich die Kolleg:innen dort arbeiten. Das hat mich bestärkt: Ich habe – trotz allem - einen tollen Beruf.