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Rosa oder blau. Produkte für Kinder sind schon sehr früh gegendert.
© Patrick Pleul/dpa

Gendermarketing für Kinder: "Die Socken, für Jungen oder für Mädchen?" - "Für Füße!"

Starker Ritter hier, Glitzerprinzessin da – Produkte für Kinder zeigen heute wieder ziemlich simple Rollenbilder. Das beschränkt Jungs und Mädels in ihren Möglichkeiten.

Im Juli 2016 postete die zweifache Mutter Rike Drust auf Facebook einen Hilferuf an Nestlé. Der Smarties-Hersteller bietet eine blaue Ritter- und eine rosa Prinzessinnen-Edition der Schokolinsen an, und Drust schrieb: „Meine Tochter (2) hat heute aus Versehen von den Ritter-Smarties ihres Bruders (7) gegessen. Einen blauen Smartie konnte ich ihr noch aus dem Mund fischen, aber ich schätze, sie hat bestimmt vier bis fünf gegessen. Ich habe große Angst, dass der Verzehr Einfluss auf ihre Prinzessinnenhaftigkeit hat. Was mache ich, wenn sie jetzt plötzlich anfängt, sich jungenhaft zu benehmen?“

Mehr als 2.000 Menschen teilten die Nachricht, fast tausend kommentierten sie. „Noch immer nicht kapiert, dass es kein Pink-Gen gibt?“, schrieb jemand ans Unternehmen.

Während die Geschlechtergrenzen in der Gesellschaft immer durchlässiger werden und die Kanadier derzeit sogar über die Einführung eines geschlechtsneutralen Ausweises diskutieren, ist die Warenwelt der Kinder rigider denn je getrennt. „Früher gab es zwar Autos für Jungen und Puppen für Mädchen, aber die meisten anderen Spielsachen waren für beide Geschlechter“, sagt die Entwicklungspsychologin Christia Brown von der Universität Kentucky. „Heute sind fast alle Produkte für Kinder durchgegendert.“

So verkauft die Firma Spielstabil Sandspielzeug in einer rosafarbenen Prinzessinnen- und einer blauen Piraten-Edition. Playmobil-Männer landen ihren Hubschrauber, während Playmobil-Frauen mit rosafarbenen Puschen im Bad stehen und sich die Haare föhnen. Auf dem Experimentierkasten der Firma Kosmos, der „Feen-Garten“ heißt, ist ein Mädchen abgebildet. Auf dem Elektromotor-Kasten ist ein Junge zu sehen. Vom gleichen Hersteller stammte auch ein Chemie-Kasten mit dem Zusatz: „für Väter und ihre Söhne“.

Reicht? Gibt noch mehr.

"Die Socken, für Jungen oder für Mädchen?" "Für Füße."

Mädchen und Jungen trinken auch nicht mehr das Gleiche. Die Getränkemarke Capri-Sonne hat für Mädchen den „Elfentrank“, und die Jungen bekommen „Monsteralarm“. Von der Firma Sigikid gibt es eine blaue und eine rosafarbene Produktreihe. Die blaue – der Name: Samy Samoa – zeigt auf Koffern, Portemonnaies und Regenschirmen die Abenteuer eines Piratenjungen. Mal segelt er, mal sitzt er auf einem Hai. Gegenstück ist Pinky Queeny. Eine rosa Prinzessin, die Herzchen in die Luft wirft. Das Amazon-Tablet für Kinder ist nur in den Farben Rosa und Blau erhältlich. Und Bübchen hat ein blaues Sportsfreund-Shampoo, auf dem ein Junge Fußball spielt, und ein rosafarbenes Prinzessin-Shampoo, das ein Mädchen mit langen, blonden Haaren in der Badewanne zeigt. Und, alle Achtung, die Krone sitzt.

Die Überlegung hinter all diesen Produkten: Mit zwei Zielgruppen kann man doppelt so viele Produkte verkaufen. Wenn Eltern für Sohn und Tochter zwei Arten von Getränken kaufen und ein Kind nicht mehr den Regenschirm des anderen benutzen will, weil er das falsche Motiv hat, war Gender-Marketing erfolgreich.

Dass selbst so etwas Profanes wie Strümpfe heute nicht mehr ohne geschlechtliche Erwägungen erhältlich sind, erfuhr die Bloggerin und Mutter Patricia Cammarata, als sie im Kaufhaus nach Kniestrümpfen in Größe 33 fragte. Sie hatte erwartet, dass der Verkäufer sie einfach zu einem Regal führen würde, aber er hatte zuerst Klärungsbedarf. „Für Jungen oder für Mädchen?“, fragte er. „Für Füße“, antwortete Cammarata. Als sie diesen Wortwechsel bei Twitter und auf ihrem Blog „DasNuf“ veröffentlichte, bekam sie Hunderte von Reaktionen. Viele schrieben, sie hätten ebenfalls genug vom Gender-Marketing, andere äußerten Unverständnis über Cammaratas Ärger – Mädchen und Jungen hätten nun einmal unterschiedliche Vorlieben. Das müsse man akzeptieren.

Almut Schnerring kennt solche Argumente. In den vielen Gesprächen, welche die Autorin des Buchs „Die Rosa-Hellblau-Falle“ über Geschlechtsunterschiede geführt hat, gab es immer diesen Moment, in dem Eltern mit komischer Verzweiflung berichteten, wie sie sich redlich bemüht hätten, ihrer Tochter Ballspiele nahezubringen. Aber dass die Tochter den Ball wie ein Baby hin- und hergewiegt habe, anstatt ihn zurückzuschießen. „Das sehen sie als Beweis für angeborene Geschlechtsunterschiede an“, sagt Schnerring. „Doch das stimmt nicht.“

Mit zwei Jahren haben Kinder gelernt, welches Geschlecht sie haben

Auch wenn Eltern es gut meinen: Oft sind sie sich gar nicht darüber bewusst, dass sie sich von Rollenbildern leiten lassen – und das sogar noch vor der Geburt. So stellten Wissenschaftler fest, dass werdende Mütter die Kindsbewegungen in ihrem Bauch anders beschrieben, kaum hatten sie in der Ultraschalluntersuchung das Geschlecht des Kindes erfahren. Handelte es sich um einen Jungen, nannten sie die Bewegungen „energisch“ und „kräftig“, bei einem Mädchen benutzen sie Wörter wie „ruhig“. Eine andere Studie befasste sich mit dem verbalen Austausch zwischen Müttern und ihren sechs Monate alten Kindern. Das Ergebnis: Mit Mädchen wurde mehr gesprochen. Und als man Mütter von elf Monate alten Kindern bat, einzuschätzen, wie gut es ihrem Kind gelingen würde, eine Rampe entlangzukrabbeln, wurden die Jungen systematisch über- und die Mädchen unterschätzt. Kinder ziehen Schlüsse aus dem Verhalten der Eltern: Du hältst mich fest, wenn ich die Rampe entlangkrabbele? Dann kann ich das nicht allein.

Mit zwei Jahren wissen Kinder, welches Geschlecht sie haben. Dann lernen sie, sich den Erwartungen an ihr Geschlecht anzupassen, wie eine Studie an der Arizona State University belegt: Als man Jungen und Mädchen im Vorschulalter einige geschlechtsneutrale Spielsachen wie Glocken und Lupen gab, zeigten sie keine Vorlieben. Aber als man die Spielsachen zufällig auf zwei Kartons verteilte und sie mit „Jungen“ und „Mädchen“ beschriftete, spielten die Kinder lieber mit den Gegenständen, die angeblich für ihr eigenes Geschlecht gedacht waren.

Psychologen nennen diese Bevorzugung der eigenen Gruppe den Ingroup-Bias. Für ihn sind Kinder aufgrund ihres stark ausgeprägten Wunsches nach Orientierung besonders anfällig, sagt die Neurowissenschaftler Cordelia Fine. „Das gilt umso mehr, wenn sich die Gruppen sichtbar unterscheiden und Autoritätsfiguren die Gruppenaufteilung zur Sprache bringen“, schreibt Fine in „Die Geschlechterlüge“.

"Glaubst du, dass ein Mann kein Lila tragen darf?"

Die Bedeutung vom Ingroup Bias bei Kindern belegte die US-Psychologin Rebecca Bigler, indem sie Drei- bis Fünfjährige willkürlich in eine rote und eine blaue Gruppe einteilte. Alle wurden mit Erkennungsmerkmalen wie roten und blauen T-Shirts ausgestattet, bei verschiedenen Gelegenheiten nach Farben getrennt und als Rote und Blaue begrüßt. Schon nach drei Wochen wollten die blauen Kinder lieber mit anderen blauen und die roten Kinder lieber mit anderen roten spielen, und sie bevorzugten auch das Spielzeug, von dem sie wussten, dass es ihre Gruppenmitglieder mochten. Wie gesagt: Das Experiment dauerte nur drei Wochen. Auf die Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden Kinder durch Gender-Marketing ihr ganzes Leben lang hingewiesen. Sei es durch Smarties oder Sandspielzeug, Shampoos oder Regenschirme.

Was tun, wenn das Gender-Marketing seine Wirkung entfaltet und Mädchen zu Fasching als Glitzerprinzessin und Jungen als Darth Vader gehen wollen? Selbst wenn die Eltern in solchen Momenten wissen, dass das keine angeborenen Neigungen sind: Die Wünsche der Kinder werden dadurch nicht minder stark. Soll man sich ihnen etwa verweigern?

„Nein“, sagt Patricia Cammarata. „Keine Verbote. Lieber aktiv dagegen anleben.“ Und dann bringt Cammarata wieder ein Sockenbeispiel: Neulich trug ihr Freund lila Socken. Als Cammaratas Sohn das sah, war er total verblüfft: „Warum trägst du Lila?“ Der Freund erklärte ihm dann: „Ich mag Lila. Glaubst du, dass ein Mann kein Lila tragen darf?“ Die Bloggerin und ihr Freund tauschen auch bewusst die Rollen, sodass der Mann der Tochter Flechtfrisuren macht und Cammarata den Grill anwirft.

Wie wirkungsvoll es ist, Kindern Alternativen anzubieten, zeigt eine weitere Studie von Rebecca Bigler. Die Wissenschaftlerin las vier Jungen und vier Mädchen, die dadurch aufgefallen waren, dass sie sich besonders geschlechtsrollenstereotyp verhielten, zwei Geschichten vor. Die Mädchen hörten eine über ein wildes Mädchen, deren Mutter Pilotin ist, und die Jungen eine über einen Jungen mit einer sprechenden Puppe. Kaum waren die Geschichten zu Ende, begannen drei der vier Mädchen gleich mit Hubschraubern und Feuerwehrautos zu spielen und zwei der Jungen mit den Mädchensachen.

Übrigens: Dass sich die Jungen auch mal an Mädchensachen herantrauen, ist wichtig. Wissenschaftler haben festgestellt, dass es ihnen nämlich noch schwerer als Mädchen fällt, sich Rollenklischees zu widersetzen. Dabei tut es beiden Geschlechtern gut. Typische Jungensachen wie Bauklötze trainieren das räumliche Vorstellungsvermögen, mit Puppen übt man dagegen Kommunikation. Beides sind Fähigkeiten, die der Mensch im Leben braucht. Egal ob Mann oder Frau.

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