Berlin entdeckt Schwedens Spezialität: Die Renaissance des Knäckebrots
In Schweden steht es auf jedem Tisch. Geschmack? Neutral. Jetzt wird Knäckebrot in vielen Varianten neu erfunden – auch in Berlin.
Cool Britannia? Cool Scandinavia! Extravagante Kleider und edle Töpfe, legere Stühle und schlichtes Geschirr, lustige Lampen und Sessel, die wie Würstchen aussehen – „New Nordic: Fashion. Food. Design“ heißt die Schau in den Nordischen Botschaften, in der die skandinavischen Länder gerade (bis zum 8. Oktober) zeigen, was sie so können im Bereich der Gestaltung. Und sie können verdammt viel. Modern und gemütlich und ökologisch.
Und Knäckebrot.
Ja, zwischen Mode und Möbeln kann man auch knuspriges Brot bewundern. „Pyramid“ heißt eine der ausgestellten Marken. Der nach eigenen Angaben drittgrößte Knäckebrot-Produzent in Schweden wurde Anfang der 1990er Jahre von einem Ägypter gegründet. New Nordic, das heißt meistl, dass alte Traditionen aufgegriffen und verjüngt werden. So auch hier. Bei „Pyramid“ wird das Knäckebrot aus Vollkornmehl im offenen Holzofen gebacken, wie vor Hunderten von Jahren auf Stangen getrocknet und hinterher in Öko-Papier gepackt.
1000 Varianten kann man in Schweden kriegen
Das handgebackene Brot gibt’s auch in Berlin zu kaufen, im Schweden-Markt in Friedenau. 66 verschiedene Sorten hat der einstige Politikwissenschaftler Helge Drescher im Angebot. Nicht alle in seinem kleinen Laden, aber auf jeden Fall im Lager. Sonderwünsche werden auch erfüllt.
Die Schweden sind Weltmeister beim Knäckebrot, selbst wenn die anderen skandinavischen Länder alle ihre eigenen Varianten haben. Kenneth Gjerrud zum Beispiel, der für das Essen in der Kantine der Nordischen Botschaften und im Restaurant Munch’s Hus an der Bülowstraße zuständig ist, wuchs in Norwegen mit dickem, dunklen Roggenknäcke auf, das er am liebsten mit Marmelade bestrich und mit braunem Ziegenkäse belegte. Aber in Schweden, wo seine Oma lebte, schmeckte es ihm als Kind besser, dort war auch die Vielfalt größer. Heute mehr denn je.1000 verschiedene Varianten, schätzt Gjerrud, gibt es inzwischen. Eckig oder rund, breit oder schmal, mit Loch oder ohne, aus Roggen-, Weizen-, Gersten-, Dinkel-, Hafer-, Hirse-, Kastanien- oder Kichererbsenmehl. „Es wird viel experimentiert, gleichzeitig geht man wieder auf alte Traditionen zurück.“ Viele Restaurants, so der 43-Jährige, backen jetzt selber.
Gjerrud benutzt das krosse, rustikale Spelt-Dinkel Bröd von Pyramid gern für Häppchen und Vorspeisen. Die knusprige Unterlage eignet sich besser für Canapés als labberiges Weißbrot, das schnell durchmatscht, wenn man es mit Pasten, Elch-Schinken oder Hering belegt. Und schmeckt interessanter.
Mehl, Wasser, Salz
Gesund und praktisch, ist Knäckebrot wie gemacht für den Metropolenbewohner von heute. In der Regel ohne künstliche Zusatz- und Konservierungstoffe und den ansonsten allgegenwärtigen Zucker, meist auch ohne Milch, besteht es in der traditionellen Form einfach aus Mehl, Wasser und Salz, und zwar meist aus ballaststoffreichem Vollkornmehl, vielleicht noch Hefe oder Sauerteig, zur Auflockerung. (Die Hysterie um das krebserzeugende Acrylamid ist wieder verschwunden.)
Zudem hat es wenig Kalorien – und hält sich ewig. „Wenn sonst nix mehr da ist,“ sagt Lo Bjerregaard vom Kreuzköllner Café Valentin – „Knäckebrot hat man immer noch im Schrank." Wobei sie, halb Dänin und halb Schwedin, es nicht aus Not isst, sondern weil es ihr schmeckt. Und weil es Erinnerungen weckt – an den Mitsommer und Zuhause. Weshalb die 34-Jährige für ihr Café auch ihr eigenes Knäcke backt. So wie man es heute gern hat: Seit Beginn dieses Jahrtausends sind Sorten mit viel Geschmack und Biss gefragt, mit reichlich Körnern und Samen. „Millenium-Knäckebrot“ nennt es der Kulturhistoriker Richard Tellström. Denn ein bisschen fad war es oft schon, etwa das bleiche Milk Bröd.
Krosser Kontrast zum Schäumchen
In ihr Knäckebrot, das man im schwedischen Café Valentin in kleinen Portionen auch für zu Hause kaufen kann (größere Mengen auf Vorbestellung), gibt Lo Bjerregaard neben vielen Samen noch garantiert unschwedisches Olivenöl. „Mehr sag ich nicht.“ Schließlich habe sie lange getüftelt, um es so hinzukriegen, wie sie es haben möchte.
Olivenöl steckt auch im Rezept der Krimiautorin Viveca Sten, in ihrem Kochbuch „Schärensommer“. Ein Blitzrezept mit Pfiff: Einfach den Backofen auf 150 Grad vorheizen, je 75 Gramm Sonnenblumenkerne, Sesamkörner und Leinsamen mit 120 Gramm Kichererbsen- oder Maismehl, einem halben Teelöffel Meersalz und 50 ml Olivenöl mischen, einen Viertelliter kochendes Wasser dazugeben und alles zu einem flüssigen Teig verarbeiten. Ein Blech mit Backpapier auslegen, den Teig möglichst dünn darauf ausstreichen und auf der mittleren Schiene eine gute Stunde backen. Fertig. Geht superfix, macht was her, ist garantiert vegan und verführt zu weiteren Experimenten. Wie wär’s mit Anissamen?
Durch die Pastamaschine gedreht
Die einzige Herausforderung: wie kriegt man die Scheiben schön dünn? Man könnte ein zweites Backpapier auf den Teig legen und plattrollen. Die Köche im Restaurant Dóttir in Mitte haben einen Trick entdeckt: Sie drehen den Teig durch die Pastamaschine, als Topping kommen unter anderem Fenchelsamen drauf. Die Gäste mögen es – ist mal was anderes.
Die Renaissance des Knäckebrots war auch überfällig. Denn in Schweden war der Verbrauch dramatisch zurückgegangen: Von 6,6 Kilo pro Person 1960 auf heute 3,5 Kilo. Knäckebrot haftete der Ruf des Altmodischen, Armen an. Bis heute gilt frisch gebackenes, weiches Brot als Statussymbol, das konnten sich früher nur reiche Leute in der Stadt leisten. Denn in den abgelegenen, dünn besiedelten Regionen Schwedens gab’s keine Bäckereien. Dort wurde, wie der Kulturhistoriker Richard Tellström erzählt, manchmal nur zweimal im Jahr auf Vorrat gebacken. „Die Öfen waren riesig, man brauchte viel Zeit und Holz, um sie zu befeuern.“
Snäckebrot mit Käse
Die Renaissance kommt nicht von ungefähr. Im Zeitalter der Vegetarier und Veganer gibt es nicht mehr viel zu beißen. Schäumchen, Pürees und zahmem Gemüse geben kluge Köche daher immer noch etwas Knusper dazu, schließlich wird in der gehobenen Gastronomie viel Wert auf Texturen und Kontraste gelegt. Dafür ist das krosse Brot ideal. Auch für faule Köche: Man muss es nicht erst in viel Butter zu Croûtons braten, kann es einfach in Stücke brechen und ins Essen stecken, das sieht auch noch lustig aus. Oder man streut sie als Brösel übers Gemüse oder auf den Auflauf, benutzt es wie Paniermehl. In schwedischen Eisdielen ist Vanilleeis mit Knäckebrotstücken der letzte Schrei – cremig und knackig, das passt. Überhaupt kann man ein paar kernige Brocken gut in den Nachtisch schmuggeln, wirklich salzig ist das Brot ja nicht. Kenneth Gjerrud serviert es im Munch’s Hus mit karamellisiertem Käse.
Man kann das Knäckebrot, wie im Café Valentin, kunstvoll als Smörrebröd belegen, mit roter Bete und Ziegenkäse, Feldsalat, Apfelscheiben und Marmelade. Oder man steckt es, wie im Dóttir, in ein Fässchen Salz, dazu gibt’s Dips mit geräuchertem Lachs oder Hüttenkäse. Oder man knabbert sie einfach so, zwischendurch. Als „Snäckebrot“ bezeichnet die Bohlsener Mühle denn auch ihre Biostangen mit Sesam & Dinkel, Lauge & Brezelsalz, Käse & Schwarzkümmel. Da braucht man gar keinen Belag mehr. Überhaupt wird die Auswahl im Bioladen immer größer. Mit Käse & Kürbiskern, Chia & Hafer...
Zum Hering ein Muss
Früher gab’s eigentlich nur eine Marke im westdeutschen Supermarkt– Wasa. Noch immer ist die Firma, benannt nach Gustav I. Wasa, dem sogenannten Roggenkönig, der größte Knäckebrotproduzent der Welt. In Celle liegt ein wichtiger Produktionsstandort. Denn 45 Prozent der Deutschen so Kenneth Gjerrud, haben Knäckebrot zu Hause. In Frankreich gerade mal neun Prozent. Doch was die wenigsten wahrscheinlich wissen: Inzwischen sind die Schweden Italiener, gehört Wasa seit 1999 zur Barilla-Gruppe.
Das passt, denn was dem Italiener die Pasta, ist dem Schweden das Knäckebrot. Wann man es isst? Immer! Morgens, mittags, abends und zwischendurch, bei den Mahlzeiten steht es so selbstverständlich auf dem Tisch wie Pfeffer und Salz, dazu wird neben Butter gern reifer Käse serviert oder auch schwedischer Kaviar. Für den Kulturhistoriker Tellström ist es zum traditionellen Hering ein Muss, zum griechischen Bauernsalat allerdings keine Option.
In seiner Heimat sei es bei Kindern nicht so beliebt. Vielleicht halten sie das Vollkornprodukt für zu gesund. Vielleicht gibt es hierzulande sogar mehr Fans unter den Kleinen. Wann kann man es schon beim Essen so richtig krachen lassen!
Nordische Botschaften, Rauchstr. 1, Tiergarten
Schweden-Markt, Dickhardtstr. 60, Friedenau
Munch’s Hus, Bülowstr. 66, Schöneberg
Café Valentin, Sanderstr. 13, Neukölln
Dóttir, Mittelstr. 41, Mitte