Modedesignerin Stella McCartney: "Der Hintern wird gerade entdeckt"
Sie liebt Anzüge, Bio-Garn und Handtaschen aus Kunstleder: Stella McCartney plädiert für bewussten Konsum. Warum ihre Mode trotzdem nicht perfekt ist.
Sie sind eine der erfolgreichsten Modedesignerinnen der Welt. Was tragen Sie gerade?
Einen Stella-Mc-Cartney-Anzug, darunter etwas schwarze Spitzenwäsche und schwarze hochhackige Schuhe.
Farbe nicht vergessen. Der Hosenanzug ist braun.
Wir finden bestimmt ein besseres Wort dafür. Wie wäre es mit rostfarben? Noch schöner: Er sieht aus wie verbrannter Bernstein.
Einverstanden. Auf jeden Fall herbstlich.
Hm, stammt aber aus meiner Frühjahrskollektion.
Warum haben Sie sich heute Morgen für dieses Outfit entschieden?
Erst einmal gefällt mir die Silhouette eines Anzugs. Ich mag eine Kleiderordnung, die sowohl maskuline wie feminine Elemente enthält. Für die Modenschau heute Vormittag ...
... Sie haben auf der Fashion Week den Preis „Designer for Tomorrow“ verliehen ...
... da wollte ich ein kleines Zeichen setzen, ohne aufgesetzt zu wirken. Und gleichzeitig etwas anziehen, was ich tagsüber bis in den Abend hinein tragen kann. Mittagessen, Interviewrunde, abends mit dem Flugzeug zurück nach London. Mir ist es wichtig, Kleider zu entwerfen, die einem im Leben zur Seite stehen und einen länger begleiten.
Wenn Sie über Ihren Beruf reden, bevorzugen Sie den Begriff Design und nicht Mode. Was ist der Unterschied?
Mode ist ein Begriff, der mich einengt. Er beinhaltet nicht die Extreme, die mich ausmachen. Was ich mache, ist nicht nur Mode. Ich bin eine Designerin, die Stoffe entwirft, der Nachhaltigkeit wichtig ist. Das ist ein ganzheitlicher Anspruch, dafür passt das Wort Mode einfach nicht.
Weil sie einen schlechten Ruf hat?
Na ja, sie grenzt aus und schüchtert Menschen ein. Mit meinen Entwürfen will ich jedoch niemanden ausschließen.
Mode kann elitär wirken. Durch den Preis, durch die besonders aufwendige und extravagante Gestaltung eines Kleids.
Ich designe, was die Menschen tragen sollen. Deshalb ist mir vermutlich der Begriff Designer so wichtig. Ich fühle mich im Schaffensprozess, als würde ich ein Sofa oder ein Gebäude entwerfen. Ich gucke strukturell auf Kleidung, auf die Facetten, die kleinen Bedürfnisse, die sie erfüllen muss.
Das Flüchtige der Mode ist Ihnen fremd.
In meiner Arbeit stehen technische Aspekte im Vordergrund. Passion for fashion, das ist solch ein furchtbarer Satz. Er klingt übergriffig. (Sie dreht sich zu ihrem Assistenten um: Was denkst du? Er entgegnet: Ich denke nicht.)
Bei Fashion schwingt der Begriff Fast Fashion mit: Mode, die man schnell konsumiert und wegwirft.
Dagegen verteidige ich die Mode, sie steht darüber. Fast Fashion tröpfelt von den Laufstegen herunter nach unten und wird zum Wegwerfartikel.
Die Autorin Leanne Shapton, die das Buch „Frauen und Kleider“ mitverfasste, sagt, Frauen wechseln heutzutage ihre Outfits viel zu oft.
Da bin ich mit meinem Tag-und-Abend-Anzug doch ein gutes Gegenbeispiel.
Shapton ließ Frauen Fragebögen ausfüllen. Träumen Sie manchmal von Kleidern? Eine Frau antwortete, sie habe als Kind im Schlaf geschrien: Ich will Lila tragen! Kommt Ihnen das bekannt vor?
Ich habe keine konkreten Träume, aber seit meiner Kindheit träume ich davon, Mode zu entwerfen. Diese Frauen arbeiteten nicht in der Branche, richtig? Sonst würden sie die ganze Zeit unterbewusst daran denken.
"Oh Gott, wollen Sie mir die Frage wirklich antun?"
Gab es den einen Moment, in dem Sie wussten, Sie haben ein Faible für Kleidung?
Eine meiner frühesten Erinnerungen trage ich seit meinem vierten Lebensjahr mit mir herum. Ich sitze in der Garderobe meiner Mutter, etwa zu der Zeit, als sie bei den Wings war …
… Ihre Eltern Linda und Paul McCartney gründeten in den 1970er Jahren die Band, deren größter Hit „Mull of Kintyre“ war …
… ich schaue zu den Kleidern meiner Mutter hoch, sehe ihre Absatzstiefel mit dem Glitter daran und fühle mich sofort hingezogen.
Die wollten Sie haben. Was fanden Sie später als Teenager besonders kostbar?
Oh Gott, wollen Sie mir die Frage wirklich antun? Wahrscheinlich meine Familie.
Eigentlich war ein Kleidungsstück gemeint.
Ich hasse solche Fragen, auf die ich mit einem Satz antworten soll. Die nächste, bitte.
Haben Sie mit 14 Jahren davon geträumt, Madonnas Spitzen-Look zu tragen?
Nein.
Finden Sie, dass Frauenmode heutzutage vor allem Beine betont?
Wer sagt das?
Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken kam zu der Erkenntnis, als sie aus dem Fenster schaute und nur noch Leggings, enge Jeans und knappe Shorts sah.
Die Mode hat schon immer mehrere Körperteile einer Frau betont, die Brüste, die Schultern, möglicherweise war es in letzter Zeit etwas beinlastig. Die Taille ist für viele Frauen enorm wichtig. Der Hintern wird gerade entdeckt.
Sie denken an Kim Kardashian.
Und Füße! Da hat sich wirklich was getan. Heute sehe ich auf der Straße nur flache Schuhe, flache Schuhe, flache Schuhe. Früher mussten Frauen Absätze tragen, da wurde nichts anderes geduldet.
Reden wir über Ihre Arbeit. Sie betonen, wie nachhaltig Sie produzieren möchten, setzen auf Langlebigkeit. Schmeißen wir Sachen zu schnell weg?
Wir befinden uns in einer Ära der Überfrachtung, was nicht nur für Mode gilt. Wir wollen von allem zu viel und alles sofort verfügbar haben. Gegenstände, Essen, Musik, Filme. Ich plädiere für bewussten Konsum. Das ist ein fundamentales Prinzip von mir: dass ich Kleidung entwerfe, die einer Person im Alltag hilft – jenseits davon, einem Trend aufzusitzen. Qualität und gute Gestaltung müssen dabei Hand in Hand gehen.
Luxusartikel können Sie nicht zu 100 Prozent aus nachhaltigen Materialien herstellen. Gerade die Färbung ist schwierig.
Schauen Sie, ich bin die Erste, die zugibt, dass ich nicht perfekt bin. Jeder, der ein Produkt kreiert, wird damit auf die Umwelt einwirken. Aber ich versuche, den Schaden zu minimieren, indem ich kein Leder, keinen Pelz verwende. Ich möchte einfach nicht, dass Tiere für mich getötet werden. Ich will nicht, dass für Tiere Bäume gefällt und Weiden angelegt werden. Ich will nicht, dass Chemikalien beim Gerben benutzt werden. Doch in dem Moment, indem ich ein Kleidungsstück einfärbe, muss ich all diese Prinzipien aufgeben.
Sie geraten ein bisschen in Rage.
Das ist nicht schlimm. Wir müssen darüber sprechen. Ich bin vor zehn Jahren zu Herstellern gefahren und habe gepredigt: Kommt schon, lasst es uns mit natürlichen Farbstoffen aus Roter Bete oder Safran probieren. Wir fanden tatsächlich Firmen, die das produzierten. Doch die Einkäufer reagierten mit Ablehnung.
Die Abgesandten der großen Kaufhäuser entscheiden am Ende, was bei ihnen in den Läden hängt.
Sie argumentierten, dass kein Kunde das kaufen würde. Sobald man die Klamotten einmal wäscht und in der Sonne zum Trocknen aufhängt, würden die Farben verblassen. Jetzt, nach zehn Jahren, hoffe ich, dass die Verbraucher sich verändert haben, dass es ihnen egal ist, ob die Farben so aussehen wie am ersten Tag. Dass sie mehr an einen Herstellungsprozess glauben als an einen konventionell gefärbten Pullover. Ich bin bereits froh, dass mehr Menschen hinterfragen, welche Wirkung die Modeindustrie auf unseren Planeten hat.
Ist die Farbe das einzige Problem?
Nein, die meiste Zeit bei „Stella McCartney“ geht dabei drauf, dass wir unsere Entwürfe an unser Arbeitsethos anpassen. Wir lösen laufend Probleme. Zum Beispiel Klebstoffe. Wir benutzen keine, egal ob sie aus Fischen oder Pferdehufen hergestellt werden. Und wenn wir eine Alternative gefunden haben, können wir längst noch nicht aufatmen. Wie wird diese sich auf die Umwelt auswirken? Sollen wir ganz auf Kleber verzichten und einfach keine Schuhe mehr entwerfen? Oder finden wir ein besseres Produkt? Es gibt ja einen Zusammenhang zwischen dem Töten von Tieren und der Zerstörung der Umwelt. Schauen Sie sich die Transportindustrie an, die Vieh durch die Gegend fährt und dabei die Luft verpestet.
"Ich bin eine Modeschöpferin, keine Ökokriegerin"
Wer hat Ihnen beigebracht, genauer auf solche Zusammenhänge zu achten?
Ich wurde so erzogen, ich bin in Essex auf einer Biofarm aufgewachsen. Drum herum gab es lauter kreative Menschen, die einfach viel hinterfragten. Vor ein paar Jahren las ich einen Bericht der Uno, der wissenschaftlich bestätigte, was ich gefühlt hatte. Sollten Sie sich mal ansehen! Ich erinnere mich an eine Zahl: Wenn Sie für eine Woche aufhören, Fleisch zu essen, hat das die gleiche Wirkung auf die Umwelt, als würden Sie eine Woche kein Fahrzeug fahren.
Ihre Mutter aß kein Fleisch. Als sie in den 80er Jahren plante, ein vegetarisches Kochbuch zu veröffentlichen, teilte ihr ein Verleger mit, das würde nicht funktionieren, solange es kein Rezept mit Hühnchen darin gebe.
Oh ja, ich erinnere mich gut.
War die Reaktion ähnlich, als Sie Anfang der Nullerjahre bekannt gaben, Sie würden Mode ohne Leder entwerfen?
Natürlich, ich hatte Angestellte, die zu mir kamen und sagten: Ihnen ist schon klar, dass wir kein Geschäft mit Accessoires machen werden?
Mit Handtaschen verdienen Luxusmarken ihr Geld.
Man kann es als Begrenzung sehen oder als Herausforderung. Wenn mich anstachelt, dass es Viskose gibt, die nicht aus dem herkömmlichen Holzhandel kommt, für die keine Bäume wahllos gefällt werden, sondern die aus einem ökologischen Betrieb stammt, dann wird es tausende andere Menschen geben, die das vergleichbar begeistert. Es hat mich drei Jahre gekostet, bis ich solche Viskose gefunden hatte. Wir sind nach wie vor das einzige Modehaus, das sie verwendet. Ich finde, wie man traditionell an Mode herangeht, ist nicht besonders modisch. Es ist altmodisch.
In der Modeindustrie gibt es den Trend, Verantwortung zu übernehmen. Vivienne Westwood beispielsweise arbeitet mit Fairtrade-Initiativen zusammen.
Es steht noch nicht fest, ob es ein Trend wird. Wie ich arbeite, das macht bisher keine andere Marke in dieser Konsequenz und in der Produktion. Bei der Gestaltung schauen junge Menschen inzwischen genauer hin, welche neuen Stoffe es gibt, welche Effekte ein 3-D-Drucker erzeugt, welcher Prozess keinen Müll verursacht. Technologie spielt eine größere Rolle in der Entwicklungsphase als früher.
Sollte Ökologie stärker an Modeschulen unterrichtet werden?
Es sollte ein Fach an allen Schulen sein.
Gerade haben Sie fünf Modestudentinnen beurteilt, die sich um den Titel „Designer for Tomorrow“ bewarben. Dachten die Finalisten an Nachhaltigkeit?
Hm, diese Frage habe ich mir auch gestellt. Sie haben darüber nachgedacht, aber grundsätzlich ging es ihnen nicht darum. Schauen Sie, ich bin eine Modeschöpferin, keine Ökokriegerin. Wenn Sie etwas gestalten, das gut aussieht, wird niemand fragen, ob ein Tier dafür sterben musste. Man muss sich davon frei machen und erst einmal etwas erschaffen, das Menschen kaufen möchten. Wenn es dazu noch gut für die Umwelt ist, umso besser. Den jungen Frauen ging es heute wohl darum, woher sie die richtigen Stoffe bekommen.
Ist es zu teuer für sie, auf Nachhaltigkeit zu setzen?
Es wird erschwinglicher, weil die Nachfrage anzieht. Und die drückt den Preis. Leder ist beispielsweise einer der billigsten Stoffe und wird trotzdem mit teurem Luxus assoziiert. Was einfach nicht der Wahrheit entspricht. Ich habe vor Jahren die Falabella-Tasche entworfen, alles aus Kunstleder. Wenn ich diese in den USA verkaufe, muss ich Steuern von 30 Prozent darauf zahlen, weil es keine Lederware ist. Ich arbeite mit Tuchfabriken zusammen, versorge sie mit Bio-Garn und bitte sie, dieses auszuprobieren. In der Hoffnung, dass daraus ein tragfähiges Geschäftsmodell entsteht. Tradition und Technologie zusammenzubringen, das ist der Weg in die Zukunft. Weiterzuarbeiten wie vor 100 Jahren, das ist nicht sexy, sondern der Tod der Mode.
Führen Sie mit Ihrem Kampf für die Umwelt auch das Erbe Ihrer verstorbenen Mutter fort?
Bestimmt, meine Mutter war eine Pionierin. Sie war ihrer Zeit dermaßen voraus, dass es manchmal schmerzhaft war, ihr zuzusehen. Sie machte vegetarisches Essen in Großbritannien hoffähig, als keiner davon hören wollte. Es gab nicht mal eine Debatte darüber. Vegetarismus existierte nur für Menschen, die aus religiösen Gründen auf Fleisch verzichteten und einen Ersatz benötigten. Als meine Mutter das Buch schrieb, bestand sie darauf, einen Ernährungsleitfaden unterzubringen. Die Leute sollten verstehen, welches Essen sie brauchten, um ausreichend Proteine zu bekommen. Manche dachten ja noch, sie würden ohne tierische Produkte sterben.
Ulf Lippitz