Plastische Chirurgie: Nur Sex ist wichtiger als Schönheit
Brustvergrößerungen, Facelifts, Genitalstraffung, Nasenkorrektur ... Zwei Chirurgen und die Frage: Was ist schön?
Sind schöne Menschen beliebter? Ja. Sind schöne Menschen erfolgreicher? Ja. Sind schöne Menschen glücklicher? Ja.
Professor h. c. Dr. med. Stefan Gress, ästhetisch-plastischer Chirurg, die Praxis unweit des Bayerischen Hofes in finanziell sündiger Münchner Innenstadtlage, sitzt auf weißem Leder und dreht seine Handflächen nach oben. Was kann ich anderes darauf antworten? Die Geschichte lehrt uns das. Natürlich ist das alles andere als fair. Weil ja niemand in der Hand hat, wie er auf die Welt kommt. Schön oder eben weniger schön. Es ist nun mal, wie es ist. Und schöne Menschen haben Wettbewerbsvorteile. Wir glauben schönen Menschen mehr. Sind von ihnen angezogen, wollen sie in unserer Nähe, sie für uns gewinnen. Ein schöner Mensch bekommt mehr Liebe.
Der Schöne ist selten böse
Einem schönen Menschen, sagt Dr. Gress, 52 Jahre alt, altersbedingt flüchtiger Haaransatz, symmetrische Gesichtszüge, warme Stimme, schlank, weiße Hose, weiße Mokassins, spezialisiert auf plastische Genitalchirurgie, werden alle möglichen positiven Attribute zugeschrieben: Der Schöne ist selten böse. Das Schlechte selten schön. Wenn wir in ein schönes Gesicht schauen, sagt Gress, stets klar in der Aussage, geben wir uns mehr Mühe mit uns selbst. Versuchen, das Beste in uns nach außen zu kehren. Als ob wir versuchen, die Schönheit zu spiegeln, die wir betrachten. Das Schöne entwickelt einen gewaltigen Sog.
Wo verläuft die Grenze zwischen schön und nicht schön? Dr. Waltraud Posch, 44 Jahre alt, Soziologin aus Graz, Autorin des Buches „Wie der Kult um die Schönheit unser Leben prägt“, sagt, dass Schönheit zumindest bis zu einem gewissen Grad objektivierbar sei. Symmetrie, sagt Posch, ist dafür sicherlich das zentrale Kriterium. Vor allem im Gesicht. Dazu kämen noch einige andere Kernkriterien.
Bei Frauen volles Haar, große Augen, aber nicht zu groß, hochstehende Wangenknochen, ein Verhältnis Taille zu Hüfte von 0,7. Bei Männern eine mindestens durchschnittliche Größe, besser größer, ein markantes Kinn, volles Haar, schmale Hüften, eher kleine Augen, die einen scharfen Blick ergeben, der idealerweise ein bisschen böse ist. All das, sagt Posch, was evolutionsbedingt Macht und Stärke ausstrahle. Und so zumindest unterbewusst noch immer von Frauen für die Fortpflanzung gesucht werde.
Schon Neugeborene sehen sich lieber schöne Gesichter an
Doch auch abseits von evolutionären Überlegungen gehen attraktivere Menschen wahrscheinlich einfacher durchs Leben, sagt Posch. Sie haben oft größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, können mit milderen Strafen vor Gericht rechnen. Schon Neugeborene würden sich lieber schöne Gesichter ansehen. Werden sie älter, spielen sie am liebsten mit schönen Menschen oder Puppen. Sogar Mütter könnten sich dem Bann der lieblichen Aura nicht entziehen. Sie beschäftigten sich mit süßen Kindern intensiver. Dies führe nicht selten dazu, dass schöne Kinder mit größerem Selbstbewusstsein aufwachsen. Sich später automatisch mehr zutrauten und ihre Talente besser nutzen könnten, weil sie dazu eher die Chance bekommen. Wie eine Art selbsterfüllende Prophezeiung.
Ich finde das nicht unbedingt schön, sagt Posch. Und eigentlich auch nicht erstrebenswert. Aber wir leben nun mal in einer oberflächlicheren Welt, als uns lieb ist. Wir denken nur, dass wir so aufgeklärt sind und alles nach dem wahren Wert bemessen. So ist es aber nicht.
Denn obwohl das Aussehen bei den meisten Menschen nicht alleiniges Zentrum ihres Lebens und Denkens ist, sagt Posch, hat das Äußere doch einen hohen Stellenwert, weit höher noch als vor 20 oder 30 Jahren. Ein stark übergewichtiger Spitzenpolitiker, das gehe heute eigentlich nicht mehr. Auch im Topmanagement der großen Konzerne sei mittlerweile kaum noch ein übergewichtiger oder überhaupt sonderlich unattraktiver Mensch zu finden.
Der gesellschaftliche Druck hat zugenommen
Studien kommen zu dem Schluss, dass der gesellschaftliche Druck zu einem attraktiven Äußeren enorm zugenommen hat. Ich kann mir das wissenschaftlich auch nicht gänzlich erklären, sagt Posch. Aber generell spiele das Äußere, also streng betrachtet die Oberfläche, in einer Gesellschaft wie der westlichen, die ansonsten im Großen und Ganzen materiell abgesichert ist, natürlich eine etwas größere Rolle als beispielsweise in einer wirtschaftlich unterentwickelteren Gesellschaft.
Was ja vollkommen einleuchtend sei, sagt Dr. Urs Bösch in sein geräumiges Büro hinein, auf einem Tisch Silikonimplantate, ins Eck gelehnt ein Kontrabass, den er spielt, sobald es seine Zeit zulässt. Selten. „Künstlerisch tätig werde ich doch meist nur bei meiner Arbeit.“ Ihm gehört die MEON Clinic für plastische Chirurgie in Luzern und Meggen, einem kleinen Ort unweit von Luzern, gelegen am Vierwaldstätter See.
Bösch, 54 Jahre alt, von denen man ihm 45 ansieht, volles, nach hinten gekämmtes Haar, schwarz mit grauen Strähnen, enger schwarzer Pullover mit Rollkragen, feine Hände, sagt, dass eine Frau in Burkina Faso wohl weit weniger den Drang verspüre, einen Schönheitschirurgen aufzusuchen, als die Frau eines Literaturprofessors oder eines Managers in München. Trotzdem wolle er sich, nicht nur berufsbedingt, über Letztere kein Urteil anmaßen. Ich glaube da eher an die Maslow’sche Pyramide, sagt Bösch. Nach derer die Bedürfnisse des Menschen hierarchisch angeordnet sind. Am Fuß der Pyramide stehen die physiologischen. Genug zu essen und zu trinken zu haben, um zu überleben. Sind jene befriedigt, steigt man hinauf zu den Sicherheitsbedürfnissen und den sozialen. Leben in Frieden, ein gewisses Einkommen, körperliche Gesundheit. Dann erst geht es zu den individuellen Bedürfnissen und schließlich zur Selbstverwirklichung.
Etwas plump gesagt, sagt Bösch, hat jemand, der beim Aldi an der Kasse arbeitet, wahrscheinlich zunächst den Wunsch, irgendwann mal mehr zu verdienen, und schert sich nicht so sehr um hängende Augenlider oder Fettpolster an der Hüfte. Genauso wenig wie jemand, der krank ist und sich nichts sehnlicher wünscht als Gesundheit. Wohingegen jemand in einer höheren beruflichen Position mit ordentlichem Gehalt und körperlicher Fitness nach anderem strebt. Weil alles darunter schon erreicht ist. Da kommen wir ins Spiel, sagt Bösch und lächelt.
Gut 80 Prozent seiner Patienten sind Frauen
Tausend Eingriffe hatte er im vergangenen Jahr in seiner Klinik. Auf Monate im Voraus ist er ausgebucht. Wie die meisten seiner Kollegen. Brustvergrößerungen, Bruststraffungen, Facelifts, Nasenkorrekturen, Beseitigung von Schlupflidern (altersbedingt hängende Lider, vor allem Oberlider), Fettabsaugungen an Bauch, Hüfte, Schenkeln. Einspritzungen von Hyaluronsäure für mehr Volumen im Gesicht, Einspritzungen des Nervengiftes Botolinum, bekannt als Botox, für weniger Falten im Gesicht. Gut 80 Prozent seiner Patienten sind Frauen. „Weil nun mal der Druck, schön zu sein, bei Frauen noch immer wesentlich höher ist als bei Männern.“
Was behandelt werden soll, hänge entscheidend mit dem Alter seiner Patienten zusammen. Nur das eint die meisten: Leidensdruck. „Niemand kommt zu mir, weil es ihm so viel Spaß macht.“ Die jüngsten Patienten von Dr. Bösch sind Anfang 20. Fast ausschließlich Frauen. Bei denen es zumeist um die Brüste geht. Die der Doktor entweder verkleinern oder häufiger vergrößern soll. Immer seltener wird dabei Silikon verwendet, sondern Eigenfett. Eine neue, schonendere Methode, durch die kein Fremdstoff in den Körper gelangt. Nur wenn ein Zuwachs von mehr als einer Körbchengröße gewünscht wird, muss Bösch auf Silikon zurückgreifen, weil dafür das Eigenfett nicht ausreicht.
Zwischen Ende 20 und Anfang 40 hat es Bösch in der Mehrzahl mit äußerlichen Folgen von Schwangerschaften zu tun. Straffung von Brüsten, die zur Freude ihrer Ehemänner erst größer wurden, aber nach dem Abstillen in sich zusammenfielen. Straffung auch der überstehenden Haut am Bauch nebst Fettabsaugung. Speziell jene Patientinnen, die ein zweites oder drittes Kind auf die Welt gebracht haben, sagen ihm, dass sie nun gern optisch wieder mehr von Müttern zu Frauen werden wollen.
Der Schädel wird im Alter kleiner, Spannkraft geht verloren
Ab Anfang 40 dann kommen die ersten Alterserscheinungen. Vorwiegend im Gesicht. Weil ab 40 oder knapp darüber, sagt Bösch, bei den meisten Menschen erste Vorboten der Vergänglichkeit sichtbar werden. Falten zwischen Augen und Schläfe, Krähenfüße oder euphemistisch Lachfalten genannt, vor allem bei Frauen ein erstes leichtes Kräuseln der Haut zwischen Nase und Oberlippe, eine sich langsam tiefer grabende, senkrechte Zornesfalte zwischen den Augen und auf der Stirn waagerechte Falten, zwei, drei, vier. Lider, die herabsinken, den Blick müder wirken lassen. Die Haut verliert an Spannkraft. Weil, sagt Bösch, im Alter der Schädel kleiner wird, die Haut, also die Hülle, aber nicht weniger und irgendwann zu viel und gewissermaßen übrig ist. Was den optischen Effekt hat, dass sie schlaffer wirkt.
Den meisten macht das nichts aus. Sie lieben vielleicht sogar all diese äußeren Erscheinungen des Alters. Als eine Art Auszeichnung für gelebtes Leben. Oder sie ignorieren sie zumindest. Sagt Bösch. Was ja auch gut sei. Und für den Rest, der zugegebenermaßen immer größer werde, gebe es plastische Chirurgen wie ihn und seine Kollegen.
Wenn man aber diesem Rest vorwerfe, sagt Bösch, dass er es nicht schaffe, in Würde zu altern, werde er etwas ungehalten. Denn das sei doch im Grunde dummes Gerede. Schauen Sie, die Zeit vergeht sowieso schon schnell genug, ohne dass man sie aufhalten kann. Und ehe man sich versieht, ist man alt. Wenn man dann zumindest die optischen Begleiterscheinungen ein wenig abmildern kann: Ist das verwerflich?
Gäbe es einen Jungbrunnen, sagt Bösch, würde die Schlange von hier bis nach Sizilien reichen. Wahrscheinlich ist das Äußere bis ins höhere Alter auch immer wichtiger, sagt Bösch, weil man heute wesentlich länger fit und gesund bleibt als vor 50 Jahren. Deswegen möchte man sein Äußeres in Einklang mit dem Inneren erhalten. Er selbst habe noch nichts machen lassen an sich. Aber bei Bedarf, sagt Bösch, also mit Sicht auf die nächsten zehn Jahre, werde er nicht zögern. Allerdings nur bei einem absolut vertrauenswürdigen Kollegen, der sein Handwerk wirklich versteht. Weil der Begriff des Schönheitschirurgen kein geschützter sei, gäbe es doch allerlei Pfuscher. Deren Werk er meist bemerke, wenn er in den Straßen von Zürich Menschen sehe, die behandelt ausschauten.
Was den guten vom schlechten Chirurgen unterscheidet, ist klar
Das sei es, was einen guten von einem schlechten plastischen Chirurgen unterscheide. Die meisten seiner Patienten wollen nicht behandelt aussehen. Es darf nicht augenscheinlich sein, dass jemand beim plastischen Chirurgen war. Ein gewisser Widerspruch. Das Beste sei, erzählen ihm viele Patienten, wenn Bekannte oder Freunde ihnen sagten: Mensch, du siehst so frisch aus. Dann haben wir unseren Job gut gemacht, sagt Bösch.
Positive Rückmeldungen zu bekommen, sich wieder besser zu fühlen und dennoch den Gang zum plastischen Chirurgen verheimlicht zu haben: dies sei der perfekte Dreiklang vieler Patienten. Fast niemand, der bei ihm war, mache das öffentlich. Daher sind die Räumlichkeiten von Bösch, wie bei den meisten Kollegen, in einem unscheinbaren Mehrparteienhaus untergebracht. Falls doch jemand beim Betreten des Gebäudes Notiz von einem nimmt, besteht dadurch noch die Möglichkeit, dass er woanders gewesen sein könnte.
Auch die Praxis von Dr. Stefan Gress in München liegt strategisch günstig. Zusammen mit einem Dermatologen, einem Frauenarzt und einer Kapitalberatungsfirma. Im Inneren ist alles ästhetisch ansprechend. Ist auch die Anonymität aufgehoben und nicht mehr wichtig, weil man nun unter sich ist.
Gress behandelt wie Bösch von Kopf bis Fuß. Sein Spezialgebiet liegt jedoch genau in der Mitte. Seit knapp zehn Jahren ist Gress Deutschlands führender Spezialist in der Genitalchirurgie. Im Intimbereich mache ich alles, was das Herz begehrt, sagt er, der nach seiner Ausbildung zum plastisch-ästhetischen Chirurgen zwei Jahre bei Ivo Pitanguy in Brasilien lernte, dem Übervater der Schönheitschirurgie, einer nationalen Ikone in Brasilien, jenem Land mit dem prozentual weltweit höchsten Anteil an Schönheitsoperationen, der gar das Olympische Feuer bei den Spielen in Rio trug, bevor er einen Tag später im Alter von 90 Jahren an Herzversagen starb.
Wichtiger als Schönheit? Sex.
Nach seiner Zeit bei Pitanguy arbeitete Gress im Münchner „Klinikum rechts der Isar“, operierte unzählige Transsexuelle, Frauen zu Männern, Männer zu Frauen. Als er das Thema Genitalchirurgie 2007 das erste Mal auf einem Kongress vorgestellt habe, sei er noch ausgelacht worden. Weil die damaligen Kongresse noch sehr brust- und gesichtslastig gewesen seien.
Seitdem operierte er tausende Frauen. Wobei es um zwei verschiedene Bereiche gehe. Die äußere Genitalregion, das Optische. Und die innere. Wo das Empfinden die Hauptrolle spiele. In beiden Bereichen fühlen sich meine Patientinnen unwohl, sagt Gress. Weil das eine große Scham hervorruft und das andere die Lust am Sex verhindert oder zumindest schmälert. Gerade auch bei Frauen, die mehr als eine Schwangerschaft hinter sich haben und deren Beckenboden und Vagina sehr geweitet sind. Und sexuelle Stimulation nun mal mit Reibung zu tun hat. Deshalb habe er ein Verfahren entwickelt, mithilfe dessen man Vaginalverengungen und auch die Straffung der Beckenbodenmuskulatur durchführe.
Denn noch mehr, sagt Dr. Gress, als um Schönheit dreht es sich im Erwachsenenleben um Sex.