Berliner Intensivpfleger an der Corona-Front: „Der Fall einer jungen Schwangeren hat mich wach gerüttelt“
Ricardo Lange berichtet jede Woche aus dem Krankenhaus. Diesmal: die Vorteile von Astrazeneca und Lügen im Briefkasten. Ein Interview.
Ricardo Lange, 39, arbeitet als Pflegekraft auf Berliner Intensivstationen mit Covid-Schwerpunkt. Hier berichtet er jede Woche von Nachtschichten, Provisorien und Hoffnungsschimmern.
Herr Lange, für heute hatten Sie gute Neuigkeiten angekündigt. Was gibt's?
Ich werde am Sonntag endlich geimpft – das war als Leasingkraft schwierig, aber jetzt, da sich Astrazeneca in Tegel staut, habe ich kurzfristig einen Termin bekommen.
Sie waren Astrazeneca gegenüber doch so skeptisch.
Was wäre ich für ein Heuchler, mich darüber aufzuregen keinen Impfstoff zu bekommen, und nun diesen zu verweigern, nur weil ich mich innerlich auf einen anderen eingestellt hatte. Mein schlechtes Bauchgefühl und der Wunsch lieber Biontech zu bekommen, lagen auch an der Darstellung in den Medien. Inzwischen weiß ich, dass die geringere Wirksamkeit bedeutet, dass ganz leichte Verläufe weiterhin vorkommen könnten, aber ein Aufenthalt auf der Intensivstation vermieden wird. Und darum geht es letztendlich.
Übrigens ist der Impfschutz nach der ersten Spritze wohl höher als zum gleichen Zeitpunkt bei Biontech. Und die Wirksamkeit lässt sich steigern, besagt zumindest eine Oxford-Studie, indem man das Intervall auf 12 Wochen streckt. Wir meckern, wenn Pharmaunternehmen diese wichtigen Impfungen zu horrenden Preisen verkaufen, kommt jedoch Astrazeneca mit einem fairen Angebot, sagen wir: billige Plörre.
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Sie hatten auch Sorge wegen der Weiterverbreitung, wollten Ihre Familie schützen. Beim Biontech-Stoff ergeben die Daten, dass Geimpfte das Virus sehr wahrscheinlich nicht weitertragen.
Erste Daten aus Großbritannien belegen das auch für Astrazeneca. Außerdem: Es gibt zu wenig Biontech, die Frage stellt sich nicht. Ich will einfach, dass der Spuk ein Ende hat. Mein Vertrauen in die Politik ist angeschlagen, aber ich vertraue der Wissenschaft und den Ärzten. Wenn nicht ich, wer dann?
Statistisch gesehen wäre ein schwerer Verlauf bei Ihnen ohnehin eher unwahrscheinlich.
Stimmt, aber erstens möchte auch ich kein Long Covid haben und zweitens hatte ich gerade im Frühdienst den Fall einer jungen, schwangeren Infizierten, das hat mich wach gerüttelt. Sie war unter 30 und ihr Zustand verschlechterte sich derart rapide, dass es ein Balanceakt war: Wir haben nun das Kind in der 25. Woche geholt, um die gefährdete Frau in die Bauchlage drehen zu können. Das Baby liegt im Brutkasten. Jetzt hoffen wir, dass beide überleben. Das sind die Momente, in denen mir klar wird: Eine gute Impfung ist besser als keine.
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Das scheinen nicht alle so zu sehen. Viele Impflinge sind zu ihrem Termin in Tegel nicht erschienen.
Ohne Absage sogar, das macht mich traurig. Jeder darf Angst haben, aber bitte seid doch so fair und gebt anderen die Chance, sich immunisieren zu lassen. Ich finde übrigens, es ist der falsche Weg, Menschen durch Druck oder „Privilegien“ zum Impfen zu bringen.
Genauso finde ich es aber völlig daneben, wenn man versucht durch Angstmacherei Leute davon abzubringen. In meinem Briefkasten landen immer häufiger sehr professionell wirkende Broschüren, wo beispielsweise Dr. Bhakdi Unwahrheiten über Corona verbreitet. Da ist die Rede davon, dass die Intensivstationen nie überlastet waren. Ich weiß ja nur zu gut, dass es anders ist.