Berliner hadern mit Astrazeneca-Vakzin: Die Impfstoffauswahl könnte der falsche Weg sein
Am Mittwoch öffnet das fünfte Impfzentrum in Berlin. Im Astrazeneca-Zentrum in Tegel herrscht jedoch Leere. Berliner wählen den Stoff seltener.
In Berlin eröffnet an diesem Mittwoch das fünfte Impfzentrum. Im umgewidmeten „Velodrom“ in Prenzlauer Berg werden maßgeblich die Johanniter im Einsatz sein. Das Zentrum soll täglich von 9 bis 14 Uhr geöffnet sein, in der Veranstaltungshalle wird das Präparat des US-Herstellers Moderna verimpft. Wann das letzte der sechs geplanten Impfzentren öffnen kann, ist unklar. Als designierter Ort gilt der Hangar 4 des früheren Flughafens Tempelhof.
Als erstes Impfzentrum war die „Arena“ in Treptow eröffnet worden. Dort wird aktuell der Impfstoff der deutschen Firma Biontech eingesetzt. Ebenso im Zentrum auf dem Messegelände. Im Erika-Heß-Eisstadion in Wedding wird Moderna verimpft. Und im Terminal C des einstigen Flughafens Tegel das Präparat des britisch-schwedischen Herstellers Astrazeneca. Das Mittel kann bei Kühlschranktemperaturen gelagert und so auch in Hausarztpraxen verimpft werden.
Bislang fehlt es an genügend Impfstoffdosen, um alle sechs Zentren so zu nutzen, dass täglich 20.000 Berliner immunisiert werden. Das war im Herbst vom Senat in Aussicht gestellt worden. Dennoch weist die Gesundheitsverwaltung die aktuellen Impfzahlen im täglichen Pandemiebericht aus – die Stadt lag zuletzt mit mehr als zwei Prozent vollständig geimpfter Einwohner leicht über dem Bundesschnitt.
Die Fortschritte beim Impfen glichen bundesweit einem „Schneckenrennen“, sagte Tim-Christopher Zeelen von der oppositionellen CDU, auch Berlins Bilanz sei mager. Zeelen berichtet, dass im Astrazeneca-Zentrum in Tegel „gähnende Leere“ herrsche. Offenbar laufe die Terminvergabe der Senatsgesundheitsverwaltung schlecht – oder die Berliner nähmen diesen Impfstoff ungern. Ärzte bestätigten dem Tagesspiegel, dass es zu Astrazeneca häufiger Nachfragen gebe.
Die Wirkung des Impfstoffs gilt als umstritten. In Deutschland soll das Mittel nur Impflingen unter 65 Jahren verabreicht werden. Und da Berliner ihren Impfstoff wählen dürfen, wirken sich die Vorbehalte aus. „Es gibt keine guten und schlechten Impfstoffe, sondern die Wahl zwischen zugelassenen Impfstoffen und einem weiteren Abwarten“, sagte Zeelen. „Deshalb war Berlins Sonderweg der Impfstoffauswahl falsch und hat bei den Menschen für zusätzliche Verwirrung gesorgt.“ Dabei ermögliche der Impfstoff von Astrazeneca es, zügig in den Arztpraxen zu impfen.
In einem Pilotversuch wollen 100 Berliner Arztpraxen tatsächlich demnächst damit beginnen. Zum Einsatz kommen soll Astrazeneca schon deshalb, weil es anders als das Biontech-Mittel keine extrem tiefen Lagertemperaturen braucht. Die für die Praxen zuständige Kassenärztliche Vereinigung (KV) forderte am Dienstag zudem, dass alle in der ambulanten Versorgung tätigen Mediziner und deren Personal „zeitnah und bevorzugt“ geimpft werden. Bei jedem unmittelbaren Patientenkontakt besteht die Gefahr einer Ansteckung.
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Inzwischen wird die Sorge vor den ansteckenderen Corona-Mutationen größer. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SDP) hat davor gewarnt, dass die britische Virus-Variante B117 schon in wenigen Wochen in Berlin dominieren könnte. Einige Mediziner schätzen, dass schon heute 20 Prozent aller Corona-Fälle von den Mutationen betroffen sind. Das größte Labor der Stadt will künftig Fälle entdeckter Corona-Mutationen öffentlich machen. Konkret soll im "Labor Berlin" jede Woche die Anzahl derjenigen Proben veröffentlicht werden, in denen die britische, südafrikanische und brasilianische Variante des Coronavirus nachgewiesen wurde. Das erfuhr der Tagesspiegel aus Berlins staatlichen Kliniken.
Die landeseigenen Vivantes-Krankenhäuser und Berlins Universitätsklinik Charité betreiben das "Labor Berlin" gemeinsam. Sie hatten im Januar damit begonnen, entdeckte Fälle von Corona-Mutationen öffentlich bekannt zu geben. Nun wird erwogen, dies routinemäßig auf der Homepage des Labors einmal die Woche auszuweisen. Offiziell bestätigt wurde das Vorhaben nicht.
Die Labor-Leitung stimmt sich noch mit den Spitzen von Vivantes und Charité ab. Einige Mediziner schätzen, dass schon heute 20 Prozent aller Corona-Fälle von den Mutationen betroffen sind.
In dem Labor am Charité-Campus in Berlin-Wedding arbeiten 700 Beschäftigte. Tausende Proben werden dort jeden Tag untersucht, einige Hundert davon positiv auf das Coronavirus getestet. Besonders oft wird dabei die britische Sars-Cov-2-Mutation B117, seltener auch die südafrikanische Variante B1351 entdeckt. Wie oft diese gefährlicheren Virusvarianten in anderen Laboren der Hauptstadt gefunden wurde, ist nicht bekannt.
Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) hatte am Montag im Abgeordnetenhaus eine vorläufige Gesamtzahl genannt. Bislang seien in Berlin 409 Fälle von Infektionen mit den unterschiedlichen Virusvarianten erfasst worden, darunter 361 Mal der britische Corona-Typ B117. Diese Variante gilt als besonders infektiös. Kalayci sagte, es sei wahrscheinlich, dass die Mutation bald die vorherrschende Varianten in Berlin sein werde.
Die Zahl der PCR-Tests auf das Coronavirus geht in Berlin leicht zurück. Waren es im Januar noch 57.000 PCR-Tests pro Wochen, sind es nun circa 55.000. Das hatte Kalaycis Staatssekretär Martin Matz (SPD) auf eine CDU-Anfrage erklärt.
Angesichts der Nationalen Teststrategie konzentriere man die Ressourcen auf die Suche nach Mutationen. Das war mit Bundesregierung und Robert-Koch-Institut abgestimmt. Die Zahl der Corona-Schnelltests dürfte, wie berichtet, aber bald massiv zunehmen.