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Joint Venture. Mit Gemüse aus eigenem Anbau kocht Fiyah für Touristen.
© Christian Vooren

Jamaika: Der Ausrasta: Wie ein 70-Jähriger der Zivilisation den Rücken kehrt

Tief im jamaikanischen Urwald lebt der alte „Fiyah“. Eintopf aufm Herd, Joint in der Hand. Der Trubel der Stadt war ihm zu viel. Und er ist nicht allein.

1986 war das Jahr, in dem Falco die Charts anführte, Charlie Sheen mit „Platoon“ seinen Durchbruch hatte und Fiyah in den Wald ging, um als Rastafari zu leben. Falco ist mittlerweile tot und Sheen schwer krank. Nur Fiyah harrt seit 32 Jahren im Dschungel von Jamaika aus.

Seine Wahlheimat ist ein Baumhaus, das er selbst zusammengewerkelt hat. Oben in den Bergen, eine Stunde Fußmarsch durch hüfthohes Gras und über felsige, schmale Pfade, vorbei an weidenden Ziegen und salatgurkengroßen Hundertfüßlern. Fiyah braucht nur einen Fuß, um das Tier mit seinen ausgelatschten Sandalen platt zu machen. Es knackt. „Ya Mann, sehr giftig und aggressiv, aufpassen“, sagt er auf Potois, dem jamaikanischen Englisch, das ein Slang ist mit irischen Einflüssen, Begriffen aus der Seefahrt und eigenen Wortschöpfungen.

Er rupft eine Handvoll frischen Basilikum vom Wegrand, etwas Gelbwurz, pflückt Grapefruit, Avocado, Kochbananen, Drachenfrucht. Für die Mango muss er klettern. Was wie zufällig gewachsen wirkt, ist Fiyahs persönliche Farm. Er sammelt sein Mittagessen. Als Rastafari ernährt sich Fiyah „ital“, das ist weitgehend identisch mit vegan. Er pflanzt und erntet alles selbst, frisches Wasser holt er aus einem nahe gelegenen Bach.

Jamaika kann sich für Urlauber grob anfühlen

Heute ist Fiyah 70 Jahre alt, fast sein halbes Leben hat er hier im Urwald verbracht. Die andere, erste Hälfte spielte sich in Little London ab, eine Stadt ganz im Westen Jamaikas, knapp 10 000 Einwohner. Fiyah hatte dort einen Job als Kfz-Mechaniker. Morgens aufstehen, schrauben, abends nach Hause. Tag für Tag. Damals trug er noch seinen bürgerlichen Namen, den spricht er heute nicht mehr aus. Er ist jetzt bloß noch Fiyah. „Weil ich on fire bin“, sagt er und lacht, dann sieht man die wenigen Zähne, die ihm geblieben sind.

Touristen kommen in der Regel wegen der Traumstrände nach Jamaika.
Touristen kommen in der Regel wegen der Traumstrände nach Jamaika.
© Christian Vooren

Insbesondere in den Städten kann Jamaika sich grob anfühlen für die, die hier leben, und die, die hier Urlaub machen. Die Bevölkerung ist jung und die Jugendarbeitslosigkeit hoch. Drogengangs bekriegen sich und erschüttern die Insel von Zeit zu Zeit, wenn das nicht gerade ein Hurrikan oder ein Erdbeben erledigt. Jamaikaner konsumieren viermal so viel Rum wie Bier und davon schon nicht wenig. Rum ist hier billig und nationales Heiligtum. In den Städten sieht man häufig Trinker, die ihre Tage im Schatten der Häuser verdösen.

Auf Jamaika wurde 1976 der All-inclusive-Urlaub erfunden, damals schloss das sogar noch Gratis-Zigarren mit ein. Doch die luxuriösen Urlaubsresorts stehen in deutlichem Kontrast zur Lebenswirklichkeit auf der Insel. Die Trennlinie markieren hohe Mauern.

Das Cannabis baut er selbst an

Fiyah wurde das alles irgendwann zu viel. Der Trubel in den Straßen, der raue Umgangston, die Hektik, der Lärm. Die Art, wie die Menschen miteinander und vor allem mit sich selbst umgingen. Also verschwand er.

Am Baumhaus angekommen, spaltet Fiyah mit einer verbeulten Machete die Jackfrucht und zerteilt die Mangos, anschließend wirft er Obst und Gemüse in einen Kochtopf. Für seine drei Golden Retriever hat Fiyah Fleisch aus den Restaurants im Tal besorgt. Reste, die sonst im Müll landen würden. Bevor er die verfüttert, kocht er sie ab, damit die Hunde sich nicht an den Geschmack von Blut gewöhnen und beginnen, Ziegen zu reißen.

Während der Gemüseeintopf kräftig durchzieht, tut Fiyah es ihm gleich und zündet sich einen Joint an. Das Cannabis baut er selbst an, weiter unten am Bach, wo es genug Wasser gibt. Für Rastafari gilt es nicht als Droge, ist manchen als Meditationshilfe sogar heilig. Gras wachse schließlich in der Natur, es sei ein „botanisches Element, geschaffen vom Schöpfer“, verteidigte es Reggae-Legende Peter Tosh Anfang der 80er Jahre. Mittlerweile ist der Besitz von Marihuana in Jamaika für den Eigenbedarf weitgehend legal. Fiyahs Eigenbedarf ist hoch.

Rastas wurden diskriminiert und ausgegrenzt

Blick über den Regenwald.
Blick über den Regenwald.
© Christian Vooren

Hier oben in den Bergen leben mehrere Aussteiger. Besucher sehen sie nicht gleich, aber man kennt sich und hilft sich aus oder hängt zusammen rum, wenn es die Zeit erlaubt. Doch meist sei er zu sehr damit beschäftigt, sich um seine Farm zu kümmern, sagt Fiyah. Früh aufstehen, Tee trinken, pflanzen und ernten, bis es gegen elf zu heiß wird. Dann kochen, ein bisschen lesen, Nickerchen, am Nachmittag wieder auf die Farm. Gerade ist Mittagszeit. Fiyah rührt den Eintopf um und zündet sich noch eine Tüte an.

Rastafari sind auf Jamaika eine Minderheit und auch keine homogene Gruppe. Es gibt mehr als 16 verschiedene Spielarten. Ursprünglich taten sich die Rastas zusammen als Reaktion auf die Dominanz der weißen Bevölkerung und das koloniale System. Die meisten verstehen sich auch heute als eine „Back to Africa“-Bewegung mit dem Vorbild und Namensgeber Ras Tafari Makkonen, der später als Haile Selassie Kaiser von Äthiopien wurde. In großen Teilen der jamaikanischen Bevölkerung stieß das auf Widerstand. Rastas wurden diskriminiert und ausgegrenzt. 1963 sagte der damalige Premierminister Alexander Bustamante, die Rastafari müssten aus der Gesellschaft „ausgelöscht“ werden. Nach diesem offenen Aufruf zur Gewalt zogen sich viele von ihnen in die Berge und Wälder zurück.

Dorthin, wo heute auch Fiyah lebt. Mit mehr Obst, als er essen und mehr Gras, als er rauchen kann. Mit Hängematten und Aussicht zu drei Seiten über die grünen Hügel und Baumwipfel. Mit zwei Etagen, einem Dutzend Büchern und einem kleinwagengroßen Regenwassertank. Es sieht wirklich so aus, als käme man hier oben gut allein zurecht.

Im „Rasta Village“ sind Touristen willkommen

Doch nicht alle Rastafari finden Fiyahs Entscheidung richtig. Im Norden der Insel, unweit von Montego Bay, sitzt First Man und doziert über sein „Rasta Village“. Hier kommen täglich bis zu 100 Rastas her und produzieren Seife, flechten Körbe und kochen Kakao mit Kokosmilch. Das verkaufen sie dann an Touristen. Er will nicht, dass man die tennisplatzgroße Hanfplantage fotografiert. Schlecht fürs Image.

Der Eingang zum Rastafari Village. Die Rastas hier verfolgen eine andere Strategie als Fiyah.
Der Eingang zum Rastafari Village. Die Rastas hier verfolgen eine andere Strategie als Fiyah.
© Christian Vooren

First Man sagt über Leute wie Fiyah: „Wenn wir uns verstecken, sitzen wir nicht mit am Tisch. Und wenn wir da nicht sitzen, können wir unsere Rechte nicht verbessern.“ Gegner des Dorfes werfen Menschen wie First Man vor, sich zu verkaufen, die Rasta-Ideale zu verraten und mehr ein Zirkus als eine Kommune zu sein. Am Abend fahren sie alle heim in die Stadt, wo sie wohnen.

Die moderne Welt hat ihre Vorzüge

Zurück im Baumhaus. Der Eintopf ist gar, Fiyah hat serviert und gegessen. Er dreht noch einen Joint und sagt, er wollte ja gar nichts verändern außer seinem eigenen Leben. Wollte bloß raus aus der Gesellschaft. Den Zwängen entfliehen von Job und Miete, den Erwartungen von Vorgesetzten, Familie, Freunden. Wenn ihm danach ist, klettert er einfach die Leiter seines Baumhauses hoch und blickt über die Wipfel rüber bis zur Küste. An guten, klaren Tagen könne man von hier sogar das Meer sehen. Heute ist offenbar kein klarer Tag, obwohl die Sonne scheint.

Komplett raus aus dem System hat es Fiyah jedoch nicht geschafft. Von Zeit zu Zeit bewirtet er deshalb Touristen, holt sie am nächstgelegenen Hotel ab, wandert mit ihnen zur Hütte, sammelt Zutaten und kocht für sie. Das Geld, sagt er, brauche er für Werkzeug. Für Nägel, die sein Baumhaus zusammenhalten. Für einen Hammer oder für eine Säge. Oder für die Batterien seines kleinen Radios, mit dem er Nachrichten und Musik empfängt.

Es ist nicht so, dass der 70-Jährige nicht um die Bequemlichkeiten der modernen Welt wüsste. Gerade erst hat er sein Baumhaus vergrößert. Jetzt will er Gästebetten aufstellen – und die dann vermieten.

Reisetipps für Jamaika

Hinkommen

Eurowings fliegt von Berlin über Köln nach Montego Bay ab etwa 500 Euro mit Gepäck. Am besten Kissen und Snacks ins Handgepäck, die meisten Extras kosten an Bord.

Unterkommen

Die Luxusresorts von Sandals sind auf der Insel gleich mehrfach vertreten. Pro Doppelzimmer und Woche ab etwa 4000 Euro, sandals.com.

Gewöhnlichere Doppelzimmer gibt es in Kingston im Knutsford Court Hotel ab 130 Euro pro Nacht, knutsfordcourt.com.

Rumkommen

Reservierungen für die „Rasta Cooking Experience“ über die Zimbali Retreats. Die Tour startet täglich gegen zehn Uhr, je nach Buchung, zimbaliretreats.com.

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