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Für Außenstehende geht es auf dem riesigen Viehmarkt in der Nähe von Bahir Dar chaotisch zu. Die Händler dagegen finden sich bestens zurecht. Manche sind mehrere Stunden zu Fuß angereist.
© Christian Vooren

Roadtrip durch Afrika: Äthiopien ist eine lohnende Herausforderung

Den Fuß auf der Bremse, die Hand am Rosenkranz: Ein Roadtrip durch das ostafrikanische Land vorbei an Felsenkirchen, Blutbrustpavianen und Kickertischen.

Im ersten Moment

Hätte man das nicht tun sollen? War es die falsche Entscheidung, hierher zu reisen? Bereits auf der Fahrt zum Hotel kommen Zweifel. Am Straßenrand zeigt sich die Armut. Junge Männer und alte, Kinder auf den Armen von Frauen, die so dünn sind, dass sie sich selbst kaum auf den Beinen halten können.

Mit schwerem Gemüt erreicht man die Innenstadt. Hat plötzlich all die Bilder aus der Tagesschau im Kopf, auf die Äthiopien so viele Jahre reduziert wurde, und oft noch heute wird. Von hungernden Babys, Blähbäuchen und Dürre. Bilder, die man so gern überschreiben würde.

Und dann, ein paar Kurven später, kommt man zum Festplatz. Es ist Feiertag in Addis Abeba, in Erinnerung an den Sieg über die Italiener in der Schlacht von Adua 1896, als das Land noch Abessinien hieß. Die Äthiopier sind stolz darauf, das einzige Land Afrikas zu sein, das nie wirklich kolonialisiert wurde. Männer und Frauen in traditionellen weißen Gewändern tanzen, stampfen und trommeln in einer Parade vorbei an der Menge, die aus jungen, durchtrainierten Kerlen in Rastafari-Shirts besteht und aus Greisen, die sich über ihre Gehstöcke beugen. Die Frauen haben sie zu Hause gelassen. Hier wird eine historische Schlacht gefeiert, und Krieg ist Männersache. Es wird gelacht, gegröhlt und gedrängelt. Man kann die Eindrücke nur schwer einordnen, die Reise wird eine Herausforderung.

Auf der Straße

Am Rückspiegel hängt ein hölzerner Rosenkranz. Immer dann, wenn Girma, der Fahrer, eine Kirche passiert, streicht er mit Daumen und Zeigefinger über den Schmuck und bekreuzigt sich anschließend. Girma ist gläubiger Christ, äthiopisch-orthodox. So wie die meisten Äthiopier, die berühmten Felsenkirchen in Lalibela zeugen von der starken Tradition. Wo immer Girma an eine Kirche kommt, küsst er ihre Türpfosten. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, besucht er den Gottesdienst. Girma bekreuzigt sich auch und fasst an den Rosenkranz, wenn gerade mal wieder eine brenzlige Situation überstanden ist. Wenn jemand vors Auto lief oder ein Bajaj – so heißen hier die Taxi-Rikschas – die Fahrspur geschnitten hat. Girma hat praktisch ständig den Fuß auf der Bremse und die Hand am Rosenkranz, die gesamte Fahrt von Bahir Dar am Tanasee und an den Nilfällen bis in den Norden des Landes in die Simien Mountains.

Als ortsfremder Beifahrer braucht man einen Moment, um festzustellen, ob nun eigentlich Rechts- oder Linksverkehr gilt. Fahren ja doch alle durcheinander. Das funktioniert gut. Nur selten hupt jemand, einer bremst immer, geflucht wird kaum. Ungewohnt allerdings ist, dass permanent ein Huhn, eine Kuh oder eine Ziege auf die Straße läuft. Sogar in den Städten. Am entspanntesten reist es sich durchs Land, wenn man nicht selbst fahren muss.

Öde werden die manchmal langen Etappen nicht. Die Landschaft ändert sich ständig. Siedlungen aus Lehmhütten wechseln sich mit Teff-Feldern ab, eine Art Zwerghirse. Daraus machen die Äthiopier ihr landestypisches Fladenbrot. Kinder verkaufen am Straßenrand Knoblauchzehen, junge Männer schleppen Heuballen in der Größe von Kleinwagen auf dem Rücken, auf einem Strommast lauert ein Schreiadler auf leichte Beute in den abgemähten Feldern. Niemand scheint hier zu rasten. Alle arbeiten an irgendetwas, formen Lehmziegel für die Hütten, ernten Zwiebeln, treiben das Vieh.

Hinein in die Wildnis

Acht bis neun Stunden – so lange sind die Geladas, eine Pavian-Art, jeden Tag mit Fressen beschäftigt. Morgens klettern sie in Horden die Felsen hinauf zum Hochland der Simien Mountains, suchen sich eine freie Grasfläche, hocken sich hin und rupfen und mampfen, bis sie am Ende des Tages satt sind. Dann klettern sie wieder hinab und übernachten in den Felsspalten, auf sicherer Distanz zu den nicht weniger gefräßigen Leoparden. Geladas sind gesellige Tiere, man kann sich problemlos dazusetzen und ihnen Gesellschaft leisten. Und sie sind genügsam, hocken den ganzen Tag. Sie sitzen so viel, dass die Natur sich einen Kniff einfallen lassen musste. Paviane haben eigentlich einen roten Hintern, der zur Paarungszeit noch röter wird. Aber wie soll das jemand wissen, wenn der Allerwerteste permanent verdeckt ist. Deshalb tragen Geladas den roten Fleck am Oberkörper. Sie werden auch Blutbrustpaviane genannt.

Auf der Brust haben sie einen roten Fleck, deshalb werden sie auch Blutbrustpaviane genannt.
Auf der Brust haben sie einen roten Fleck, deshalb werden sie auch Blutbrustpaviane genannt.
© Christian Vooren

Äthiopien ist kein typisches Safari-Ziel. Weite Teile sind Hochland, Steppen und Savannen gibt es kaum. Der Simien Mountains Nationalpark beheimatet dafür einige Tiere, die man nirgendwo sonst auf der Welt sehen kann. Der Äthiopische Wolf und der Äthiopische Steinbock sind hier heimisch, auch die Geladas kommen ausschließlich hier vor. Recht häufig sieht man in den Bergen außerdem die riesigen Lämmergeier, deren Flügel eine Spannweite von bis zu 2,90 Meter erreichen. Die Vögel ernähren sich von Aas und Knochen, die sie locker 200 Meter in die Höhe tragen und von dort auf Felsen fallen lassen, wo sie in mundgerechte Happen zerschellen.

Gegen das Heimweh

Eine Reise nach Äthiopien ist kein Erholungsurlaub. Touristisch ist das Land wenig erschlossen. Es war lange mit sich selbst beschäftigt, damit, die eigene Infrastruktur aufzubauen. Bis heute dauert das an. Äthiopien hat Fortschritte gemacht, die extreme Armut ist seit 1995 um die Hälfte zurückgegangen, betrifft aber immer noch ein Drittel der Bevölkerung. Es ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Stromversorgung fällt selbst in der Hauptstadt noch regelmäßig aus, wer abends über die Skyline blickt, sieht schwarze Flächen dort, wo eigentlich Lichter brennen sollten. Politisch durchlebt Äthiopien turbulente Zeiten, der Ausnahmezustand ist seit Februar wieder ausgerufen, große Teile der Bevölkerung streiken aus Protest gegen die aktuelle Regierung. Daran hat auch ein Wechsel des Premierministers im Frühjahr bisher nichts geändert. Es geht um Landverteilung und Streitigkeiten unter den verschiedenen Bevölkerungsgruppen.

Der Mercato in Addis Abeba ist der größte Freiluftmarkt Afrikas. Jeden Tag kommen tausende Menschen hierher.
Der Mercato in Addis Abeba ist der größte Freiluftmarkt Afrikas. Jeden Tag kommen tausende Menschen hierher.
© Christian Vooren

Die schickeren Hotels erreichen gerade europäischen Standard. Restaurants gibt es einige wenige, die bieten dann lokale Küche an. Kräftig gewürzt, manchmal fast vergoren. Nicht jedermanns Sache. Wenn man offen auf die Äthiopier zugeht und nicht an der Sprachbarriere scheitert, kommt man schnell ins Gespräch. Wegen der hohen Armut verlassen die meisten von ihnen niemals ihre Heimat. Dementsprechend neugierig sind sie. Es kann sogar sein, dass man unverhofft zum Essen zu jemandem nach Hause eingeladen wird. Unbedingt annehmen!

Für die Postkarte

Was für ein Gewusel! Menschen überall. Freuen uns auf Kleinigkeiten zu Hause, Nudeln und Ruhe. Mehr Kirchen gesehen als je in Deutschland. Fragen uns, wo die Kids all die Kickertische herbekommen, mit denen sie auf der Straße spielen. Ihr müsst euch das selbst anschauen, um zu verstehen. Wir sind erschöpft, aber die Reise wird lange nachwirken. So andere Lebenswelten!

Ausgangspunkt ist Addis Abeba – von dort mit dem Auto oder fliegen nach Bahir Dar zum Tanasee und den Nilfällen – mit dem Auto weiter Richtung Norden in den Simien-Mountains-Nationalpark zu den Geladas – zurück in südlicher Richtung nach Gondar – nach Osten weiter bis Lalibela, allein dort befinden sich elf der berühmten Felsenkirchen – von da zurück nach Addis Abeba

Reisetipps für Äthiopien

HINKOMMEN

Ethiopian Airlines flieg ab Frankfurt direkt in knapp sieben Stunden. Hin und zurück ab knapp 700 Euro. Inlandsflüge zwischen Addis Abeba, Lalibela und Bahir Dar ab 50 Euro.

UNTERKOMMEN
Das Nexus Hotel in Addis Abeba liegt wenige Autominuten vom Flughafen entfernt und entspricht europäischen Standards.

Doppelzimmer pro Nacht ab knapp 70 Euro (nexusaddis.com).

Die Simiens Lodge liegt direkt im Simien Mountains Nationalpark. Appartments für zwei Personen in der Hauptsaison ab etwa 190 Euro (simiens.com).

RUMKOMMEN

Gruppen- sowie Individualreisen durch Äthiopien bietet beispielsweise African Dreams, Preise auf Anfrage (african-dreams.biz).

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