zum Hauptinhalt
Auf Key West fand Tennessee Williams 42 Winter lang Zerstreuung und Meditation.
© mauritius images

Key West in Florida: Der andere Mann und das Meer

Key West, da denken alle an Hemingway. Doch auch für Tennessee Williams war die Insel zweite Heimat. Noch heute kann man in seiner Lieblingsbar einkehren.

Was bleibt zu tun, in Erwartung des unvermeidlichen Todes? Besonders dann, wenn man unfähig ist, an ein Jenseits zu glauben? Der Autor Tennessee Williams hatte darauf zwei Antworten: Er machte sich stark für die „trivialen Zerstreuungen unserer täglichen und nächtlichen Existenz, mit denen wir die gedämpften, doch unüberhörbaren Schritte unseres nahenden Endes zu übertönen suchen“. So formulierte er es in seinen Memoiren. Seine zweite Antwort: „Die Meditation der Einsamkeit und durch sie die wundersam-stoische Transzendenz des Leibes und seiner Bedürfnisse.“

Zerstreuung und Meditation also – man könnte auch sagen: sich verlieren und sich finden. Beiden Strategien, mit der eigenen Sterblichkeit fertig zu werden, ging Tennessee Williams am liebsten in Key West nach. Für den Autor von „Endstation Sehnsucht“ und „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ war die Kleinstadt und Insel ein Refugium. 42 Winter verbrachte Williams hier am südlichen Ende der USA. Key West war für ihn Ort der Erholung, weitab von der wirren Welt und zugleich inspirierendes Zentrum seines Schaffens.

Auch 35 Jahre nach Williams’ Tod findet man hier beides: reichlich Unterhaltungsprogramm, um sich in trivialer Zerstreuung verlieren zu können – und genug Einsamkeit für Meditation und Selbstfindung. Wem das nicht reicht, um die Schritte des Todes zu übertönen, der tröste sich mit dem Erfolg anderer Inselmelancholiker: Sie erzählen die besten Geschichten.

Die Sunset Celebration ist tägliches Ritual

Key West liegt im Golf von Mexiko, im Westen der Inselkette Florida Keys, drei Autostunden und 42 Brücken von Miami entfernt. Noch nicht ganz Karibik, aber fast: Fünf Grad betrug die niedrigste Temperatur, die hier je gemessen wurde. Key West ist dauerhaft frostfrei und damit Vorzeige-Reiseziel des selbst ernannten Sunshine-States Florida.

Die Palmen sind saftig grün, von Rasensprengern nass gewordene Betonfußwege glänzen im Abendlicht. An der geputzten Hafenpromenade drängeln sich Urlauber, die Sunset Celebration ist hier tägliches Ritual. Straßenkünstler und Fast-Food-Verkäufer buhlen um Aufmerksamkeit, Kinder mit tropfendem Eis in der Hand staunen über die Kunststücke eines Katzendompteurs.

Der äußerste Zipfel Floridas ist der einzige garantiert frostfreie Ort der USA.
Der äußerste Zipfel Floridas ist der einzige garantiert frostfreie Ort der USA.
© mauritius images

Wenig später in der Abenddämmerung flanieren Männer jenseits der 70 mit Frauen diesseits der 50 über die zentrale Duval Street, an Fischrestaurants vorbei, die mit großen Fotomenüs werben. Ab und zu bleiben sie vor dem Schaufenster eines Zigarrenladens stehen.

50 Jahre zurück, und die Flaneure hätten Tennessee Williams begegnen können. Vielleicht wäre er gerade auf dem Weg in eine Bar und würde den Fremden etwas zurufen, das tat er gern. Er lachte ein bisschen verrückt und ein bisschen schüchtern, so beschrieb es der Journalist Jamake Highwater. Dann zitterte Williams’ grau gesprenkelter Spitzbart. Die Haare trug er ungekämmt und ein wenig zu lang über den Ohren, in früheren Jahren hatte er sie noch mit Wachs zurückgelegt.

Seine Ärzte hatten ihm Sonne verschrieben

Tennessee Williams wurde 1911 in Columbus, Mississippi, geboren, seine Jugend verbrachte er in St. Louis, im Nachbarstaat Missouri. Williams war rastlos, nicht nur in seinen Gedanken. Er studierte an drei verschiedenen Universitäten, zog nach New Orleans, nach New York, nach Kalifornien, arbeitete als Fernschreiber, als Kellner, half in einer Schuhfabrik aus. Und er schrieb. Viele Jahre nur nebenbei, sein erster Auftrag war ein Sonett über den Frühling, ein Frauenbuchklub zahlte 25 Dollar dafür. Dann entdeckte ihn die Agentin Audrey Wood. Ende der 40er Jahre war Tennessee Williams zum gefeierten Star am New Yorker Broadway aufgestiegen, 1948 und 1955 gewann er den Pulitzerpreis.

Zum ersten Mal nach Key West kam Williams 1941 von New Orleans aus, als 30-jähriger Mann, gesundheitlich angeschlagen. Seine Ärzte hatten ihm Sonne und Meeresluft verschrieben. Er lebte mit seinem Großvater in einem Hotel, schrieb am Vormittag und ging am Nachmittag zum Strand.

1950 kaufte er ein kleines Grundstück an der Duncan Street. Dort lebte Williams in einem bescheidenen Holzhaus, für viele Jahre gemeinsam mit seinem Partner Frank Merlo. Im Garten stand eine kleine Hütte, in der Williams schrieb, er nannte sie sein „Mad House“.

Das Grundstück gehört heute Privatleuten, doch gleich um die Ecke gibt es einen Ort, wo an das Erbe des Autors erinnert wird: Das Museum „Tennessee Williams Key West Exhibit“ .

Über die kleine Ausstellung hinaus ist es gar nicht so einfach, sich Tennessee Williams zu nähern. Ein anderer Autor überstrahlt seine Wahrnehmung: Ernest Hemingway. Obwohl der nur zwölf Jahre lang in Key West lebte, schmückt sich die Stadt offensiv mit seinem Namen. Hemingways altes Wohnhaus ist eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten, im Garten dahinter feiern jedes Jahr mehr als 100 Paare Hochzeit.

Romantisch wohnen hier nur die Reichen

Williams’ Lieblingsbar. Früher war hier auch Ernest Hemingway oft zu Gast.
Williams’ Lieblingsbar. Früher war hier auch Ernest Hemingway oft zu Gast.
© imageBROKER/Norbert Eisele-Hein

Es gibt einen Ort, an dem sich die Wege der beiden berühmten Autoren kreuzen, obwohl Hemingway schon 1939 nach Kuba zog, zwei Jahre, bevor Williams nach Key West kam. Und auch dieser Ort ist vor allem dank Hemingway bekannt: Seine Lieblingsbar Sloppy Joe’s. Williams ging hier ebenso ein und aus, trank mit Freunden, traf hier Hemingways Exfrau. Er nannte Sloppy Joe’s eine „Bar mit Pfiff“. Das Bier ist teuer, die Coverbands sind dafür gut.

Wer statt Unterhaltung eher Einsamkeit sucht, kann durch stillere Seitenstraßen wie die Simonton Street oder die Southard Street schlendern. Kann in die Catherine Street einbiegen, wie einst Williams auf dem Heimweg vom La Te Da, dort aß er gern zu Abend. Kann in der milden Nachtluft die typische Key-West-Architektur bestaunen.

Die Kombination verschiedener Einflüsse hat hier einen ganz eigenen Stil hervorgebracht: kolonial und bunt. Aus Kuba kommt die Holzbauweise, von den Bahamas die Liebe zur Farbe. Und aus New England haben die weißen Siedler viktorianische Einflüsse importiert. Die Dächer einiger Häuser reichen weit über die Fenster des zweiten Stocks hinab, damit die Sonne nicht den Wohnraum aufheizt. Die Bewohner nennen sie deshalb Eyebrow-Houses, Augenbrauen-Häuser.

Aber alt und romantisch wohnen nur die Reichen. Ein historisches Haus in der Altstadt ist heute locker 15 Millionen US-Dollar wert. Jede Renovierung ist zugleich Restaurierung, denn alles ist denkmalgeschützt. Selbst um einen Zaun zu streichen, braucht es die Erlaubnis der Stadt. Die letzten Häuser, in denen noch hier Geborene wohnen, erkennt man an der abblätternden Farbe.

Williams war eine lokale Ikone

Sie sind so unperfekt wie die Figuren in Tennessee Williams’ Werken. Am liebsten porträtierte er Alltagsmenschen im Ausnahmezustand. Er baute behutsam Konflikte auf, in kleinen Gruppen von Menschen, die sich nahestehen, „jenes flackernde, umwölkte, schwer zu fassende – aber fieberhaft mit Spannung geladene – Zusammenspiel lebendiger Wesen in der Gewitterwolke einer gemeinsamen Krise“. Williams verstand seine Stücke als Lassoschlingen, mit denen er menschliche Wahrheit einfing.

Jene destillierte er zu großen Teilen aus seiner eigenen Biografie. In „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ heizt die verheimlichte Homosexualität der Hauptfigur Brick den Konflikt um ein Familienerbe an. Williams selbst lebte offen schwul. „Die Glasmenagerie“, sein erstes Stück, das am Broadway Premiere feierte, ist eine Liebeserklärung an seine kranke Schwester Rose. Williams hat es in Key West geschrieben, Anfang der 40er.

Heute vergnügen sich in Key West die Reichen mit ihren Segelbooten.
Heute vergnügen sich in Key West die Reichen mit ihren Segelbooten.
© promo

Die Insel war damals frisch in zwei sehr unterschiedliche Hälften geteilt worden: Old Town und New Town. New Town ist künstliches Land, die US-Armee hatte sich hier Anfang des 20. Jahrhunderts einen Navy-Stützpunkt aufgeschüttet. Dort stehen heute die günstigeren Hotels, Wohnblöcke für Einheimische und die Filialen von Fast-Food-Ketten in Fließband-Architektur.

Tennessee Williams war eine lokale Ikone. Und er brachte berühmte Gäste nach Key West: Williams lud John F. Kennedy zu sich ein, Andy Warhol oder Truman Capote. Und er verfilmte eines seiner Stücke auf der Insel: „Die tätowierte Rose“. Viele seiner Freunde bekamen Statistenrollen, und der Film machte den Ort weit bekannt.

„Mein Gott, das könnte Nixon gesagt haben!“

Williams’ letzter großer Erfolg war „Die Nacht des Leguan“, 1961 am Broadway uraufgeführt. Er schrieb weiter und weiter, ein Werk nach dem anderen. Aber die Kritiker wandten sich von ihm ab. Die großen Theater wollten seine Stücke nicht mehr produzieren, er wich auf kleinere Bühnen in kleineren Städten aus. Und er begann zu malen.

Statt an den Strand zu gehen, stellte Williams am Nachmittag nun eine Staffelei in sein „Mad House“ und brachte impressionistische Porträts mit Öl auf die Leinwand. Seine Modelle waren Freunde wie Henry Faulkner – und immer wieder Charaktere aus seinen Stücken. Williams hatte damit durchaus Erfolg. Doch seine Leidenschaft blieb das Schreiben.

Spätestens der frühe Krebstod seines Partners Frank Merlo 1963 war der Beginn eines Jahrzehnts der Depression. Tennessee Williams schrieb weniger, trank mehr, nahm Drogen, steigerte sich in Spiralen der Selbstverachtung hinein. Bis sein Bruder ihn zwangseinweisen ließ. Nach seinem Entzug begann Williams wieder zu schreiben, mit nach wie vor mäßigem Erfolg. Und er trank weiter.

Im Februar 1983 starb Tennessee Williams in einem New Yorker Hotel, erstickt am Deckel einer Medikamentenflasche.

In seinen Memoiren klingt er versöhnlich mit sich selbst: „Machen Sie aus dem Paradox meines Lebens, was Sie wollen, ich meinerseits habe mich ehrlich darum bemüht, das Beste daraus zu machen.“ Und fügt hinzu: „Mein Gott, das könnte Nixon gesagt haben!“

Reisetipps für Key West

Hinkommen

Flüge gehen in der Regel mit zwei Stopps in knapp unter 20 Stunden von Berlin, je nach Verbindung. Zum Beispiel mit Air France oder Delta über Paris und Atlanta, hin und zurück ab 470 Euro. Alternativ mit Lufthansa ab 500 Euro über Frankfurt nach Miami und dann in viereinhalb Stunden mit dem Greyhound-Bus weiter.

Unterkommen

Auf Key West nicht günstig. Etwa im Margaritaville Key West Resort, Doppelzimmer pro Nacht ab 175 Euro, margaritaville.com.

Für etwa den gleichen Preis kann man bei Airbnb Hausboote mieten.

Rumkommen

Kostenloses Infomaterial unter fla-keys.de.

Jakob Pontius

Zur Startseite