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Die Komponistin Julia Wolfe, 59
© Peter Serling/juliawolfemusic.com

"Anthrazite Fields" von Julia Wolfe: Von Pennsylvania bis zum Hambacher Forst

Die amerikanische Komponistin Julia Wolfe würdigt mit ihrem Oratorium „Anthracite Fields“ die Kohle-Kumpel. An diesem Samstag ist deutsche Erstaufführung in Kreuzberg.

Das Zeitalter der Kohle ist vorbei. Längst wird das Verschwinden des Energieträgers auch in Deutschland organisiert. Politisch, wirtschaftlich, strukturell. Über Jahrhunderte haben die Kumpel mit ihrer mühsamen und dreckigen Arbeit das Land angetrieben. Das prägt. Für Menschen, die in mehreren Generationen mit dem Kohlebergbau verbunden sind, ist nicht nur das Ende der Kohle gekommen, ihnen bricht ein gewaltiges Stück Identität weg.

Die amerikanische Komponistin Julia Wolfe hat diesem Verlust der ehemaligen Bergarbeiter in ihrer Heimat Pennsylvania nachgespürt – und dem Bedürfnis nach Anerkennung dafür, eine ganz Nation mit Energie versorgt zu haben. Mit ihrem 2014 uraufgeführten Stück „Anthracite Fields“ möchte sie die Minenarbeiter des letzten Jahrhunderts ehren. Nun, inmitten der aktuellen Diskussionen um den Kohleausstieg, führt der Berliner Chor Cantus Domus ihr Werk gemeinsam mit dem Ensemble Bang on a Can All-Stars an diesem Samstag in der Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg zum ersten Mal in Deutschland auf. Die sechsköpfige Band tritt in für zeitgenössische Musik ungewöhnlicher Besetzung mit elektronisch verstärkten Instrumenten auf. Neben selbst entworfenem Schlagwerk spielen sie Klavier, Gitarre, Bass, Cello, unterschiedliche Klarinetten und Schlagzeug.

Wolfe hat ihr Werk, für das sie 2015 mit dem Pulitzer-Preis Musik ausgezeichnet wurde, über die Grenzen der Musik hinaus erweitert, mit Lichtkonzept und der Projektion historischer Aufnahmen. Dabei nähert sich jeder der fünf Sätze einem bestimmten Aspekt an. Der dritte Satz beispielsweise zitiert die Rede eines früheren Gewerkschaftsvorsitzenden, in der er für bessere Arbeitsbedingungen stritt. Zu getragenen Linien des Cellos und der reduzierten Begleitung der Gitarre singen Solosänger und Chor die kämpferischen Zeilen.

"Alle Arten von Musik sind gleichberechtigt für mich"

Julia Wolfe, die in New York lebt, nimmt sich Freiheiten beim Komponieren – auf vielen Ebenen: Sie kombiniert verschiedene Darstellungsarten, Textvorlagen und auch Musikgenres. „Ich glaube, meine Haltung zur Musik ist generell sehr divers und offen. In jungen Jahren hatte ich die engste Verbindung zu Pop und Rock, später dann zur Folkmusik. Alle Arten von Musik sind auf gewisse Weise gleichberechtigt für mich, sind Teil meiner musikalischen Sprache, weil sie auch Teil meiner Hörgewohnheiten sind. Ich bin deshalb frei, jeweils den Ausdruck zu wählen, der meine Idee am besten unterstützt“, erklärt sie. Neben der Popmusik prägt vor allem die Minimal Music ihren Kompositionsstil. Unwillkürlich erinnern die sich ständig wiederholenden musikalischen Muster in „Anthracite Fields“ an die Fließbandarbeit der Kohleförderung.

Sie schreibe ihre Werke nie für eine bestimmte Gruppe von Hörern, meint Wolfe. In diesem Fall scheint sie einen sehr direkten Zugang zu Minenarbeitern und ihren Nachfahren gefunden zu haben. Nach fast jeder Aufführung wird sie von ihnen angesprochen oder sie erhält ausführliche Briefe – sogar historische Dokumente fand sie bereits in ihrem Briefkasten vor.

Eigentlich als Ehrerweisung für die Minenarbeiter geschrieben, hat sich die Wahrnehmung des Werkes über die letzten vier Jahre verändert. US-Präsident Donald Trump heroisiert seit seiner Wahl den Kohlebergbau und will ihn wieder stärken. Die zunehmende Sorge um das Klima erlaubt es, „Anthracite Fields“ auch als Plädoyer für den Umweltschutz zu hören. Das Publikum der deutschen Erstaufführung jetzt in Berlin wird wohl vor allem an den aktuellen Kampf um den Tagebau im Hambacher Forst denken.

Den Klimawandel wird „Anthracite Fields“ sicher nicht aufhalten. Aber vielleicht vermittelt es auch hierzulande ein Stück notwendige Anerkennung für die Kumpel.

Heilig-Kreuz-Kirche, Zossener Str. 65, diesen Samstag, 2.11., 16.30 Uhr & 20 Uhr

Jonas Zerweck

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