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Beim Wandern auf Mallorca schaden Hilfsmittel nicht, feste Schuhe sind ein Muss. Der Weg der Insel weg vom Proleten-Image ist ebenfalls steinig.
© Pep Roig/Alamy Stock Photo

Balearen: Aufstiegskampf: Wie sich Mallorca neu erfindet

Es duftet nach Thymian, und in der Ferne klingeln die Schafsglöcklein. In Mallorcas Gebirge ist vom Ballermann nichts zu spüren.

Es krächzt bedrohlich. Zweiter Gang. Der Fahrer flucht. Abgewürgt. Erster Gang. Ein Heuler, ein Hüpfer. Dann zuckelt der Kleinbus wieder gemächlich die Serpentinen hinauf. Der Motor ist heute an den Steigungen etwas antriebslos. Die Passagiere dafür dankbar. Mehr Zeit, um aus dem Fenster zu schauen, wo die Haine von Mandelbäumen langsam durch Olivenbäume abgelöst werden.

Ankunft in Orient. Nicht im Nahen Osten. Das „Dorf der aufgehenden Sonne“ liegt auf Mallorca, inmitten der Bergkulisse der Serra de Tramuntana. Als sich die Bustüren öffnen, dringt für einen Moment nur das Klingeln der Schafsglocken zu den Ohren vor.

Kaskaden kleiner Felder ziehen sich in Stufen die Bergflanken hinauf. Angelegt vor mehr als 1000 Jahren. Die Zivilisationsgeschichte des Mittelmeerraums auf einen Blick. Phönizier brachten den Wein auf die Insel. Die Griechen die Olive. Die Mauren kultivierten mit ihrer Terrassenkultur die Berghänge. Römer legten die Wege an. Und eine deutsche Wandergruppe will sich heute hinaufquälen.

Angetrieben von Wanderführer Hendrik Uhlemann. Ein Dresdner Auswanderer. Halblanges blondes Haar über der Funktionsjacke. Hier gelandet, um für einige Monate Spanisch zu lernen, hier geblieben, weil er seine Frau kennenlernte.

Niemand trägt feste Schuhe, ein Fehler

Eine der schönsten Routen Mallorcas hatte Uhlemann versprochen. Hinauf zum Castell d’Alaró, ein Stück entlang des Fernwanderwegs GR 221, der „La Ruta de Pedra en Sec“ genannt wird, die Route der Trockensteinmauern. Mehr als 130 Kilometer zieht sie sich vom äußersten Westen bis nach Pollenca im Norden der Insel, quer durch das Tramuntana-Gebirge, vorbei an 14 Gipfeln über 1000 Meter.

Die ersten Schritte auf dem Geröll des porösen Kalkgesteins. Mit skeptischen Blicken hatte der Gruppenführer in der Hotellobby noch das Schuhwerk gemustert. Niemand trägt hohe Stiefel mit fester Sohle. Nun drücken sich die Steine schmerzhaft durch. Doch mehr als Ratschläge kann ein Fachmann am Morgen nicht verteilen. Am Abend dann Blasenpflaster.

Die ersten Zweifel der Wanderer werden schon nach wenigen Metern durch den Geruch von Thymian vertrieben, zwei Kehren weiter mischt sich Rosmarin darunter. Schwarze Schoten von Johannisbrotbäumen bedecken den Boden. Mallorquinerinnen wie Uhlemanns Frau tragen immer einen solchen Samen im Portemonnaie, erklärt er. So gehe das Geld nie aus, glauben sie.

Zwischen den silbergrauen Blättern der jungen Olivenbäume stehen vereinzelt alte, knorrige, weit verzweigte Exemplare. Stämme von mehreren Metern Umfang. Die rissige Borke trägt die Narben von Jahrhunderten. Einige dürften noch aus der Erstbepflanzung in maurischer Zeit um das zwölfte Jahrhundert stammen, vermutet Uhlemann. Oliven zählen zum Obst, im Vorbeigehen streift der Wanderführer einige Früchte ab und verteilt sie bei der nächsten Trinkpause. Doch schon nach dem ersten Bissen beginnt das große Spucken. Ein galliger Geschmack verbreitet sich im Mund. Direkt vom Baum sind Oliven ungenießbar. Erst durch mehrmaliges Einlegen können die Bitterstoffe ausgeschwemmt werden.

Wer hier regierte, herrschte über Mallorca

Ein steiler Aufstieg im Steineichenwald folgt. Hier und da raschelt es im Dickicht. Wilde Ziegen, begleitet von kleinen Kitzen. Zum Entzücken der Wandergruppe. Zum Leidwesen der umliegenden Anwohner, bei denen die Tiere die Vorgärten verwüsten. Die Paarhufer werden konsequent bejagt.

Nach zwei Stunden zeichnen sich auf einem hochaufragenden Felsensporn endlich die Reste des Castell d’Alaró gegen das Blau des Himmels ab. Und aus dem Wandererlebnis wird eine Geschichtsstunde. Jahrtausendelang sei das der letzte Rückzugsort auf der Insel gewesen, erzählt Uhlemann. Wer hier regierte, herrschte über Mallorca. Ein Schicksalsort, an dem Dynastien ganzer Epochen aufstiegen und untergingen. In der Bronzezeit waren es die Vertreter der Talayot-Kultur, in der Antike die Römer, später die Mauren. Acht Jahre sollen allein die muslimischen Eroberer gebraucht haben, um den schwer zugänglichen Bergrücken zu besetzen, der von hohen, abfallenden Steilwänden umfasst ist.

Noch heute führt der einzige Weg hinein durch das schmale Burgtor mit der markanten Schlüssellochform des maurischen Stils. Ein zugiger Windkanal. „Erkältungsturm“ nennen die Mallorquiner die Ruine. Hier macht es sich bezahlt, bei der Kleidung aufs Zwiebelprinzip gesetzt zu haben.

Die Kreuzfahrer sind zurück

Heute muss das Castell nicht mehr belagert werden, Uhlemanns Gruppen brauchen lediglich eine Reservierung für eine Übernachtung, wenn sie nicht noch am selben Tag wieder runterwollen. Der Leiter einer Wanderherberge nimmt sich ganzjährig der müden Eroberer an. Auf Wunsch sogar mit Vollpension. Alle Zutaten tragen die Hausesel Tita und Damià auf ihrem Rücken hier hoch. Mit diesem Wissen würdigt man die „Sopa mallorquina“, einen landestypischen, deftigen Kohleintopf mit Fleischeinlage, noch mehr. Zumal auf einer Terrasse mit solch einem Panoramablick.

Die Augen versuchen vergeblich, am Horizont zwischen Meer und Abendhimmel zu unterscheiden, die Konturen des Hafens von Palma sind der einzige Anhaltspunkt. Im Jahre 1229 sahen die maurischen Burgherren von hier oben mit an, wie die Schiffe der christlichen Reconquistadoren dort anlandeten.

Auch heute zeichnen sich gegen die Sonne deutlich große, weiße Objekte ab. Die Kreuzfahrer sind zurück. Doch statt Kettenhemd und Schwert fallen sie mit Socken in Sandalen und gezückter Kamera ein. Und glaubt man Uhlemanns Ausführungen, sind die Folgen kaum minder verheerend. Auch in diesem Sommer, erzählt er, empfingen Anwohner die Reisegruppen vor ihren Kreuzfahrtschiffen mit lautstarken Protesten. „Der Tourismus tötet Mallorca“, stand auf ihren Schildern.

Der Niedergang des Pauschaltourismus schreitet voran

Der Feierkomplex „Mega-Park“ ist verrammelt, der Besitzer steht wegen Bestechung und Erpressung vor Gericht.
Der Feierkomplex „Mega-Park“ ist verrammelt, der Besitzer steht wegen Bestechung und Erpressung vor Gericht.
© imago/foto2press

Was sie meinen, konnte man am Vorabend erleben. El Arenal, das Zentrum des deutschen Sauftourismus, liegt in der Nebensaison da wie eine Totenstadt. Neonlicht flackert schwach. Buchstaben aus Leuchtstoffröhren weisen den Weg zur „Oben Ohne Bar“. Am rostigen Metall des Rohrpfostens ein halb abgelöster, vergilbter Aufkleber. „Hurra, hurra, die Deutschen die sind da!“, ist dort zu lesen. Doch wo sich sonst vor dem Schwarz der Berge am Horizont das Rot des Sonnenbrands auf goldenem Sand abzeichnet, ist Nebensaison. 17 Grad, Nieselregen. Die Einzigen, die hier Deutsch sprechen, sind die senegalesischen Sonnenbrillenverkäufer, von Touristen pauschal „Helmut“ genannt. Angeblich gaben sich die Händler den Namen selbst.

Für viele Deutsche galt der Platja de Palma über Jahrzehnte als Ausdruck eines Lebensgefühls. Und noch immer stammt die Hälfte aller Besucher auf Mallorca aus Deutschland. Doch der Niedergang des Pauschaltourismus schreitet voran. Dessen Totengräber kommen in Form von Baggern und Abrissbirnen. Sie sollen Platz machen für Neues.

Auf der Insel strebt man ein anderes Erscheinungsbild des Küstenstreifens an. Kulinarik statt Exzessen. Champagner statt Eimersaufen. Salsa statt Schlagern. Bis 2019 sollen dafür allein im Viertel El Arenal fünf Luxushotels entstehen. Der Stadtrat von Palma hat unter dem vielsagenden Titel „Verordnung für zivilisiertes Zusammenleben“ die Essenz des Partytourismus infrage gestellt: kein Alkohol in der Öffentlichkeit mehr. Kein Oben-ohne am Strand. Keine laute Musik bis in die Morgenstunden.

Ballermann 6 ist kaum wiederzuerkennen

Der zentrale Feierkomplex „Mega-Park“, äußerlich einer gotischen Kathedrale nachempfunden, ist verrammelt. Hohe Bauzäune. Der 72-jährige Besitzer steht wegen Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung, Bestechung und Erpressung vor Gericht. Die Behörden haben die Besucherzahl für den Club stark eingeschränkt. Auch die Strandbar am Balneario No. 6, besser bekannt als „Ballermann 6“, ist kaum wiederzuerkennen. Seit vergangenem Jahr schmückt sie eine edel wirkende Holzverkleidung in schickem Petrolgrün. Ein weiß-gelber Schriftzug verkündet den neuen Namen: „Beach Club Six“.

Einzig der „Bierkönig“ in der berüchtigten Schinkenstraße wartet heute noch mit einer Mischung aus Après-Ski-Hütte und Oktoberfestzelt auf. Während hier in der Hochsaison der Lärm- mit dem Alkoholpegel steigt, sitzen dort nun verloren wirkende Grüppchen von Heranwachsenden. Trotzig wummert es aus den Boxen: „Geh’ mal Bier holen, du wirst schon wieder hässlich.“ Schwer vorstellbar, dass Bier diese Trostlosigkeit beenden kann. Dann wohl eher die Regionalregierung.

Seit Jahren ist sie bemüht, herauszustellen, dass Mallorca mehr ist als nur ein riesiger Freizeitpark. Um der Mengen Herr zu werden, wird allsommerlich über Quoten und Verbote diskutiert. Weniger als ein Prozent der rund 14 Millionen jährlichen Mallorca-Touristen kommt zum Wandern in die Berge.

Ist Malle bald am Ende?

Uhlemann muss sich auf gutes Zureden verlassen, um seine Gruppe vom Abstieg zu überzeugen. Bevor die Dunkelheit einbricht, geht es wieder die langgezogenen Kehren hinunter, vorbei am architektonischen Vermächtnis der Mauren. Mallorca hinterließen sie keine Alhambra wie in Granada und keine Kathedralmoschee wie in Córdoba. Dafür Terrassen voller Orangen-, Zitronen- und Mandelbäume und die Technik, mit der das Wasser aus den Bergen der Tramuntana in ausgeklügelten Kanalnetzen bis auf die Felder geleitet wird.

Und die Kulturvertreter aus dem Land der Dichter und Denker – was wird von ihnen bleiben? Ob die Mallorquiner in 100 Jahren die Melodien von „Finger im Po, Mexiko“ oder „Ich bin ein Döner“ pfeifen?

Vor langer Zeit hat schon einmal ein germanisches Volk Mallorca heimgesucht. Die Vandalen nutzten das Machtvakuum nach dem Zerfall des Römischen Reiches und zogen plündernd und marodierend durch Europa, bis sie 430 die Balearen erreichten. Sie verwüsteten Städte, metzelten ihre Bewohner nieder, plünderten Kulturgüter. „Furor Teutonicus“ nannte der römische Dichter Marcus Annaeus Lucanus die wütende, mitleidlose Raserei germanischer Stämme.

Wenn die Reconquista des Qualitätstourismus Erfolg hat, wird Mallorca in wenigen Jahren den zweiten Furor Teutonicus überstanden haben. Längst gilt der „Goldstrand“ in Bulgarien als Erbe des Ballermanns. Dort stimmt man bereits den Abgesang von Schlagerbarde Ikke Hüftgold auf eine geschundene Insel an: „Drum hebt eure Hände, Malle ist schon bald am Ende.“

Es sind erste Schritte für einen Neuanfang. Das nächste Mal allerdings ganz sicher in Wanderschuhen.

Reisetipps für Mallorca

Hinkommen

Von Berlin nonstop zum Beispiel mit Ryanair, Easyjet, Eurowings oder Germania. Pro Strecke ab 15 Euro. Zum Ausgleich für den CO2-Verbrauch kann man einen Betrag fürs Klima spenden, atmosfair.de.

Unterkommen

Wanderherberge im Castell d’Alaró mit Gemeinschaftsbad und Bett im Schlafsaal ab 14 Euro, castellalaro.cat.

Fünf-Sterne-Hotel Llaut Palace mit Blick auf die Bucht von Palma, Doppelzimmer ab 150 Euro, hotelllautpalace.com.

Rumkommen

Bei Mallorca Activities kann man neben Wandertouren auch Kletterkurse, Canyoning und Höhlenbegehungen buchen, mallorca-activities.com.

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