Mallorca-Urlaub: Süße Verlockung im Orangental
Jenseits von Palma, hinter den Bergen, präsentiert sich Mallorca voller Überraschungen. Wir verraten Ihnen einen ganz besonderen Tipp für Ihren Mallorca-Urlaub.
Dem Gast wird auf süße Weise signalisiert, wo er sich befindet. Auf allen, auch den nicht besetzten Tischen der ungezählten Freiluftrestaurants an der Promenade von Port Sóller (sprich: Sóllje) liegen mindestens drei Apfelsinen. Für die Gäste zum freien Verzehr. Im „Tal der Orangen“, hinter dem Tramuntana-Gebirge, weitab der Trubelstrände der Bucht von Palma, wissen die Mallorquiner, wie sie mit netten Gesten die Besucher in Urlaubsstimmung versetzen können. Hier wird der Mallorca-Urlaub zur reinsten Erholung.
In das Tal kommen die Touristen jedoch nicht allein wegen der süßen Früchte, die dort an tausenden Bäumen reifen. Anziehungspunkt ist auch die wenige Kilometer vom Hafen landeinwärts liegende Stadt Sóller. Ein „Palma en miniature“ sozusagen, mit belebten Gassen und den typischen, wundervollen Innenhöfen, jedoch ohne Burgerbräter oder fernöstlichen Tinnef in den Geschäften.
Wer ein wenig Sinn für Architektur besitzt, wird allerdings noch mehr entdecken. Es fällt nicht unbedingt sofort ins Auge, doch je intensiver der Umherstreifende Ausschau hält, desto mehr erkennt er: Jugendstil aus der spanischen „Modernismo“-Epoche Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Aufwendig gestaltete Wohnhäuser, prachtvolle öffentliche Gebäude, Skulpturen, Zäune und Gitter sind beredtes Zeugnis von Wohlstand. Zumindest dem der Vergangenheit.
In Sóller fehlt heute das große Geld
Heute hingegen werden Befürchtungen laut, die historisch wertvolle Pracht könne verfallen. Denkmalschützer sorgen sich, denn vielfach fehlt Eigentümern das Geld, ihre Kleinode zu pflegen. Sóller und seine Bürger leben heute zwar sehr ordentlich, wenn auch eher vom Tourismus als von Zitrusfrüchten. Doch anders als vor mehr als 200 Jahren fehlt das große Geld. Sóller, damals durch die Bergkette vom Rest Mallorcas weitgehend abgeschnitten, wurde reich durch den Südfrüchtehandel mit Frankreich. Zudem brachten Anfang des 20. Jahrhunderts zurückkehrende Auswanderer, die ihr Glück in Lateinamerika gemacht hatten, viel Geld mit. Auch sie mussten zur Schau stellen, dass es ihnen gut ging.
Eines der extravagantesten Beispiele des „Modernismo“ findet sich in der Carrer de sa Lluna, der Einkaufs- und Flaniermeile der Stadt, wenige Schritte vom Hauptplatz an der überdimensioniert erscheinenden Pfarrkirche Sant Bartomeu. Ca’n Prunera, 1911 für einen Textilfabrikanten vom Architekten Josep Rubio i Bellver gebaut, ist heute Museum. Im herrlich restaurierten Inneren der Residenz der Familie Magraner (bis 2006) prunkt das Haus seit 2009 in einer Dauerausstellung auch mit Werken von Picasso, Miró, Matisse, Magritte und anderen, die zumindest zum Teil in ihren Werken vom Jugendstil beeinflusst waren.
Die modernistische Kalksteinfassade des Bankgebäudes neben Sant Bartomeu wurde 1889 ebenfalls vom Gaudí-Schüler Joan Rubió entworfen: an der Hauskante ein doppelter runder Balkon unter Löwenkopf und Sonne. Ein echter Hingucker. Das Gebäude wird jetzt von der Banco Santander genutzt. Auch für das heutige Erscheinungsbild von Sant Bartomeu zeichnet Juan Rubió verantwortlich. Die um 1230 auf den Überresten einer Moschee gebaute Kirche war im Laufe der Jahrhunderte einer Vielzahl von Stilrichtungen unterworfen, bis Rubió Hand anlegte. Die vielleicht wichtigste Ansammlung historisch relevanter Jugendstilvillen findet sich jedoch in der Gran Via. Doch hier ist die Pracht zum Teil erheblich angegriffen.
Die uralten Straßenbahnwaggons kommen aus Lissabon
Sorgen bereitet der Denkmalschutzorganisation Arca besonders, dass der Zahn der Zeit ungehemmt auch an den Werken von Manuel Carrascosa nagt, einem legendären lokalen Kunstschmied, der so manches Haus der Stadt – und die Bank – mit Fenstergittern oder eleganten Zäunen versehen hatte. Hinter Arca steht übrigens der „Verein der Altstadtbewahrer“ von Palma. Sie setzen sich inzwischen für den Schutz von Kulturgütern auf der gesamten Insel ein, seien es Landhäuser oder einzelne Elemente im Stadtbild von Palma oder eben Sóller.
Wer genug hat vom Sich-treiben-lassen durch das 13 000-Einwohner-Städtchen, lässt sich die kurze Bahnfahrt nach Port Sóller nicht entgehen. Ganz vorsichtig rumpelt der Zwitter aus Klein- und Straßenbahn von der Placa d’Espanya hinter der Kirche aus zunächst mittenmang durch die sorg- und gedankenlos flanierenden Touristen gen Meer. Die picobello restaurierten Uraltwaggons bekommt die private Bahngesellschaft überwiegend aus Lissabon, wo immer wieder Straßenbahnwagen ausgemustert werden und sich aufgemöbelt in Sóller wiederfinden. Besonders an Wochenenden sind die nach (oft nicht eingehaltenem) Fahrplan verkehrenden Züge gesteckt voll. Doch glücklich ist ohnehin, wer auf der Außenplattform einen Steh- und somit guten Aussichtsplatz findet.
Eigentlich ist Port Sóller ja ein Bilderbuchhafen. Fast kreisrund, mit einer geschützten Zufahrt, umstanden von gezähmter Bebauung. Einige (nicht alle) Bausünden sind gar verschwunden, etwa die über Jahre weithin sichtbare Hotelruine hoch über dem Hafenbecken. Dort ist vor zwei Jahren in der seltenen Kombination von deutschem Geld (Immobilienfonds Deka) und arabischem Management das formidable „Jumeirah Port Sóller“ entstanden. Neben allen Vorzügen eines Fünf-Sterne-plus-Hauses dürfte der allergrößte Luxus für die Gäste in dem spektakulären Blick auf Berge, Orangental, Meer und Hafen liegen.
Herzlich willkommen im Mallorca-Urlaub!
Letzterer ist in den vergangenen Jahren nach den Maßstäben der Gemeindeväter „schick“ geworden – Stammgäste trauern jedoch dem fast verlorenen Flair nach. Die wenigen verbliebenen Fischer sind mit ihren Booten nunmehr in die hinterste Ecke des Hafens verbannt. Ganz allerdings haben es die Modernisierer nicht geschafft, die Atmosphäre an der Mole zu sterilisieren. Dafür sorgt nicht zuletzt das illustre Seglervölkchen, das hier nun in erster Reihe seine Schiffe vertäut.
Und auch die Gastlichkeit, die sich in Gestalt der Restaurants ausgebreitet hat, muss nicht als Nachteil gewertet werden. Allein schon die Orangen auf den Tischen signalisieren: Herzlich willkommen! Klar, das wird auch ausgenutzt. Wir erleben es am Nachbartisch. Schwäbisches Ehepaar (ja, die Sprache) setzt sich, schält und verputzt in Windeseile alle Orangen, bestellt zwischendurch einen (!) Espresso für einen Euro, zahlt, steckt noch zwei Zuckertütchen ein und geht, die Reste der kleinen Apfelsinenschlacht zurücklassend. Ärgerlich? „Ach wissen Sie, jeder Jeck ist anders“, sagt der Ober, der lange in Köln gearbeitet hat. Doch er setzt dabei ein Lächeln auf, das längst nicht so süß gelingt wie die hiesigen Orangen schmecken…