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Erlend Bratlie, Guide von Spitzbergen Travel, auf der Suche nach Eisbären.
© Marc Beckmann/Ostkreuz

Eisbären auf Spitzbergen: Auf der Suche nach dem König der Arktis

Spitzbergen, Norwegen. Hier wollen die Touristen nur eins: dem Eisbär begegnen. Das kann gefährlich werden für Mensch und Tier. Ein Reisebericht.

In Longyearbyen ist die Welt noch in Ordnung. Im nördlichsten Städtchen der Welt stehen die Häuser in Reih und Glied, klein, bunt und mit spitzen Dächern. Ihre Türen sind nie verschlossen. Diebstähle gibt es hier nicht. Auch keinen Lärm oder Verkehr. Nur Rentiere, die an der Straße weiden, Menschen, die auf Socken durch Cafés schlurfen, und viel Ruhe.

Doch hinter der Straße ohne Namen, nur wenige Meter vor der Stadt, lauert die Gefahr. Wanderer tragen Gewehre. Der Kindergarten ist mit einem hohen Zaun aus Metall gesichert. Und Einheimische erzählen, wie pelzige Riesen durch Hinterhöfe streunen, Mülltonnen durchwühlen und in Hütten eindringen.

Die Inselgruppe Spitzbergen liegt auf halbem Weg zwischen Norwegen und dem Nordpol. Eingebettet in strahlend weiße Berge, grünlich schimmernde Gletscher und tiefblaue Fjorde, ist der Archipel das einzige hocharktische Gebiet Europas.

Und ein Reich der Eisbären: Auf den 60.000 Quadratkilometern sollen 3000 dieser Raubtiere leben. Mehr als Einwohner. Mehr als in sonst einer Region der Welt. Um die Artgenossen der Berliner Legende Knut ist in der Hauptsiedlung Longyearbyen ein riesiger Markt entstanden.

Nicht ein einziger Reiseveranstalter vor Ort, der keine Tour zum „König der Arktis“ anbietet. In den Läden: Eisbären als Plüschtiere und Schlüsselanhänger. Eisbären auf Tassen und T-Shirts, auf Brotdosen und Postern. Eisbären aus Glas und Porzellan und solche aus weißer Schokolade. In Hotellobbys, Museen und Supermärkten heben ausgestopfte Exemplare ihre gewaltige Tatze zum Gruß.

Auf Spitzbergen ist der Eisbär vieles. Liebling der Touristen, Geldsegen, wichtiger Bestandteil der kulturellen Identität. Aber auch alltägliche Bedrohung und Symbol für den Klimawandel. Ein ständiges Politikum. Und jeder hier hat eine andere Meinung, wie man mit ihm umgehen soll.

Erlend Bratlie, Guide

„Die Leute kommen garantiert nicht wegen der niedlichen Fische“, sagt Erlend Bratlie und lacht. Seit über drei Jahren lebt der junge Norweger auf Spitzbergen. Seine Aufgabe ist es, Besucher durch die Arktis zu führen. „Ich finde es toll, dass jeder das erleben kann. Und Spitzbergen braucht das Geld.“

Tatsächlich hat sich in Longyearbyen während der letzten Jahrzehnte ein erstaunlicher Wandel vollzogen. Das norwegische Unternehmen Store Norske hat den Kohlebergbau größtenteils eingestellt, von hunderten Kumpeln sind nur noch wenige Dutzend übrig. Stattdessen wurden Schulen gebaut, eine Schwimmhalle, ein Kulturhaus. Mitten in der Arktis steht heute ein Vier-Sterne-Hotel, dessen Speisekarte Rückenfilet mit Kastanienkruste, geschmortes Haxenfleisch mit Marsalajus, Rote Bete, Shiitake und Knollenziest anpreist.

Warum zieht es immer mehr Menschen an diesen abgelegenen Ort mitten im Polarmeer? Erlend Bratlie bringt einen bis zum riesigen eisbedeckten Storfjord, tief in den Osten von Spitzbergen.

Dort hat der Eisbär sein Jagdrevier. Dort hat man die besten Chancen, das größte Landraubtier der Welt in freier Wildbahn zu erleben.

Er will Touristen zu Botschaftern der Arktis machen

190 Kilometer lang ist die Tour mit den Schneemobilen, sie dauert einen ganzen Tag. Der Weg führt an den tief in die Insel reichenden Fjorden vorbei, dahinter erstrecken sich verwinkelte Gletscher, von Spalten zerrissen. Bis zu tausend Meter hohe Berge stehen als Silhouetten vor dem Himmel, mit scharf gezeichneten Gipfeln und flachen Böschungen. Träge Kurven und eisige Steppen führen hinauf, dahin, wo Schnee wie zarter Nebel über den Permafrost flirrt.

Bratlie erzählt, wie Jäger und Fallen bis in die 70er Jahre hinein Eisbären den Tod und ihre Jungen in die Zoos in aller Welt brachten. Heute ist es verboten, sie aufzuscheuchen und ihnen nachzustellen. Bei Rentiergulasch, norwegischem Glühwein und knisterndem Kaminfeuer bringt Bratlie den Touristen das Jagd- und Sozialverhalten der Tiere nahe. „Wir wollen die Menschen zu Botschaftern der Arktis machen.“

Nun aber geht es zunächst weiter bis zur Küste. Durch das Fernglas sieht man Gletscher, von denen hellblaue Schollen abbrechen. Knisternd entfärben sie sich. Dazu Nunataks, kleine spitze Felsen, die aus einem Meer aus Eis ragen. Und dünne Krusten aus geschmolzenem und wieder gefrorenem Wasser. Die Sicht ist klar, der Himmel wie eine undurchsichtige Kuppel aus Türkis. Die Luft bricht die Sonnenstrahlen wie ein Prisma. So hell, scharf und leuchtend, dass die Augen tränen. Jetzt heißt es umdrehen. Eisbären sind keine zu sehen.

Jakub Moravec hatte Glück

Longyearbyen ist die nördlichste Siedlung der Welt – 1309 Kilometer bis zum Nordpol.
Longyearbyen ist die nördlichste Siedlung der Welt – 1309 Kilometer bis zum Nordpol.
© Marc Beckmann/Ostkreuz

Jakub Moravec, Tourist

Jakub Moravec ist dem König der Arktis näher gekommen, als ihm lieb ist. Eigentlich wollte der 37-jährige Tscheche nur mit seinen Freunden auf Skiern die Insel erkunden und die heimischen Tiere in freier Wildbahn erleben. Jetzt kauert der Fotograf auf dem orangenfarbenen Ledersofa im Foyer des Krankenhauses von Longyearbyen.

Zuerst möchte er nicht über den Vorfall sprechen. Viel hat er schon dazu gesagt. Vielleicht zu viel. Noch laufen die Untersuchungen der örtlichen Behörden. Dann erzählt er doch, in gebrochenem Englisch.

Vor vier Tagen sei es passiert, kurz vor Sonnenaufgang, irgendwo knapp 40 Kilometer draußen vor der Stadt. Mitten im Schlaf bricht etwas Großes, Schweres durch die Wand seines Zeltes, zieht Moravec im Schlafsack nach draußen, schlägt auf Brust und Gesicht ein, beißt sich im rechten Unterarm fest.

Der Mann schreit um Hilfe, versucht sich zu schützen. Seine Begleiter stürmen herbei, schießen dreimal auf das Tier. Eine der Kugeln dringt in den Hals ein, bleibt im Nacken stecken und treibt den Eisbären in die Flucht.

Der Eisbär wurde von den Behörden erschossen

In den vergangenen 40 Jahren endeten auf Spitzbergen fünf solcher Angriffe tödlich. Eine junge Studentin starb, ebenso wie ein österreichischer Tourist, ein Guide und ein Telegrafist. Zuletzt wurde 2011 ein britischer Teenager im Zeltlager totgebissen.

Jakub Moravec hatte Glück. Er hat ein paar Kratzwunden und Blutergüsse davongetragen. Die Bisswunde im Arm schmerzt, ist aber nicht entzündet. Mehr nicht.

Der Eisbär wurde von den Behörden erschossen. „Ich habe das nicht gewollt“, beteuert Moravec. Seine Augen werden feucht. In seiner Heimat engagiere er sich für die Umwelt, für den Tierschutz. In seinem letzten Job vor der Reise nach Spitzbergen hat er Braunbären in einem Nationalpark fotografiert.

Dass seine Gruppe unvorsichtig gewesen sei, den Vorfall provoziert habe, glaubt er nicht. „Ich kenne mich schließlich aus in der Natur“, stammelt er und tippt hektisch in die Übersetzungs-App seines Smartphones, bis er das richtige Wort gefunden hat.

„Notwehr“ steht auf dem Bildschirm.

So etwas haben Forscher nie zuvor gesehen

Aussicht auf Longyearbyen vom Gipfel des Sverdruphamaren.
Aussicht auf Longyearbyen vom Gipfel des Sverdruphamaren.
© Marc Beckmann/Ostkreuz

Jon Aars, Biologe

Wenn einer wissen muss, wie Eisbären ticken, dann Jon Aars. Aars ist weltweit einer der führenden Experten auf dem Gebiet. Er arbeitet im Norwegischen Polarinstitut, das auf dem Campus des Universitätszentrum UNIS am Rande von Longyearbyen steht.

Aars verpackt gerade Sonden und Messgeräte in verbeulte Metallkisten. Jedes Frühjahr kommt er nach Spitzbergen. Dann fliegen er und ein paar Kollegen mit einem Helikopter in die weiße Wildnis. Vier Wochen lang spüren die Wissenschaftler Polarbären auf, betäuben sie, nehmen Proben von Haaren, Blut und Speichel.

Außerdem markieren sie die Tiere mit Nummern und Farben, heften ihnen Licht- und Wärmesensoren an. „Die gesammelten Daten geben uns viele Informationen über den Gesundheitszustand der Bären“, erklärt Aars. „Außerdem hoffen wir, mehr über ihre Bewegungsmuster zu erfahren und darüber, wie sie das Meereis für ihre Wanderungen nutzen.“

Seit 13 Jahren ist Jon Aars auf der Suche nach Antworten auf seine Fragen. Gefunden hat er noch keine. Zu lange dauert das Erfassen aussagekräftiger Daten, zu wenige Ressourcen stehen ihm zur Verfügung.

2015 ging das Foto eines abgemagerten Eisbären um die Welt

Aber der Forscher ist besorgt. Der Klimawandel und sein Einfluss auf das Polarmeer sind extrem. Im Sommer 2012 waren nur noch knapp dreieinhalb Millionen Quadratkilometer von Eis bedeckt. In den letzten 20 Jahren verschwand eine Fläche achtmal so groß wie Deutschland.

Mit ihr schrumpft der Lebensraum der Polarbären. Geht das Eis zurück, können die Bären im Winter erst später mit der Jagd nach Robben beginnen. Und müssen früher aufhören. Dann sind ihre Fettreserven für den Sommer knapp.

Im Frühjahr 2014 haben Aars und seine Kollegen einen Eisbären dabei beobachtet, wie er zwei Delfine riss, die sich in die Arktis verirrt hatten. Der Bär tötete die Tiere, fraß eines auf der Stelle und schleifte das andere mit in seine Höhle unter der Schneedecke. So etwas hatten die Forscher noch nie zuvor gesehen. Und im Herbst 2015 ging das Foto eines völlig abgemagerten Eisbären um die Welt.

Jon Aars wundert es nicht, dass die Tiere ihre Scheu vor den Menschen zunehmend verlieren. So wie in Longyearbyen. „Sie sind ausgehungert und verzweifelt. Da ist ihnen jede Beute recht. Und wenn sie erst einmal Witterung aufgenommen haben, sind sie nicht mehr zu bremsen.“

Ein Menschenleben zählt mehr als das eines Tieres

Spitzbergen heißt auf Norwegisch "kalte Küste", seine fünf Hauptinseln erstrecken sich über 62 000 Quadratkilometer.
Spitzbergen heißt auf Norwegisch "kalte Küste", seine fünf Hauptinseln erstrecken sich über 62 000 Quadratkilometer.
© Marc Beckmann/Ostkreuz

Frede Lamo, Schießlehrer

Für den Ernstfall hier ist ein kleiner Mann mit kurz geschorenen Haaren, breitem Kreuz und flauschigem Strickpullover zuständig.

Frede Lamo arbeitet im Logistikteam von UNIS. Er ist auch Leiter des Schießstandes. Jeder, der länger auf der Insel bleibt, muss bei ihm einen Sicherheitskurs durchlaufen.

Heute soll er eine fünfköpfige Forschungsgruppe unterrichten; Mathematiker und Physiker aus Norwegen und Irland, die die Bewegung von Wellen unter dem Packeis erforschen wollen und sich dazu weit hinaus auf den Tempelfjord wagen. Mit acht Schüssen sollen sie lernen, wie man ein Gewehr benutzt. Keiner von ihnen hatte je ein echtes in der Hand.

Wer hier nicht aufpasst, riskiert den Tod

Während Lamo seinen weißen Bus die verschneiten Serpentinen westlich von Longyearbyen hochquält, erzählt er, dass das Tragen von Waffen außerhalb der Ortschaften Gesetz ist. Gegen Vorlage eines entsprechenden Scheins oder eines Führungszeugnisses kann sich jeder eine Waffe leihen.

„Im Zweifel zählt das Leben eines Menschen mehr als das eines Tieres.“ Der Bus hält auf einem kleinen Plateau unterhalb des Gipfels. Ein flacher roter Holzschuppen mit grünen Fensterläden lehnt sich in den eisigen Wind. Im Inneren stehen zwei Reihen Stühle, ein Tisch, dazu ein Flipboard, an dem Bilder von Polarbären hängen.

Die Einführung ist schnell und humorlos. Wer hier nicht aufpasst, spielt mit seinem Leben.

„Wenn ihr den Bären nicht mit der Leuchtpistole verscheuchen könnt, müsst ihr echte Munition verwenden.“ Lamo wiegt eine Ruger Kaliber .30-06 in seinen Händen. Es ist die meistbenutzte Waffe auf Spitzbergen. Hohe Durchschlagskraft, harter Rückstoß – aber nutzlos ohne das entsprechende Wissen.

Der Treffer muss sitzen

Der Schießlehrer verweist auf die dicke Knochenstruktur im Schädel der Eisbären und auf die 40 Stundenkilometer, die ein gesundes, kräftiges Tier auf kurzer Distanz erreichen kann. „Das ist so, als wolltet ihr einen fahrenden Zug erschießen.“

Mit einem dicken roten Stift malt Lamo einen Kringel auf eines der Poster. Dorthin, wo bei den Tieren Lunge und Herz liegen. Der Treffer muss sitzen. Wer wirklich schießen muss, hat keine Zeit zum Nachladen.

Dann geht es in die Baracke nebenan. Durch die Rolltore ist in 35 Meter Entfernung eine Reihe von Zielscheiben zu erkennen. Die Schüler schieben die vier Winchester-Patronen in die Kammer, wuchten den Bolzen nach vorne und legen sich auf den frostigen Boden, entsperren die Sicherung, atmen tief aus und ziehen am Abzug.

Bamm! Bamm! Bamm! Bamm!

Zwei Salven donnern durch die Schlucht, bis ihr Echo in der Unendlichkeit der Berge verhallt.

Frede Lamo lächelt.

Wer die Bären verschreckt, bricht das Gesetz

Eisbärenfell drapiert im Konferenzsaal vom Sysselmann.
Eisbärenfell drapiert im Konferenzsaal vom Sysselmann.
© Marc Beckmann/Ostkreuz

Jens Saether, Vize-Gouverneur

Jens Olav Saether steht am Fenster und schaut hinaus auf die Barentsee, die über die Ufer des Adventfjordes vor Longyearbyen schwappt. Sein lichtdurchflutetes Büro liegt auf einem Hügel über der Stadt, an der Wand hängt ein Gemälde des norwegischen Königspaars.

Heute, knapp eine Woche nach dem Eisbärenangriff, tut sich der freundliche Mann schwer mit Lächeln. Saether ist der Stellvertreter des Sysselmanns, des Gouverneurs von Spitzbergen. Er ist verantwortlich für Polizei, Feuerschutz und Rettungsdienst. Seine Leute waren es, die dem verwundeten Tier den Gnadenschuss versetzt haben. Seit Jahren musste kein Eisbär erschossen werden.

Die Einheimischen suchen einen Sündenbock

In der Stadt gibt es nur noch ein Thema und das wird hitzig diskutiert. Wegen der Sonnenfinsternis tummeln sich Reporter aus aller Welt auf der Insel. Auch über den Angriff schreiben sie gern. Die „Svalbard Posten“ hat groß über den toten Eisbären berichtet, der jetzt blutverschmiert in einer Lagerhalle liegt.

Die Einheimischen suchen einen Sündenbock. Die Touristen hätten sich leichtsinnig ins Jagdrevier des Bären begeben, heißt es. Man habe keine ordentliche Nachtwache gehabt, die Kochstelle zu nah an den Schlafplätzen aufgestellt und keinen Alarmdraht gespannt.

Auf Facebook kursiert ein Foto des Tieres. „I am dead because of a stupid tourist“ steht darunter. Saether überlegt lange, bevor er Stellung bezieht, wählt seine Worte mit Bedacht.

Man werde nicht vorschnell urteilen. „Bei so einem Vorfall sind viele Gefühle im Spiel, viel Ärger und Wut. Da wird gerne mal was aufgebauscht.“ Bewiesen seien die Vorwürfe nicht. Erst einmal müsse man den Fall untersuchen, alle Fakten kennen, Beweise sammeln.

Seine Behörde würde die Touren am liebsten verbieten

Saether ist jetzt der Anwalt des Eisbären. Aber einen gesetzlichen Rahmen für so einen Fall gibt es nicht. Wer die Tiere verschreckt, bricht das Gesetz. Wer sie ohne Gefahr für das eigene Leben erschießt, begeht Mord. Der Rest ist rechtliche Grauzone.

Die Forderung der Bevölkerung nach strikteren Regeln beeindruckt Jan Olav Seather nicht. „Jeder Ausflug außerhalb der Stadt muss von uns genehmigt werden. Und jeder Reisende wird ausführlich über die Gefahr durch Eisbären informiert. Mehr können wir nicht tun.“

Am liebsten würde seine Behörde die Touren ganz verbieten, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Und aus den vielen einzelnen Schutzgebieten einen riesigen zusammenhängenden Nationalpark machen.

Noch ist nichts passiert. Zu bedeutend ist der Eisbär für die örtliche Wirtschaft. „Wir sind uns des Ernstes der Lage bewusst“, sagt Saether. „Mit steigenden Touristenzahlen wächst auch das Risiko weiterer Zwischenfälle.“ Der Mensch ist dem Eisbären auf den Pelz gerückt.

"Stay cool. Stop Global Warming"

Der Bär grüßt. Hier im Krankenhaus in Longyearbyen, leider nur ausgestopft.
Der Bär grüßt. Hier im Krankenhaus in Longyearbyen, leider nur ausgestopft.
© Marc Beckmann/Ostkreuz

Berit Vatvik, Öko-Aktivistin

Dafür, dass Berit Vatvik nicht viel Zeit hat, redet sie viel. Über die Förderung von Öl, Überfischung, ausländische Investoren, zu lasche Regulierungen oder die drei neuen Hotels, die gerade in Longyearbyen gebaut werden. „Ich bin keine Fanatikerin. Aber viele vor Ort haben ein Problem mit meiner Einstellung.“

Sie sitzt in der hellen, holzgetäfelten Wohnstube ihres kleinen Hofes, der knapp einen Kilometer südöstlich der Stadt liegt. In dem Raum steht ein Klavier, an den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Fotos von eingeschneiten Zelten und Hunden in arktischer Weite. Auf dem Schrank in der Ecke liegt eine Mütze, in die ein Polarbär mit Sonnenbrille und Sprechblase gestickt ist. „Stay cool. Stop Global Warming“.

Vatvik gehört das Svalbard Villkmarkssenter, ein Anbieter für Huskytouren. Seit 40 Jahren lebt sie auf Spitzbergen. Als sie hierherzog, war vieles anders. Wer nicht vorbereitet war, wurde direkt wieder in den nächsten Flieger nach Hause gesetzt.

Heute darf jeder kommen. „Es wird gerne vergessen, dass wir auf Spitzbergen alle Fremde sind. Wenn wir Menschen dazu bestimmt wären, in diesen Regionen zu leben, wären wir mit Fell auf die Welt gekommen“, sagt sie.

Kein Helm, kein Visier - nur so hört man die Natur

Draußen vor der Tür, zwischen Schlitten, Hundehütten und Zwingern, spielt ein kleines Mädchen mit einem schneeweißen Welpen. „Ich finde es wichtig, dass die Menschen hinausgehen in die Wildnis“, sagt Vatvik und hebt den Zeigefinger. „Aber sie sollen es verantwortungsvoll tun.“

Sie selber nimmt nie mehr als fünf Gäste mit auf Schlittentour. Bis zu einer Woche ist sie dann unterwegs. Langsam, nachhaltig. Das ist ihr wichtig. Nicht nur für die Umwelt, auch für das Erlebnis. Ohne Helm, ohne Visier, ohne Motorenknattern. Begleitet vom Hecheln der Huskys, dem Singen des Windes und dem Knirschen des Schnees. „Nur so kann man die Natur hören, sie verstehen, sich wieder mit ihr verbunden fühlen.“

Schon oft ist sie auf ihren Touren Eisbären begegnet. Zum Greifen nah, sprichwörtlich. Angst hatte Vatvik nicht. Auch schießen, wie man es bei Frede Lamo lernen kann, musste sie noch nie. „Wir haben ja unsere Hunde, die unser Camp beschützen.“

An ihr allererstes Erlebnis mit einem Eisbären erinnert sich Berit Vatvik noch sehr genau. „Wir waren damals auf Skiern unterwegs und stießen auf eine frische Spur. Es war nachts, bei Vollmond und Neuschnee. Rundherum nur Stille.“

Aber sie waren sich sicher, in der Ferne noch das Stampfen hören zu können. Um die Magie der Arktis zu spüren, musste Berit Vatvik dem Eisbären gar nicht begegnen.

Dieser Text erschien zuerst im Abenteuermagazin „Free Men’s World“. Die aktuelle Ausgabe mit weiteren Reportagen ist jetzt am Kiosk erhältlich.

Reisetipps für Spitzbergen

ANREISE

Flug von Berlin Tegel oder Schönefeld ab 342 Euro nach Longyearbyen. Alle Flüge machen einen Zwischenstopp in Oslo.

ÜBERNACHTEN

Die Edelvariante: „Spitsbergen Hotel“. Das liegt zwar etwas außerhalb des Zentrums, auf einer Anhöhe, aber vom Speisesaal aus hat man einen guten Blick über die Stadt, die umliegenden Hügel und den Fjord. Außerdem ist das Essen fantastisch. Sehr gemütlich ist auch die hoteleigene Funken Bar mit ihrem holzgetäfelten Salon und den schweren alten Ledermöbeln. Einzelzimmer ab 146 Euro, Doppelzimmer ab 162 Euro. spitsbergentravel.com/start/accommodation/spitsbergen-hotel/

Die günstige Alternative: Noch weiter außerhalb des Zentrums von Longyearbyen, aber immer noch gut zu Fuß erreichbar, liegt das „Coal Miners’“. In der ehemaligen Unterkunft für die Minenarbeiter gibt es heute deftiges Essen, würziges Craft Beer und laute Musik. Vor allem für junge Leute zu empfehlen. Ganz in der Nähe befinden sich die „Coal Miners’ Cabins“. Für die Zimmer stehen dort insgesamt acht Gemeinschaftsbäder zur Verfügung. Einzelzimmer ab 121 Euro, Zweibettzimmer ab 162 Euro. spitsbergentravel.com/start/food/coal-miners-bar-grill

UNTERNEHMEN

Als Einstieg empfiehlt sich ein Besuch im Svalbard Museum. Die Ausstellung ist toll aufbereitet, mit ausgestopften Tieren, Exponaten aus der Zeit von Spitzbergens Entdeckung, Besiedlung und des Kohleabbaus.svalbardmuseum.no

Ein Muss für Spitzbergenbesucher sind Berit Vatviks Hundeschlittentouren. Die Anbieterin ist eine faszinierende Person, steht für einen verantwortlichen Umgang mit der Umwelt und hat aufregende Geschichten zu erzählen.svalbardvillmarkssenter.no

Laslo Seyda

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