Kolumne: Angie Pohlers sucht die Liebe: Allein ist man besser zu zweit
Fest zusammen? Das fragt nur, wer unter Quäkern aufwuchs. Warum alle plötzlich lieber als Mingles leben wollen.
Es gibt da dieses Paar, das ich kenne. Anna und Moritz. Sie treffen sich seit etwa einem Jahr. Das Wort „treffen“ ist wichtig, denn zusammen sind sie auf – gar – keinen – Fall. Beide versichern sich gegenseitig, wie frei sie und wie blöd Beziehungen sind. Ah ja. Kurze Bestandsaufnahme: Seit Monaten daten sie keine anderen Menschen, sehen sich mehrfach pro Woche. Anna gibt Moritz Salbe für seine Brandwunde, er schenkt ihr eine Obstschale, handgetöpfert. Der erste gemeinsame Urlaub ist gebucht. Aber als er sie einem Bekannten als „meine Freundin“ vorstellte, guckte sie ihn schief an. „Was sollte denn das?“ Moritz winkte ab. „War leichter so.“
Moritz und Anna haben keine gespaltenen Persönlichkeiten. Zumindest hat das noch kein Arzt diagnostiziert. Die beiden sind vielmehr Beispiel für ein Phänomen, das ich häufiger in meinem Soziotop von Menschen um die 30 beobachte. Die Furcht vor der klassischen Beziehung, obwohl man längst drinsteckt.
Es geht hier um eine verschärfte Form des „Mingle“. Die Wortschöpfung kam vor ein paar Jahren auf und bezeichnet Singles, deren Beziehungsstatus eigentlich „mixed“ ist und Elemente einer Beziehung enthält. Nun gibt es aber auch Nicht-Paare, die eindeutig Paare sind, es aber nicht sein wollen. Warum? Vielleicht liegt es am Imperativ der Generation Tinder: Habe Mut, dich deiner Freiheit zu bedienen. „Fest zusammen“ klingt dagegen wie: verklebt, verzahnt, verklemmt. Wer will das schon?
"Über so was reden wir nicht"
Tatsächlich erfordert es mitunter Mut, sich und anderen zu gestehen, hey, ich mach jetzt das, was auch schon meine Eltern und Großeltern vor mir gemacht haben. Einfach weil ich Pizzaessen bei Netflix und Kerzenschein mit genau dieser Person am liebsten mag und dafür sogar ihren Mundgeruch oder seine schlechte Laune vor dem Frühstück in Kauf nehme. Wenn es sein muss sogar den Verlust eines Stücks meiner Freiheit.
Bei Paul, einem guten Freund, war es bis zu dieser Erkenntnis ein langwieriger Prozess. Lange hatte er sich mit Frauen getroffen, die oft eher einen Therapeuten gebraucht hätten als ihn. Er amüsierte sich und zog weiter, wenn es kniffelig wurde.
Irgendwann kam Mara. Unkompliziert, lustig, raucht wie ein Schlot und sieht aus wie eine Blume. Sie verbrachten bald jede freie Minute zusammen und kochten Gerichte, für die man Gewürze kaufen muss, die man nie wieder benutzt. Ausstellungen, Spaziergänge, das volle Programm. Die Wochen und Monate vergingen, irgendwann traf ich Paul, als sie mal nicht dabei war. Aus seinem Mund kam trotzdem nur: Mara, Mara, Mara. Ich wusste nicht, wann ich ihn das letzte Mal so verliebt erlebt hatte. „Seid ihr zusammen?“ Paul hustete. „Das spielt doch keine Rolle, über so was reden wir nicht.“ Sein Gesichtsausdruck sagte: Das fragt nur, wer unter Quäkern aufwuchs. Ich biss mir auf die Zunge.
In Berlin kann man alles haben
Doch wer schämt sich hier wirklich? Paul fühlte sich offenbar ertappt (er ist nun übrigens mit Mara zusammen). Und Anna und Moritz geht es vor allem um ihr Selbstbild – unabhängig, unkonventionell –, das an den formalen Single-Status gekoppelt ist.
Wie schön, dass wir in Berlin alles haben können. Die halbe Stadt nutzt Dating-Apps, es gibt Darkrooms in Mainstream-Clubs, Stammtische für Polyamore und den neuen Nachbarn mit den grünen Augen. Aber die Freiheit, gewöhnlich zu sein, geben wir dafür auf.
Angie Pohlers schreibt an dieser Stelle einmal im Monat über missglückte Dates, kleine Dramen und große Gefühle.
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