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Für manche ist das Smartphone ein echter Beziehungskiller.
© Getty Images/iStockphoto

Valentinstag: Liebe in Berlin: „Kein Sex ist auch Kommunikation“

"Oversexed but underfucked": Auf keine andere Stadt passt diese Diagnose so wie auf Berlin, meint Paartherapeut Robert Coordes zum Valentinstag.

Hilfe, Herr Coordes, heute ist Valentinstag. Setzen solche Leuchtturmtage die Leute unter Druck?

Immer. Valentinstag, Weihnachten, Geburtstag, da muss für die meisten alles perfekt sein. Weil das ja der Beweis nach außen ist, dass zwischen uns alles stimmt.

Tut es ja nicht, wie Sie tagtäglich erleben. Sind Berliner beziehungsunfähig?

Unsere Gesellschaft wird gern als „oversexed but underfucked“ beschrieben, dies passt sehr gut auf die Stadt. Alles ist scheinbar möglich, jeder kann sich frei definieren, überall gibt es Sexshops mit bunten Dildos. In einer Zeit, in der wir denken, durch Apps und Toys Erfüllung zu erlangen, empfinden viele Menschen innere Leere. Wir haben nicht gelernt, uns mitzuteilen, Beziehungen zu führen.

Wie lerne ich das denn? Sollte man das als Schulfach einführen?

Das wäre großartig. Ein Fach, in dem man Sexualität auch als Mittel der Kommunikation verstehen lernt. Damit sie nicht zur Ware verkommt, die man hat oder nicht hat. Ich erlebe in meiner Praxis massive Sprachlosigkeit in Beziehungen. Viele denken: Über dies oder das spricht man nicht, da gibt es viele Tabus in Beziehungen.

Aber sind Sexwünsche noch Tabus? Ist es in unserer hippen Stadt nicht eher eines, wenn es im Bett nicht läuft?

Tabus richten sich immer nach einem Ideal. In unseren Zeiten heißt das Ideal Performance. Alles muss klappen, ich kann mich optimieren, kann den tollsten Körper haben und den Idealpartner finden, wenn ich nur will. Dann ist das Tabu, nicht perfekt zu sein oder unsicher. Dass Menschen eigentlich wütend auf den Partner sind, sexuell unbefriedigt oder lustlos – das zeigt sich dann bei uns in der Praxis.

Mit welchen Problemen kommen die Leute denn zu Ihnen?

Das zentrale Thema ist und bleibt: Die Leidenschaft ist weg. Wir sind seit zehn Jahren zusammen, ein super Team, lieben uns, aber haben seit vier Jahren keinen Sex mehr. Oder: Etwas ist passiert. Fremdgehen, Seitensprung. Dann gerät das, was vorher an Beziehung da war, in die Krise.

Und wie helfen Sie den Hilfesuchenden?

Wir verwirren das Beziehungsmodell und schaffen dadurch Luft für Neues. Viele Menschen gehen ja davon aus: Bei Euch ist Flaute im Bett? Dann redet doch mal miteinander! Das ist nicht meine Sichtweise. Keinen Sex zu haben, ist ja auch Kommunikation. Man liegt nebeneinander im Bett und hat keine Lust. Aber: Worauf konkret nicht? Wenn wir nachfragen, kommen Dinge wie: Weil es immer das Gleiche ist, weil wir immer streiten im Alltag, weil ich mich zu dünn oder dick oder zu sonst was finde. Die Paare sind eigentlich wütend aufeinander, finden den Sex eklig oder langweilig.

Das tut weh.

Oh ja. Es ist nicht schön zu hören: Ich will keinen Sex mit dir haben, weil es immer nach Schema F läuft. Wir finden Selbstständigkeit interessant. Ist der andere unabhängig von uns, finden wir ihn heiß. Und im Rahmen einer Beziehung werden wir gegenseitig zu Satelliten, denken: Ach, jetzt weiß ich schon, was die will, jetzt weiß ich schon, was der gleich im Bett macht. Dadurch werden Partner uninteressant und die Erregung nimmt ab.

Und was kann man da tun?

Wenn das ausgesprochen wird und der Partner das aushalten kann, entsteht plötzlich wieder Respekt. Und dadurch eine gewisse Erregung.

Wenn es aber schon so weit gekommen ist, einer fremdgegangen ist, ist dann Beziehungsarbeit auf Augenhöhe überhaupt möglich?

Beim sogenannten Fremdgehen gibt es unterschiedlichste Reaktionen. Viele Paare durchleben nach einem Seitensprung einen zweiten Frühling. Andere hingegen kämpfen mit Begriffen wie „Betrogenwerden“ und „Vertrauen“. Bei diesen Paaren muss dann nachvollzogen werden, wie es zum Ausbruch kam. Etwa: Der Partner ist seit fünf Jahren schon unzufrieden, tut aber so, als sei alles in Ordnung. Und hat dann eine Affäre. Das tut richtig weh. Weniger die Affäre selbst, sondern die Nichtkommunikation davor. In solch einer Situation entscheiden sich viele Paare für eine Öffnung der Beziehung.

Die berühmte offene Beziehung. Ist Polyamorie ein Trend in Berlin?

Ich kenne keine Stadt, in der dieses Thema präsenter ist. Ich gebe auch viele Fortbildungen in anderen Städten. Viele kennen zwar die Begriffe, aber gelebt wird es nirgends wie hier.

Warum in Berlin?

Tja. Soziologen würden von Wertewandel sprechen. Zumindest in Deutschland gibt es wohl kaum eine Stadt mit einer größeren Auswahl an verschiedenen Werten, so bunt und vielfältig.

Aber es braucht schon ordentlich Selbstsicherheit, um mich für meinen Liebsten zu freuen, wenn er einen schönen Abend mit jemand anderem hat?

Klar, es wird rumoren. Für eine offene Beziehung brauchen wir eine gute Beziehung zu uns selbst, zu unseren Ängsten und Abgründen, unseren kindlichen Gefühlen wie Eifersucht. Aber stellen Sie sich mal vor, Sie würden sich jetzt in einen anderen Menschen verlieben, das kann man sich ja nicht immer aussuchen. Was wollen Sie machen? Wenn Sie das mit dem neuen Partner beenden, kehren Sie ängstlich in die Kernbeziehung zurück und fantasieren vielleicht immer herum, wie es mit dem anderen gewesen wäre. Und wenn Sie Ihre erste Beziehung beenden, wird es Ihnen ähnlich gehen. Eine Zwickmühle, für die eine emotionale Lösung gefunden werden.

Gibt’s da auch noch eine andere außer Beziehungsöffnung? Wenn Berlin so ein Liebestöter ist – müssen wir jetzt alle nach Brandenburg ziehen?

(lacht) Es ziehen ja schon alle nach Brandenburg! Ob das allerdings eine Lösung ist, weiß ich nicht. Schließlich nehmen wir uns ja immer mit.

Robert Coordes, 44, ist Diplom-Psychologe, leitet das Berliner Institut für Beziehungsdynamik in Schöneberg und arbeitet dort als Paar- und Sexualtherapeut.

Robert Coordes, Diplom-Psychologe und Paar- und Sexualtherapeut.
Robert Coordes, Diplom-Psychologe und Paar- und Sexualtherapeut.
© privat

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