Kindernotbetreuung in Berlin: Zur Not auch "Bed and Breakfast“ in der Kita
Die Notbetreuung hat sich bereits eingespielt. Falls sich die Coronavirus-Krise verschärft, könnte das Nacht- und Wochenendarbeit für Erzieher bedeuten.
Das kleine Paradies liegt an der Invalidenstraße: Eine Pforte und eine schmaler Fußweg trennen den verbliebenen Durchgangsverkehr hier in Mitte von der abgeschiedenen Welt der Kita. Vor allem Charité-Kinder werden hier betreut. Statt des üblichen Gewusels herrscht in den meisten Räumen Stille. Nur ein paar Kinder und ihre Erzieherinnen sind da. Sie spielen, toben und basteln – so wie immer.
So ist das zurzeit überall in Berlin: Die Kitas sind offen, nur eben auf Sparflamme, seitdem der Senat am 17. März die Schule, Horte und Kitas auf Notbetreuung umgestellt hat. Das Bild ändert sich allerdings täglich: „Zu Anfang waren 16 Kinder da, inzwischen kommt jeden Tag ein Kind hinzu“, beschreibt Beatrice Strübing, die Sprecherin des Trägers Fröbel e. V. die Entwicklung an ihrer Charité-Kita. Und doch: Mit den 24 Kindern vom Donnerstag war man noch weit entfernt von der Vollauslastung, zu der etwa 70 Kinder gehören.
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Die Charité-Kita ist wie gemacht für die Ziele der aktuellen Notbetreuung: Die Kinder von Medizinern und Pflegepersonal gehören zu jenen, die Anspruch darauf haben, ihre Kinder zu bringen.
Kitas kooperieren direkt mit Krankenhäusern
Somit sind alle Kitas in der Nähe von Krankenhäusern besser ausgelastet als andere Einrichtungen – und erst recht dann, wenn sie direkt mit einem Klinikum kooperieren wie die Charité-Kita in Mitte oder etwa die Kita des Trägers INA-Kindergarten GmbH am Charité-Standort in Wedding. Bis zu 80 Prozent der Kinder an solchen krankenhausnahen Einrichtungen hätten Anspruch auf Notbetreuung, wovon allerdings längst nicht alle Gebrauch machen.
Dies gilt auch für die meisten anderen Kitas: Obwohl der Senat von rund 15 Prozent Anspruchsberechtigten ausgegangen war, bringen laut Bildungsverwaltung zurzeit noch nicht einmal zehn Prozent der Eltern ihre Kinder in die Tagesbetreuung – und das, obwohl es seit vergangenem Montag sogar ausreicht, wenn nur ein Elternteil in einem systemrelevanten Beruf arbeitet. In der Folge hatten Kitas mit wesentlich mehr Kindern gerechnet, „aber der Ansturm bliebt aus“, berichten etliche Kita-Leiter.
Weitgehend gelegt hat sich in der Folge auch die anfängliche Aufregung über steigende Gesundheitsrisiken der Erzieherinnen und Erzieher infolge der Lockerung der Kriterien für die Notbetreuung – auch wenn es spontan tausende Unterschriften für eine Petition gegen diese Neuregelung gab.
GEW mahnt Hygieneartikel in der Kitas an
„Es ist doch wohl klar, dass Erzieherinnen nicht mit Mundschutz oder Gesichtsmaske die Kinder trösten können“, lautet die Einschätzung, die aus vielen Kitas zu hören ist. Das ändere allerdings nichts daran, dass die Träger sich um genügende Mengen von Seife und Einmalhandtüchern kümmern müssten, sagt Gökhan Akgün, der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Friedrichshain-Kreuzberg. Genau dies sei allerdings längst nicht überall der Fall.
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Die Erweiterung der Notbetreuung hatte verschiedene Gründe. Zum einen hängt sie damit zusammen, dass man den Polizisten, Feuerwehrleuten und Krankenschwestern, die Anspruch auf die Betreuung ihrer Kinder haben, mehr familiären Spielraum geben wollte. Zum anderen sollte damit verhindert werden, dass systemrelevant Beschäftigte wie etwa Kassierer in Lebensmittelläden oder Pfleger zu Hause bei den Kindern bleiben, weil ihre Partner mehr verdienen als sie und deshalb weiter arbeiten wollen oder müssen.
„Die Lage hat sich beruhigt“, sagt eine Neuköllner Erzieherin. Eigentlich habe man sich sehr schnell an die Notbetreuung und an die geänderten Voraussetzungen gewöhnen können.
Das Gespenst der Erzieher-Kurzarbeit ist vom Tisch
Was erheblich zur Beruhigung der Lage beigetragen hat, ist nach Ansicht von freien Trägern die Tatsache, dass die Weiterfinanzierung inzwischen gesichert ist. In den Kitas wurde seit einer Woche über harte Diskussionen zwischen Jugendsenatorin Sandra Scheeres und Finanzsenator Matthias Kollatz (beide SPD) berichtet: Es habe die Gefahr bestanden, dass Erzieherinnen, die nicht für die Notbetreuung benötigt werden, in die Kurzarbeit geschickt würden. Ein Tweet der Jugendverwaltung habe diese Angst dann überflüssig gemacht: Scheeres setzte sich durch mit der Forderung, dass alle Kitas voll weiterfinanziert werden müssten.
In Brandenburg wurde diese Entscheidung erst am Donnerstag publik: Jugendministerin Britta Ernst (SPD) verkündete, dass die Schließung von Kitas oder die Notbetreuung „keine Auswirkungen auf die Landeszuschüsse hat, auch nicht in Zukunft.“
Sabrina Weber, die Leiterin der Kita an der Charité, hatte sehr auf diese Entscheidung gehofft – und zwar nicht nur den Mitarbeiterinnen zuliebe. Vielmehr gebe es auch so genug zu tun: Die Kolleginnen würden jetzt ihre Arbeit vor- und nachbereiten und auch die Lerntagebücher vervollständigen – alles Aufgaben, die im normalen Kitaalltag mitunter zu kurz kämen. Zudem werde viel Personal gebraucht, um kleine Gruppen zu ermöglichen: Damit soll die Ansteckungsgefahr verringert werden.
„Uns ist ein riesiger Stein vom Herzen gefallen, dass Berlin die Finanzierung von Kitas und Horten auch weiterhin übernimmt – schließlich laufen unsere Kosten für Mieten und Gehälter auch während der Notbetreuung in voller Höhe weiter“, nennt Stefan Spieker, der Hauptgeschäftsführer von Fröbel, einen weiteren Aspekt. Mit dieser Entscheidung sei die Infrastruktur der Kindertagesbetreuung in Berlin „auch für die Zeit nach der Krise gesichert“.
Die Krise ist allerdings längst nicht vorbei. Im Gegenteil. Vor allem die Kitas in der Nähe von Krankenhäusern müssen darauf gefasst sein, dass sie unter Umständen auch am Wochenende oder sogar nachts öffnen müssen, falls das medizinische Personal seine Schichten aufgrund stark steigender Patientenzahlen ausweiten muss. Die Charité-Kita in Wedding ist ohnehin obligatorisch an jedem zweiten Wochenende geöffnet.
Zudem gibt es berlinweit einzelne Kitas, die auch Nachtbetreuung anbieten könnten – etwa die Fröbel-Kita am Klinikum in Berlin-Buch. „Wenn alles unter Stress gerät, dann kann es passieren, dass man am Wochenende öffnen muss oder über Nacht – das kann man sich ja vorstellen“, sagte der Kita-Referent des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Torsten Wischnewski-Ruschin, dem Tagesspiegel am Donnerstag. „Wenn es hart auf hart kommt, müssen alle mithelfen“.