Siemens-Campus in Berlin: "Wollen Freiraum, Kreativität und Diversität mit der Industrie vorantreiben"
Die Wissenschaft will aktiv am neuen Wissenschaftscampus mitwirken. Ein Gastbeitrag des Präsidenten der Technischen Universität Berlin.
Über Berlin und sein Potential wird in diesen Tagen wieder viel geschrieben. Sicherlich hängt das auch mit den Zukunftsplänen von Siemens für diesen Standort zusammen. Man merkt, dass Bewegung stattfindet und Möglichkeiten austaxiert werden. Worin liegt aber die Chance für die Spreemetropole?
Sie liegt nicht in der Reorganisation von Altem oder in der Rückbesinnung auf das Industriezeitalter. Sie liegt nicht in der Kopie von an anderen Orten Erfolgreichem. Sie liegt allein in der Kreation des Neuen gemischt mit einer Portion Mut und Selbstvertrauen.
Drei Komponenten sind dafür aus meiner Sicht wichtig. Berlin besticht durch seine Diversität, seine unterschiedlichen Kulturen und Kieze, seine Menschen mit verschiedenen Lebensentwürfen und - ja, auch – durch die Berliner Politik mit ihren divergierenden Politikstilen auf Landes- und Bundesebene. Durch diese Diversität, die nicht immer unproblematisch ist, entsteht Reibung und entsteht Neues.
Berlin ist auch die Stadt der Freiheit. Wer hätte vor 30 Jahren gedacht, welcher epochaler Umbruch bevorsteht? Dass diese erkämpfte Freiheit ihre unterschiedlichen Facetten in Berlin lebt, ist der Magnet, der Tausende kreative Köpfe aus aller Welt an die Spree zieht. Sie finden hier den Raum für ihr Leben, für ihre Ideen oder auch für die Möglichkeit, anders zu sein.
Berlin hat seine Chance nach der politischen Wende genutzt und ist nun wieder ein großer erfolgreicher Wissenschaftsstandort. Berlins Hochschulen haben sich prächtig entwickelt. Sie bilden 180.000 Studierende aus, betreiben Forschung auf höchstem Niveau, sind international begehrte Partnerinnen und arbeiten effektiv.
Wie kann daraus nun Neues entstehen und wie muss die Politik reagieren?
Das Neue entsteht an der Schnittstelle zwischen den Menschen mit ihren unterschiedlichen Biografien und Wissen. Sie benötigen die Freiheit für ihre Entfaltung. Diesen Freiraum finden sie an unseren Universitäten. Egal, ob es Studierende sind, Forschende oder diejenigen, die ihr eigenes Unternehmen gründen. Immer häufiger öffnen wir den Freiraum Universität auch für Menschen, die als Bürger, als Politiker oder als Künstler Probleme lösen wollen. Das wirkt in die Stadtgesellschaft und prägt sie. In diesem Mix sehe ich das Fundament für die Wissensgesellschaft. Die Politik ist aufgerufen, den Rahmen für diese freie Entfaltung zu sichern.
Mit der Digitalisierungsoffensive aus der Berliner Wissenschaft heraus ist das sehr gut und schnell gelungen. Am Anfang stand eine mögliche Olympiabewerbung. Aus der Ablehnung der Berliner für dieses Projekt gab es den Gedanken, etwas wirklich Zukunftsträchtiges zu schaffen. 100 IT-Professuren wurden vorgeschlagen. Das Ergebnis wird international viel beachtet: ein Einstein Center Digital Future mit anvisierten 55 Professuren für die Digitalisierung und rund 40 Millionen Euro sowie das Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft mit 50 Millionen Euro entstanden. Neben den Berliner Universitäten und außeruniversitären Instituten waren daran Wirtschaft, Politik und Ministerien beteiligt.
Dieses Modell sollten wir weiter verfolgen. Auch und vor allem mit Siemens.
Wir wissen, wie es geht, und es gibt viele, die diesen Weg gehen wollen. Die TU Berlin, die Fraunhofer Gesellschaft und die Bundesanstalt für Materialforschung sind seit Längerem mit Vertretern der Führungseben von Siemens im Gespräch, ebenfalls der Senat. Wir wollen aktiv an dem neuen Industrie- und WissenschaftsCampus Berlin (IWCB) mitwirken, der der Siemensstadt eine neue Zukunftsperspektive geben wird. Viele unserer Fachgebiete kooperieren bereits intensiv mit der Industrie. Mit dem Senat von Berlin wollen wir damit moderne Industrie-Arbeitsplätze sichern und jungen Menschen die Chance geben, im Rahmen ihrer universitären Bildung die Herausforderungen von großen Unternehmen kennen zu lernen. Wir wollen gleichzeitig auch junge Firmengründer fördern. Hier soll etwas Neues entstehen.
Themen, die Wissenschaft, Start-ups und Industrie dabei angehen können, sind u.a. die Berechnung von digitalen Zwillingen, neue Materialien oder der 3D Druck, der in Zukunft eine wesentliche Rolle bei der Herstellung von maßgeschneiderten Produkten auch in kleinen Stückzahlen spielen wird.
Diese Herausforderung liegt uns, wir wollen unseren Freiraum, die Kreativität und Diversität unserer Menschen auch mit der Industrie vorantreiben. Konkrete Gespräche mit Siemens, der Bundeskanzlerin und dem Wirtschaftsminister hat Berlins Regierender Bürgermeister bereits geführt. Ich bin mir sicher, dass er ähnlich wie bei der Digitalisierungsoffensive unsere Initiative tatkräftig unterstützen wird. Eine Alternative sehe ich nicht.
Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Christian Thomsen, Präsident der Technischen Universität Berlin.
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Christian Thomsen