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Wir schwören!
© Kitty Kleist-Heinrich

Berlin 2030 - Unserer Serie blickt in die Zukunft (3): Wo ist noch Platz für Freiraum?

Kunst und Kultur sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, aber vor allem schafft beides Identität nicht kommerzielle Freiräume zum Denken, Fühlen, Gestalten. Wird Berlin sich seine freie Kulturszene 2030 noch leisten?

Die glitzernde Spree, der weite Himmel: Die Uferterrasse des „Radialsystem V“ in Friedrichshain ist genau der richtige Ort, um Zukunftsvisionen für die „Kulturmetropole Berlin“ zu entwickeln. Dass die Stadt dieser Bezeichnung auch im Jahr 2030 gerecht werden will, steht außer Frage. Schon aus wirtschaftlichen Gründen, von den mindestens genauso wichtigen ideellen ganz zu schweigen. Immerhin sind fünf von sieben Gründen, Berlin zu besuchen, kultureller Natur, wie die Stadtvermarkter von „Visit Berlin“ herausgefunden haben.

Ein Satz, den auch der Kulturunternehmer Jochen Sandig gleich im Munde führt, wenn er den Grund für die Attraktivität der Stadt analysiert. An der ernsten Miene, mit der der Mitgründer von Tacheles, Sasha Waltz & Guests, Sophiensälen und Radialsystem in die Zukunft schaut, ändert das nichts. Genau wie praktisch jeder Kulturschaffende, den man auf seine Prognose für die Entwicklung bis 2030 anspricht, ist auch der in der Koalition der freien Szene oder dem Rat für die Künste aktive Sandig besorgt.

Der anziehende Immobilienmarkt Berlins verdrängt Räume für Maler, Schauspieler oder Musiker. Dass es diese nach der Wende 20 Jahre lang frei verfügbar und unvergleichlich günstig gab, sei kein Ergebnis von Politik, sondern ein historisches Glück, sagt er. „Wenn das wegbricht, wird es weniger Neugründungen geben und die kreative Landschaft wird eintrocknen – ein ,Braindrain‘ in andere Städte wäre die Folge.“

In den nächsten zwei Jahren entscheidet sich laut Sandig, ob die Stadt ihre in Europa einmalige heterogene Kulturlandschaft aus gleichermaßen zentral gelegenen großen Museen und kleinen Projekträumen, Konzertsälen und Minitheatern behält.

"Wenn wir Freiräume erhalten und Fördermittel umverteilen, könnte eine Modellstadt entstehen", sagt Jochen Sandig.
"Wenn wir Freiräume erhalten und Fördermittel umverteilen, könnte eine Modellstadt entstehen", sagt Jochen Sandig.
© Kai-Uwe Heinrich

Genauer: Ob Verdrängungsmechanismen wie etwa an der Oberspree gestoppt würden und eine Mischung alternativer Kulturformen möglich sei. Noch sei es nicht zu spät, glaubt Sandig. „Wenn wir bis 2015 Kulturfördermittel steigern und punktuell umverteilen, wichtige Akteure binden, Freiräume erhalten, Migranten das Gefühl geben, willkommen zu sein, und Bürger als ,Meisterbürger‘ ermutigt werden, die Stadt mitzugestalten, könnte Berlin eine Modellstadt werden, die eine starke Inspiration für die Welt darstellt.“ Ein Kultur- und Wohnprojekt wie der in der Nachbarschaft des Radialsystems gelegene „Holzmarkt“ macht ihm Mut. Im Gegensatz zur Berliner Kulturpolitik, die seiner Ansicht nach Ideen – „das Gold der Stadt“ – und Engagement der Kreativen einfach so hinnimmt und für die Außenwerbung nutzt, ihre Wertschätzung aber nicht durch systematische Kulturförderung ausdrückt.

Dazu muss man wissen: 95 Prozent der jährlich von Land und Bund in Berlin ausgegebenen Kulturfördermittel in Höhe von knapp 758 Millionen Euro (2012) gehen an Institutionen wie Museen, Orchester oder Theater. Und nur fünf Prozent als Projektförderung an die für das hippe Image der Stadt verantwortliche, auf vielfältige Weise auch mit der Kreativwirtschaft verknüpfte sogenannte freie Szene. Dass diese Aufteilung nicht mehr deren „extrem gewachsener Bedeutung“ entspricht, findet auch Alice Ströver.

Ein Senatsressort für die Kulturszene

Die ehemalige Grünen-Politikerin und jetzige Geschäftsführerin der Besucherorganisation Freie Volksbühne hat sich 30 Jahre in der Berliner Kulturpolitik profiliert und ist in vielen Punkten mit Sandig einer Meinung. Auch sie hält es für unumgänglich, in Berlin Kultur- und Stadtentwicklung zukünftig konzeptionell zusammenzudenken und am besten gleich ein Senatsressort daraus zu machen. Denn: Kulturpolitik ist Stadtentwicklungspolitik, weil sie existenziell von Räumen abhängt. Und die geplante City-Tax, auf die die Kulturszene angesichts knapper Kassenlage – unterstützt von Kulturstaatssekretär André Schmitz – ihre ganzen finanziellen Hoffnungen setzt, hat sie schon 2003 bei einem Kultursalon in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz als „Kulturtaxe für Berlin“ ins Spiel gebracht.

Dass dieses mittelbar durch die kulturelle Strahlkraft der Stadt erwirtschaftete Geld zumindest teilweise dorthin zurückfließen muss, ist Konsens unter Kulturschaffenden. Nicht nur, weil es die Stadt auch 2030 leuchten lässt, wenn nach den Wellengesetzen des Marktes und der Moden auch der langlebigste internationale Berlin-Hype abgeflaut ist, sondern auch ihrer Bewohner wegen. „Berliner nutzen die Kulturangebote ihrer Stadt doppelt so häufig wie der Durchschnittsbundesbürger“, sagt Ströver. Und die dürften auch gern weiter im eigenen Kiez liegen. Sie sähe es gern, dass eine gleichermaßen in der Nachbarschaft wie stadtweit eingeführte Institution wie die Amerika-Gedenkbibliothek am Blücherplatz zur neuen Zentral- und Landesbibliothek ausgebaut würde, statt 270 Millionen Euro für einen Prestigebau auf dem Tempelhofer Feld auszugeben. „Wenn man Kulturweltstadt sein will, muss man mehr Geld in Köpfe stecken statt in Beton.“

Das unterschreibt auch Ellen Blumenstein. Die neue Chefkuratorin der Kunst-Werke in Mitte ist Mitglied im Rat für die Künste und hat mit dem „Salon Populaire“ samt der Veranstaltungsreihe „Haben und Brauchen“ eine Aktionsplattform für bildende Kunst und Stadtpolitik mitinitiiert.

Blumenstein schüttelt nur den Kopf darüber, dass der Senat es ablehnt, der Vielfalt und Dynamik der Kulturszene mit einem zukunftsweisenden Konzeptionspapier eine Richtung geben zu wollen. „Ein Kulturentwicklungsplan für Berlin ist wichtig, weil man Fernziele braucht“, sagt sie. Keinen zu haben, sieht sie als Symptom für mangelnden politischen Gestaltungswillen. „Berlin lebt davon, Hauptstadt der Künstler und Kreativen zu sein, also muss die Stadt auch Verantwortung für deren Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten übernehmen.“

"Ich bin der Meinung, ein Kulturentwicklungsplan für Berlin ist wichtig, weil man Fernziele braucht", sagt Chefkuratorin der Kunst-Werke in Mitte, Ellen Blumenstein.
"Ich bin der Meinung, ein Kulturentwicklungsplan für Berlin ist wichtig, weil man Fernziele braucht", sagt Chefkuratorin der Kunst-Werke in Mitte, Ellen Blumenstein.
© Doris Spiekermann-Klaas

Blumensteins Prognose für 2030 ist nicht rosig. Und zwar nicht nur, weil trotz des Atelierprogramms des Senats junge Künstler sich dann keine Ateliers mehr innerhalb des S-Bahn-Rings leisten könnten. Berlin sei ein Seismograf für die Kunstproduktion, sagt sie. „Kunst, die sich ernsthaft mit gesellschaftlichen Entwicklungen auseinandersetzen will, wird es hier zukünftig schwerer haben.“ Dabei sei sie einer der letzten Bereiche, der nicht nur nach ökonomischen Kriterien funktioniert. Das mache ihn so bedeutsam für die Zukunft. „Hier vergewissern wir uns, wer wir sind. Hier erfinden wir Visionen für die Stadt.“ Doch die Berliner Museen und Theater verlieren sich immer mehr in Eventkultur, sagt sie.

Das wiederum hält Markus Pabst für eine Chance. Der Showentwickler, Regisseur und Gründer der Kreuzberger Artisten-Plattform Base Berlin wird mit seinen Leuten auf dem Holzmarkt-Gelände eine neue Probehalle beziehen. Er glaubt, dass die etablierte Kultur in Berlin weiter von den Ideen lebt, die die Subkultur schafft. Und dass „die Übergänge zwischen Kultur und Party zukünftig immer mehr verschwimmen, deswegen geht das Staatsballett ja auch ins Berghain“. Auch er hofft, dass die Förderung, bei der wie von selbst jedes Gespräch über Kultur endet, zugunsten der Ideengeber in der freien Szene umgeschichtet wird. Er selber hätte davon nichts. „Wir haben noch nie danach gefragt und sind allein vom Interesse des Publikums abhängig.“ Angst in einem auch von ihm – je nach Lesart als normalisiert oder gentrifiziert – eingeschätzten Berlin des Jahres 2030 als Kulturschaffender unterzugehen, hat er nicht. „Es sollen so viele Leute wie möglich herkommen. Nicht nur, weil sie sich Shows ansehen, sondern, damit der Kreativpool größer wird. Das ist das Beste für die Kunst.“

Planung des Berliner Senats: Kultur kann sich rechnen - muss aber nicht

VIELFALT 2030

Das Stadtentwicklungskonzept 2030 des Senats befasst sich nur auf einer einzigen Seite mit der Kulturlandschaft Berlins. Festgestellt wird die wichtige Funktion von Kultureinrichtungen, von Baukultur und vielfältiger kreativer Szene „bei der Integration und Identitätsbildung der Stadtgesellschaft“. Stärken und Chancen böten etwa die „herausragenden Museen, Theater, reiches baukulturelles Erbe, hochwertige Architekturbauten, touristische Attraktionspunkte, postindustrielle Freiräume für kreative Nutzung, das Image des kulturellen Reichtums als Standortfaktor, die Kunst- und Kulturförderung“. Als Schwächen und Risiken wertet die Stadtentwicklungsverwaltung die „unzureichende finanzielle Sicherung lokaler kultureller Angebote, Kommerzialisierung und ,Eventisierung‘ des öffentlichen Raumes, Aufwertungseffekte mit Verlusten an kreativen Freiräumen und teilweise zu einseitige Ausrichtung der Kulturangebote auf Gäste statt auf Bewohner.

Schwach: Die Kommerzialisierung öffentlichen Raumes geht dem Senat gegen den Strich. Beispiel: Checkpoint Charlie.
Schwach: Die Kommerzialisierung öffentlichen Raumes geht dem Senat gegen den Strich. Beispiel: Checkpoint Charlie.
© Kai-Uwe Heinrich/ TSP

LEITBILD

Kulturstaatssekretär André Schmitz betont im Gespräch, dass Kunst, Kultur und Kreativität in Berlin einen Stellenwert haben, der höher sei als in allen anderen deutschen Städten. Sie prägen maßgeblich das internationale Image Berlins als weltoffene und vielfältige Metropole. Er wolle die Kultur aber nicht nur unter dem Kriterium des Nutzens betrachten. „Kunst legitimiert sich aus sich selbst heraus, sie darf sich rechnen, muss es aber nicht.“

ENTWICKLUNG

Einen Kulturentwicklungsplan, wie ihn viele Kulturakteure in der Stadt und die grüne Opposition fordern, lehnt der rot-schwarze Senat ab. Aufgrund des stark dynamischen Charakters und der enormen Größe und Diversität der Berliner Kulturlandschaft sei es fraglich, ob ein mit hohem Aufwand zu erstellender Kulturentwicklungsplan das angemessene Instrument zur Weiterentwicklung der Kulturlandschaft sein könne, heißt es auf eine Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 14. November 2012. Stattdessen setze man auf themenspezifische oder anlassbezogene Konzepte wie das Gesamtkonzept Berliner Mauer oder das Rahmenkonzept zur kulturellen Bildung. Damit hat man laut André Schmitz gute Erfahrungen gemacht.

Stark: Der Senat hält Berlins Museen für die größte Attraktion. Beispiel: Hamburger Bahnhof.
Stark: Der Senat hält Berlins Museen für die größte Attraktion. Beispiel: Hamburger Bahnhof.
© dpa

CITY-TAX

Sowohl Kulturakteure (siehe Seite 1 und 2) als auch Kulturpolitiker erhoffen sich von der geplanten City-Tax eine Aufstockung der Kulturförderung. Touristen sollen fünf Prozent des Übernachtungspreises als Bettensteuer zahlen. Der Senat rechnet dadurch mit Einnahmen in Höhe von 25 Millionen Euro. Der Gesetzentwurf wird derzeit in Ausschüssen beraten und nicht vor Herbst vom Abgeordnetenhaus verabschiedet. „Die City-Tax wird hoffentlich zusätzliche finanzielle Ressourcen eröffnen, um die Attraktivität der Kulturmetropole Berlin weiter zu steigern“, sagt André Schmitz.

HERAUSFORDERUNGEN

Der erfreuliche wirtschaftliche Aufschwung der Stadt berge durchaus auch die Gefahr der Verdrängung von Künstlern, sagt André Schmitz und betont die Absicht der Kulturverwaltung, Künstlern innerstädtische Arbeits- und Lebensräume zu erhalten. Der Senat habe dazu ein umfangreiches Atelierprogramm aufgelegt und versuche unter der Überschrift „nachhaltige Liegenschaftspolitik“ Flächen und Gebäude für kulturelle Nutzung zu reservieren und zu schaffen, sagt Schmitz.

Ein besonderes Anliegen sei es ihm außerdem, die real existierende kulturelle Vielfalt der Stadt, in der ein Viertel aller Menschen und jedes dritte Kind einen Migrationshintergrund hat, angemessen im Programm der Stadt wiederzufinden. „Wir haben gute Ansätze, etwa mit der Verpflichtung von Regisseur Barrie Kosky für die Komische Oper oder auch mit der von Shermin Langhoff als Leiterin des Gorki Theaters, aber wir sollten ehrlich sein, der Weg ist noch weit.“

Die Hauptstadtregion, ihre Chancen, ihre Herausforderungen - Unsere Serie "Berlin 2030" blickt in die Zukunft.

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