Tag der Deutschen Einheit: Wo die Berliner Mauer heute noch steht
Für alle, die das Kunstprojekt Dau in Berlin vermissen: Gedenkorte an die DDR-Grenze gibt es überall in der Stadt – man muss nur hingehen.
Einheit und Mauer – das passt nun wirklich nicht zusammen. Die Einheit ist eben die Einheit, ein homogenes Ganzes, jedenfalls im Idealfall, während die Mauer teilt und trennt, aus der Einheit eine Zweiheit macht. West- und Ost-Berlin beispielsweise. Andererseits sind Einheit und Mauer als Gegensätze untrennbar miteinander verknüpft, wie Plus und Minus, Schwarz und Weiß, Yin und Yang ist das eine ohne das andere nicht denkbar, schwingt immer mit. Und so ist selbst bei einem Einheitsfest, wie es von Montag bis Mittwoch in Berlin gefeiert wird, die Erinnerung an die Mauer, deren Zerfall das Fest doch erst ermöglicht hat, im Hinterkopf stets präsent, als Teil des kollektiven Gedächtnisses oder auch des höchst persönlichen, gerade in dieser Stadt.
In der alles, was irgendwie nach Mauerbau klingt oder daran erinnert, und sei es auch nur auf Zeit und mit Kunstanspruch wie das gescheiterte DAU-Projekt, sich einer ungleich höheren Aufmerksamkeit und Aufgeregtheit sicher sein kann als ein vergleichbares Vorhaben in, sagen wir, Hannover oder Itzehoe – wo natürlich niemand auf die Idee käme, einen ganzen Stadtteil zum Spaß einzumauern.
Klar, einige Berlin-Reisende werden es bedauern, die einstige Frontstadt nun doch ohne neu ummauertes, sogar touristisch zu erkundendes Areal besichtigen zu müssen. Aber kommen werden sie bestimmt auch so, und zum Trost sei ihnen zugerufen: Mauer? Könnt ihr haben, es ist genug für alle da. Man muss nur ein bisschen suchen, aber es gibt sie, in Resten, gewiss, aber meist gut erhalten.
Fleißige Mauerspechte
Deren Prunkstücke sind allgemein bekannt, sie muss man nicht suchen, nur aufsuchen, allen voran die Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße: Eine Mischung aus originalem Grenzbeton und stilisierten Elementen, auch ein alter Wachturm ist zu sehen. In der Bekanntheit sicher ebenbürtig und mit 1,3 Kilometern das längste erhaltene Mauerstück ist die East Side Gallery in der Friedrichshainer Mühlenstraße – genau genommen nur Teil der ehemaligen Hinterlandmauer, die den Todesstreifen nach Osten hin abschirmte. Ebenfalls an einer touristischen Trampelstrecke gelegen ist der durchlöcherte Rest der Hauptmauer entlang der „Topographie des Terrors“ in der Niederkirchnerstraße – ein eindrucksvolles Beispiel für den Fleiß der Mauerspechte.
Ein paar Wachtürme gefällig? Einen gibt es gleich am Leipziger Platz: Den Durchgang am Dalí-Museum nehmen, dann links halten, schon steht man davor. Gegen einen kleinen Obulus kann man sogar hochklettern. Etwas abgelegen ist dagegen der Wachturm am Schlesischen Busch, nahe der Puschkinallee in Treptow, von einem Verein für Ausstellungen genutzt, während die Führungsstelle Kieler Eck in der Kieler Straße in Mitte, kurz vor dem Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal, zur Erinnerungsstätte für den Mauertoten Günter Litfin wurde.
Der Weg von dort Richtung Brandenburger Tor führt den Mauer-Sucher über den Invalidenfriedhof, auf dem ein Stück Hinterlandmauer wenig beachtet vor sich hindämmert, während der Künstler Ben Wagin das von ihm gerettete, inzwischen unter Denkmalschutz stehende Stück Hinterlandmauer, knapp 100 Meter entlang des Schiffbauerdamms, zum Kunst- und Erinnerungsort „Parlament der Bäume“ verwandelt hat. Ein weiteres Stück Mauer musste beim Bau des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses umgesetzt werden, parallel zu dem Stück, dass noch an Ort und Stelle steht wie zu DDR-Zeiten. Weitere Mauerteile wurden in das vom Bundestag genutzte Haus integriert.
Hinterlandmauer auf dem Friedhof der St.-Hedwigs-Gemeinde
Folgt man der Berlin einst halbierenden Grenze auf dem Mauerweg vom Zentrum aus nach Norden und Süden, stößt man wiederholt auf Reste der Mauer. An der Liesenstraße zwischen Gesundbrunnen und Mitte dämmert im Schatten der verrosteten Liesebrücken ein Rest der Vordermauer, auf dem Friedhof der St.-Hedwigs-Gemeinde ist es ein Teilstück der Hinterlandmauer. Und kürzlich wurde zufällig ein Stück Hinterlandmauer auf einem zugewucherten Gelände an der Ida-von-Arnim-Straße zwischen Wedding und dem alten Mitte entdeckt. Im Süden trennt nahe der Rudower Straße in spitzem Winkel ein langes, eingezäuntes Stück Hinterlandmauer noch immer Rudow von Altglienicke.
Auch an der Grenze West-Berlins zu Brandenburg haben Reste des „antifaschistischen Schutzwalls“ das hektische Nachwende-Bemühen, die Spuren der Teilung wegzuräumen, halbwegs schadlos überstanden. Nur waren die Grenzanlagen dort eher aus Metall statt aus Beton, trennten als Zaun, nicht als Mauer. So nahe dem Ritterfelddamm in Kladow, zwischen Gutsstraße und Groß-Glienicker See, wo die Grenze den dortigen Gutspark in zwei Teile schnitt und heute eine kleine Gedenkstätte die Erinnerung an das tödliche Grenzregime wachhält.
Auch am Griebnitzsee haben sich einige zur Gedenkstätte erhobenen Mauerreste erhalten. Relikte der Grenzanlage findet man an der Martin-Luther-Straße in Falkensee, ebenso an der Schönwalder Allee in Schönwalde. Und in Nieder Neuendorf ist sogar ein Wachturm erhalten, der ebenso als Museum genutzt wird wie der Kommandantenturm auf dem ehemaligen Grenzübergang Dreilinden.
Immer wieder wird man auf dem Mauerweg auch auf Erinnerungsstelen von Flüchtlingen und anderen Opfern stoßen, die in der Nähe durch Schüsse der Grenzer zu Tode kamen. Einen hat man dabei vergessen, wie Verkehrsstaatssekretär Stefan Tidow auf eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Stefan Förster mitteilen musste: Am 2. Februar 1979 wurde der sowjetische Soldat Wladimir Iwanowitsch Odinzow bei Seeburg erschossen. Er wollte im Dorf nur ein Bier trinken. Zwei DDR-Grenzer verwechselten ihn mit einem Deserteur.