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Eine neue Mauer in Berlin wird es nicht geben (Symbolbild).
© Jörg Carstensen/dpa

Absage des Berliner Dau-Projektes: Hinter einer Mauer aus Aktenordnern verschanzt

Naive Künstler, zaudernde Politiker - beim Dau-Projekt kam viel Unvermögen zusammen. Dennoch: Berlin bleibt die Stadt der Möglichkeiten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Als „Stadt der unendlichen Möglichkeiten“ wird Berlin weltweit vermarktet. Allerdings gilt seit der Absage des Film- und Mauerkunstprojekts „Dau“ der Zusatz: „In den Grenzen von 2018.“ Bisher unvorstellbar, dass Berlin, das doch nach Größe giert, „ein Weltereignis“ (Grütters) von sich aus abbläst. Wütend sprechen Künstler von „paranoider Kleinmütigkeit“ der Behörden, Burkhard Kieker, oberster Stadtwerber, fragt sich besorgt, ob Berlin noch „das Besondere“ kann, und Tim Renner, Ex–Kulturstaatssekretär, diagnostiziert der Stadt eine schreckliche Krankheit: „Berlin will vernünftig sein.“ Das Ende ist offenbar nah. Ein guter Moment also, um hier mal die Temperatur zu messen.

Der Befund: „Dau“ hat von der ungeplanten Veröffentlichung an eine völlig überhitzte Debatte ausgelöst, die an ihrem vorläufigem Ende selbst eine Art immersives Kunstprojekt wurde. Wir erleben einen Mangel an Verständnis für Kunst, zu deren Wesen es gehört, sich Erwartungen zu entziehen. Wer das ablehnt, ist der Welt, die „Dau“ darstellen will, näher als der, in der wir gerade leben. Wir sehen aber auch Künstler, denen es an Verständnis für das Funktionieren eines Gemeinwesens mangelt: Die Vorstellung, der Aufbau einer Mauer in der historischen Mitte ausgerechnet dieser Stadt ließe sich im Schnellverfahren durch die verschachtelten Zuständigkeiten der Berliner Genehmigungsbehörden tragen und bis zum Tag X geheim halten, ist selbst für naive Kunst zu naiv – für politische aber erst recht. Christo und Jeanne Claude haben 24 Jahre gebraucht, um den Reichstag zu verhüllen.

Berlin, Unter den Linden. Rund um das Zeughaus und das Kronprinzenpalais sollte das Projekt Dau stattfinden.
Berlin, Unter den Linden. Rund um das Zeughaus und das Kronprinzenpalais sollte das Projekt Dau stattfinden.
© Kai-Uwe Heinrich

Womit wir bei der Politik selbst wären. Zu einem frühen Zeitpunkt hatten die Berliner Festspiele als Veranstalter auf der Grundlage von Projektskizzen wohlwollende Statements gesammelt; wofür sie sich da genau verwenden, war den meisten Unterzeichnern nicht ganz klar. Hauptsache: Dickes Ding, super Sache, Weltereignis – drunter machen wir’s hier nicht. Der Regierende Bürgermeister erweckte bei den Machern zudem den Eindruck, eine unbürokratische Genehmigung zu unterstützen. Dass sich seine grundsätzlich positive Haltung (mehr war es nicht) auf die später verworfenen „Dau“-Pläne an der Volksbühne bezog, verschwiegen die Veranstalter später geflissentlich. Sensibel genug dafür, welche Ablehnungsreflexe in Teilen der Stadtgesellschaft die Kombination der Worte „Mauer“ und „Berlin“ auslösen würden, war offenbar niemand. Ein Teil der Empörung hätte durch eine frühzeitige und bessere Information über das Projekt sicher gedämpft werden können.

Zugleich aber führte diese Ablehnung, die oft nur auf Vermutung beruhte, zum klassischen Bewegungsmuster der politisch Verantwortlichen: Sie zogen den Kopf ein. Niemand wagte es, das Projekt mit der Kraft des eigenen Amtes öffentlich entschlossen zum Erfolg zu führen, niemand wagte es, den Stecker zu ziehen. Das blieb dann am Ende einer Stadträtin aus Mitte und der Verkehrssenatorin überlassen, die sich wiederum hinter einer Mauer aus Aktenordnern verschanzten. Die Stadt hat auch unendliche Möglichkeiten, sich zu verweigern.

Als zeitgenössischer Abdruck Berlins ist „Dau“ dennoch nicht zu gebrauchen. Hier kam zu viel zufälliges Unvermögen zusammen für einen neuen Befund. Berlin bleibt die Stadt der Möglichkeiten. Auch wenn manchmal unendlich viel schiefgeht.

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