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Antje Kapek, Grünen-Chefin im Abgeordnetenhaus, auf dem Dach des Tagesspiegel-Gebäudes.
© Doris Spiekermann-Klaas

Interview mit Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek: „Wir sind für die Einführung einer City-Maut“

Berlins Grünen-Fraktionschefin über die Abkehr von alten Positionen bei den Themen Klima und Verkehr und ihre Kritik an der SPD. Ein Interview mit Antje Kapek.

Antje Kapek ist seit 2012 Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.

Frau Kapek, am Dienstag hat der Regierende Bürgermeister im Senat die Verabschiedung zum Stadtentwicklungsplan Wohnen gestoppt. Er erwartet Vorschläge, wo zusätzliche Wohnungen entstehen, und wie der Neubau beschleunigt werden könne. Können Sie die Kritik von Michael Müller nachvollziehen?
Ich kann die Kritik nicht nachvollziehen. Wir haben über den Step Wohnen wiederholt auf allen Arbeitsebenen gesprochen und ihn für entscheidungsreif definiert. Deshalb stand er auf der Konsensliste des Senats. Mit der neuen Debatte wird viel zu viel in den Step Wohnen reingeladen. Wir brauchen den Step Wohnen als Planungsinstrument, auf den andere Pläne wie der Kleingartenentwicklungsplan fußen. Der Senat muss den Step Wohnen in seiner nächsten Sitzung beschließen. Und die Argumentation, dass sich die Bevölkerungszahlen in Berlin eklatant ändern würden, ist reine Kaffeesatzleserei.

Aber in den letzten Jahren zogen im Schnitt 47.000 Menschen pro Jahr laut Statistik nach Berlin.
Das sind auch die Zahlen, die im Step Wohnen berücksichtigt wurden. Neue Zahlen gibt es nicht. Und 2018 gab es nur einen Zuzug von rund 31.000 Menschen. Die Vorlage der Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher ist absolut nachvollziehbar. Für mehr und schnelleren Wohnungsbau brauchen wir vor allem mehr Personal. Wir müssen Stadtentwicklungsquartiere mit einer hohen Realisierungschance priorisieren wie der Blankenburger Süden oder Buch. Zudem gilt es mit den gemeinwohlorientierten Bauträgern wie Genossenschaften endlich ein Bündnis zu schließen.

Jetzt kommt auch noch das Gesetz zum Mietendeckel. Der würde den Neubau abwürgen, befürchten viele und Baufirmen klagen über rückläufige Aufträge. Wie soll in einem Gesetz der notwendige Neubau verankert werden?
Der Neubau fällt nicht unter den Mietendeckel. Bei einem Neubau darf man eine Miete festsetzen, die alle Kosten und auch Gewinnerwartungen abdeckt. Der Mietendeckel ist aber für viele Berliner eine wichtige Notbremse. Jeder vierte Umzug in Berlin erfolgt verdrängungsbedingt, weil die Wohnkosten so viel schneller steigen als die Einkommen Die Stadtentwicklungsverwaltung steht jetzt in der Pflicht, ein Gesetz zu erarbeiten, das vor den Gerichten Bestand hat und die verschiedenen wohnungspolitischen Folgen daraus mit berücksichtigt. Das heißt, dass wir mehr Milieuschutz sowie einen verbesserten Schutz der Eigenbedarfskündigungen brauchen, denn die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen wird leider zunehmen und damit der Renditedruck auf die Mieter.

Neu gebaute Wohnungen fallen zwar nicht unter den Mietendeckel bei der ersten Vermietung, aber bereits bei der ersten Weitervermietung. Finden Sie das in Ordnung?
Wir halten die Regelung für eine faire Lösung, die Neubau nicht behindert, aber auch Spekulation zumindest etwas dämpft. Wenn ich als Investor davon ausgehe, dass es nach kurzer Zeit zur Zweitvermietung kommt, muss ich mir die Frage stellen, ob für diese Wohnung eine Mietsteigerung gerechtfertigt wäre. Das Problem der rückläufigen Bauentwicklung hat auch mit den massiv gestiegenen Bodenpreisen zu tun. Wir haben einen wachsenden Mangel an öffentlichen Flächen. Wir Grüne wollen durch eine Spekulationsbremse für Boden zum Beispiel leistungslose Bodenwertsteigerungen vom Investor komplett abschöpfen.

Die Mieten- und Wohnungspolitik wird überwiegend auf Bundesebene geregelt.
Ich fordere mehr Kompetenzen in der Wohnungspolitik für die Länder, denn die Wohnungsmarkt- und Einkommensverhältnisse sind sehr unterschiedlich. Wir brauchen eine Öffnung der Länderklausel, um regulativ eingreifen zu können. Der Bund darf das Miet- und Baurecht nicht ausschließlich regeln.

Damit haben Sie aber keine Unterstützung auf Grünen-Bundesebene.
Ich mache keinen Hehl daraus, dass meine Parteifreunde nicht begeistert sind, wenn man ihnen im Bund Kompetenzen wegnehmen möchte. Aber ich freue mich über die Diskussion darüber auf der Sitzung der Grünen-Fraktionschefs im September.

Immer mehr Leute ziehen nach Brandenburg. Brandenburgs Finanzminister Görke will eine Wohnungsbau- und Strukturentwicklungsgesellschaft gründen und hat dem Land eine Beteiligung angeboten. Was halten Sie von dem Vorschlag?
Ich hätte von Michael Müller erwartet, dass er diesen Vorschlag aufgreift. Berlin und Brandenburg sind eine gemeinsame Metropolregion. Jeden Tag pendeln 300.000 Menschen in die Stadt rein.

Dazu passt der im Senat verabschiedete Luftreinhalteplan, der neben Diesel-Fahrverboten, mehr Tempo-30-Zonen auch eine Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung von 40 auf 75 Prozent vorsieht. Wollen sie eine autofreie Innenstadt? Was sollen die Pendler machen?
Wir wollen politisch eine emissionsfreie Innenstadt und diskutieren darüber, wie man die Zahl der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren sukzessive reduzieren kann.

Aber viele sind darauf angewiesen, vor allem die Pendler und Anwohner in den Außenbezirken, in denen das ÖPNV-Angebot und zu wenig Park and Ride-Plätze nicht zum Wechsel motivieren. Wie wollen sie das ändern?
Wir brauchen einen massiven Ausbau des ÖPNV, um Pendelbewegungen zu reduzieren. Die Taktung bei U- und S-Bahn und Regionalbahnen muss deutlich verbessert werden. Es braucht mehr Züge auf den Strecken. Flankierend dazu müssen Sharing-Angebote auch in den Außenbezirken über Ausschreibungen angeboten werden. Und der Berlkönig muss nicht in der Innenstadt herumfahren, sondern analog zu dem herkömmlichen Rufbus-System auch in den Außenbezirken.

Wollen Sie als Grüne wieder über die Einführung einer City-Maut sprechen? Das Thema hatte sich 2006 erledigt.
Ja, wir Grüne sind für die Einführung einer City-Maut. Wir diskutieren unterschiedliche Modelle wie Vignette oder Nahverkehrsabgabe mit elektronischen Kontrollen oder ohne. Der Vorteil der Vignette ist, dass man sie zeitlich befristet erwerben kann. Das könnte man mit Anwohnerparken verbinden.

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Wie wollen Sie davon die SPD überzeugen? Müller und Fraktionschef Saleh haben in ihrem Papier „Wir tragen Verantwortung“ 2017 eine Anti-Auto-Politik abgelehnt und klargestellt, dass es mit der SPD keine City-Maut geben werde.
Wir sprechen oft in der Koalition über Verkehrspolitik. Die Zeiten ändern sich und auch bei den Grünen hat sich die Haltung zu einer City-Maut verändert. Da setze ich auch auf die SPD. Am Ende des Tages müssen wir uns auf ein gemeinsames Modell verständigen. Die Lieferdienste nehmen drastisch zu, die Vielzahl von Fahrzeugen steigt, die Stadt ist immer verstopfter. Das hat auch negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Berliner. Und dagegen müssen wir steuern mit einer City-Maut, höheren Parkgebühren und einer teureren Anwohnervignette. Ein Euro pro Tag ist mindestens angemessen. Warum kann Berlin kein 365-Euro-Ticket fürs Parken einführen? Dann kann ich auch Müllers Idee aufgreifen, dass dieses auch gleich als BVG-Ticket genutzt werden kann.

Die Grünen fahren in dieser Woche auf Klausurtagung nach Prag. Dort wollen Sie auch über Klimaschutz sprechen. Welche Vorschläge haben Sie außer mehr Solaranlagen und Begrünung auf den Dächern?
Wir spüren am eigenen Leib bei der Hitze, dass wir über eine bessere Isolierung der Häuser sprechen müssen. Wir müssen uns den Wärmesektor anschauen und überlegen, ob wir Potenziale entwickeln können, wie wir Wärme gewinnen. Berlin muss Klimahauptstadt werden. Wir wollen eine Zero-Emission-Zone in der Innenstadt bis 2030, in der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren untersagt sind.

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