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Diagnose mit Röntgen. Viele Flüchtlinge haben ein geschwächtes Immunsystem und sind deshalb anfällig.
© AFP

Helios-Lungenexperte über Tuberkulose in Deutschland: „Wir beobachten einen Anstieg“

Am heutigen Donnerstag ist Welt-Tuberkulose-Tag. Seit der Flüchtlingskrise nehmen die Tuberkulosefälle in Deutschland zu. Ein Gespräch mit Torsten Bauer, Pneumologe am Helios-Klinikum Emil von Behring.

Herr Bauer, was genau ist Tuberkulose und was macht diese Lungenerkrankung so gefährlich?

Sie ist eine ansteckende Krankheit, die überwiegend die Lunge befällt und durch Bakterien verursacht wird. Das Problem: Betroffene fühlen sich noch relativ lange fit, ziehen sich nicht – wie etwa bei Grippe – zurück und können dadurch andere anstecken. Die wiederum merken nicht, dass ihr Gegenüber schwer krank ist. Deshalb war Tuberkulose noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts in Deutschland weit verbreitet. Doch durch immer bessere Behandlungsmethoden, besonders natürlich Antibiotika, konnte Tuberkulose (TBC) in Mitteleuropa zu einer seltenen, in der Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommenen Krankheit gemacht werden. 2014 erkrankten in Deutschland nur noch rund fünf von 100 000 Menschen daran – das sind 4500 Neuerkrankungsfälle, darunter über die Hälfte Menschen, die nicht in Deutschland geboren wurden. Weltweit jedoch ist die Anzahl der Personen, die TBC-Erreger in sich tragen – aber nicht erkrankt sein müssen – recht hoch. Rund drei Milliarden Menschen sind betroffen, die meisten in Asien, rund um die Sahara, Südamerika, aber auch auf Grönland.

Welche Symptome ruft TBC hervor?
Wenn die Krankheit ausbricht – Mediziner sprechen erst dann von einer Tuberkulose – leiden die Betroffenen unter Fieber, Nachtschweiß, Hustenattacken und ungewolltem Gewichtsverlust. So erklärt sich auch ihr anderer Name: Schwindsucht.

Wie ansteckend ist Tuberkulose?
Die Erreger werden in Form kleinster Tröpfchen, die ein Erkrankter aushustet, übertragen. Ein Nichterkrankter atmet diese Luft ein. Aber auch, wenn die Krankheit einen bedrohlichen Klang hat, so ist sie doch weniger ansteckend als Mumps oder Keuchhusten. Um sich zu infizieren, muss man schon mehrere Stunden mit einem TBC-Kranken auf engstem Raum zusammen sein.

Wie gut ist Tuberkulose behandelbar? Ist sie heilbar?

Ein normal funktionierendes Immunsystem schafft es meist ganz gut, den Erreger in Schach zu halten. Es bekämpft eingedrungene Keime und kapselt sie ein, sodass sie keine unmittelbare Gefahr darstellen. Das Problem ist, dass die eingekapselten Erreger nicht absterben, sondern in eine Art Ruhestatus verfallen, in dem sie jahrelang überleben können. Das nennen wir latente Tuberkulose. Wird das Immunsystem geschwächt, etwa durch eine schwere Erkrankung oder die körperlichen Anstrengungen einer Flucht, können die Erreger wieder aktiv werden. Der Mensch erkrankt und kann bei einer offenen, also ansteckungsfähigen Form die Infektion weitergeben. Die Krankheit ist aber prinzipiell gut behandelbar. Die Standardtherapie bei einem voll antibiotikaempfindlichen Erreger sieht die Gabe von vier verschiedenen Antibiotika über zwei Monate und eine anschließende Behandlung mit zwei Antibiotika über noch einmal vier Monate vor. Die Heilungsrate liegt bei 90 Prozent, abhängig vom Gesundheitszustand des Patienten bei Diagnosestellung. Eine Impfung ist leider noch nicht sehr erfolgreich.

Lungenexperte Torsten Bauer aus Berlin.
Lungenexperte Torsten Bauer aus Berlin.
© Mike Wolff

Sie erwähnten die Anstrengungen einer Flucht. Stimmt es, dass durch die Geflüchteten die hierzulande als nahezu ausgerottet geltende Tuberkulose wieder zurückgekehrt ist?
Nein, die Tuberkulose war hierzulande nie ausgerottet, aber wir beobachten einen Anstieg der Neuerkrankungen. 2015 registrierte man deutschlandweit bereits rund 6500 neue Fälle. Der Zuwachs um 2000 gegenüber 2014 betrifft zu einem hohen Anteil nicht in Deutschland geborene Personen. Wir rechnen mit einem weiteren Anstieg in den nächsten drei Jahren. Ziehen ähnlich viele Geflüchtete zu wie 2015, werden es 2016 wohl um die 9000 neue Fälle sein, also eine Verdopplung gegenüber 2014. In Berlin wurden 2014 rund 440 Fälle registriert. Die Zahlen für 2015 kenne ich noch nicht, aber ich gehe von knapp 700 aus.

Anwohner von Krankenhäusern, in denen Tuberkulosepatienten behandelt werden, reagieren oft mit Angst, dass sie sich anstecken könnten. Manche betroffene Kliniken haben mit massivem Widerstand von Anwohnern zu kämpfen. Ihr Haus auch?
Unsere Lungenklinik Heckeshorn ist als Spezialklinik sehr bekannt, entsprechend versorgen wir hier auch TBC-Patienten. Und tatsächlich gab es 2007, als wir von Wannsee an den Standort Zehlendorf gezogen sind, Befürchtungen, die wir sehr ernst genommen haben. Wir haben auf vielen Anwohnerversammlungen aufgeklärt und erläutertet, dass keine Gefahr besteht, die Krankheit gut behandelbar und die Ansteckungsgefahr gering ist.

Wie viele der in den letzten Monaten zu uns geflüchteten Menschen tragen die latente Form der TBC in sich?
Das können wir nicht sagen. Denn es ist verwaltungstechnisch einfach nicht möglich, alle zu uns Geflüchteten lückenlos auf die latente Form der Tuberkulose zu untersuchen. Die entsprechenden Untersuchungen sind sehr aufwendig, dazu müssen zum Beispiel Blutproben entnommen oder Hauttests gemacht werden.

Die Behandlungsleitlinie für TBC empfiehlt Untersuchungen auf eine latente TBC bei Personen, bei denen Risikofaktoren zum Ausbruch der Erkrankung führen können, um sie dann präventiv zu behandeln. Flucht ist auf jeden Fall ein Risikofaktor. Müsste also nicht genau dieses Screening bei allen zu uns Geflüchteten stattfinden?
Die Behandlungsleitlinien werden aktuell überarbeitet. Wir werden dies in der aktuellen Form nicht mehr empfehlen, weil es nicht durchführbar ist. Allerdings schreibt das Infektionsschutzgesetz vor, dass zumindest alle Flüchtlinge ab dem 15. Lebensjahr nach der Registrierung auf die manifeste Erkrankung untersucht werden. Das geschieht per Reihenröntgenuntersuchung der Lunge – in Berlin in zwei mobilen Zentren in der Tuberkulosefürsorgestelle Lichtenberg und bei einem externen medizinischen Dienstleister. Allerdings liegen Anspruch des Gesetzes und Wirklichkeit noch auseinander. Nur ein Teil der Flüchtlinge wurde tatsächlich untersucht. Zum einen, weil bisher nur rund die Hälfte der zu uns gekommenen Geflüchteten überhaupt registriert wurden, zum anderen weil die Infrastruktur bisher nicht ausreichte, um die große Anzahl zu bewältigen. Doch das bessert sich durch die jetzt größere Unterstützung des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Wenn hier die Bemühungen nachlassen, können sich mehr Menschen mit Tuberkulose infizieren. Das von der WHO formulierte Ziel, die Zahl der Tuberkulosefälle bis 2035 noch einmal deutlich abzusenken, rückte dann in weite Ferne.

Torsten Bauer ist Chefarzt der Klinik für Pneumologie (Lungenklinik Heckeshorn) am Helios-Klinikum Emil von Behring und Generalsekretär des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose e.V.

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