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Vertrauensfrau. Marianne Birthler, die frühere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen.
© Britta Pedersen/dpa

Marianne Birthler zum Fall Knabe: Stasi-Gedenkstätte: „Ich kann keine Intrige sehen“

Vertrauensperson Marianne Birthler über die Stimmung in der Gedenkstätte Hohenschönhausen und die Rolle des Ex-Chefs Hubertus Knabe. Ein Interview.

Sie haben im Auftrag des Stiftungsrats der Gedenkstätte Hohenschönhausen als Vertrauensperson ihren Bericht zur Stimmung unter den Mitarbeitern vorgelegt. Hubertus Knabe ist als Leiter abberufen. Wie geht es mit Ihnen hier weiter?

Ich stehe weiter zur Verfügung, wen jemand Gesprächsbedarf hat. Es geht jetzt um die Anfänge eines Veränderungsprozesses. Da gebe ich Hilfestellung. Möglicherweise werde ich an der Personalsuche, bei der Ausschreibung und Berufung eines neuen Vorstandes und Direktors beteiligt.

Hubertus Knabe wird angelastet, nicht gegen Übergriffe und sexuelle Belästigung von Mitarbeiterinnen durch seinen Stellvertreter vorgegangen zu sein und diese Taten durch seinen Führungsstil begünstigt zu haben. Laut Ihrem Bericht äußern Mitarbeiter, sie hätten Angst vor Knabes Rückkehr. Auch ihm selbst werden nun unangemessenes Verhalten, Drohungen, Einschüchterung und Führungsversagen vorgeworfen. Wie repräsentativ ist Ihr Bericht?

Eine repräsentative Befragung hätte anders ausgesehen – sie gehörte auch nicht zu meinem Auftrag. Ich habe Mitarbeiter ja nicht einbestellt, sondern mit jenen gesprochen, die mit mir sprechen wollten.

Mit wie vielen Mitarbeitern haben Sie Gespräche geführt?

Es waren 29 verabredete Gespräche mit 33 Personen, davon 15 Frauen. Es waren überwiegend festangestellte Mitarbeiter, aber auch einige Zeitzeugen und Referenten.

Wie viele Mitarbeiter gibt es?

In der Gedenkstätte gibt es 20 festangestellte Mitarbeiter, etwas mehr als 20 befristete Angestellte, etwa Volontäre. Und dann gibt es noch über hundert Besucherreferenten, darunter auch viele Zeitzeugen. Sie alle arbeiten auf Honorarbasis.

Ursprünglich sollte der Bericht einige Tage später vorgelegt werden, der Stiftungsrat hat seine Sitzung, in der Herr Knabe abberufen wurde, vorgezogen. Kritiker wie der Vize-Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion Arnold Vaatz vermuten, Sie hätten den Bericht kurzfristig fertigstellen müssen, auch damit er vor Gericht verwendet werden kann.

Das ist nicht richtig. Mein Bericht war im Großen und Ganzen zwei Wochen zuvor bereits für den Stiftungsbeirat fertig und ist dort auch vorgestellt worden. Ich musste ihn für den Stiftungsrat nur aktualisieren und ergänzen.

Ihnen wird vorgehalten, Sie hätte seinerzeit als Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen Herrn Knabe entlassen und auch danach mit ihm Konflikte gehabt. Sind sie befangen?

Mein Vorgänger Joachim Gauck hat das Arbeitsverhältnis mit Hubertus Knabe beendet. Die Sache war also entschieden, als ich Bundesbeauftragte wurde.

Haben Sie selbst mit Hubertus Knabe gesprochen seit seiner Entlassung im September?

Wir haben uns kurz gesehen, als er am 26. November für einige Stunden hier in der Gedenkstätte war. Da bin ich zu ihm gegangen, habe mich verabschiedet und ihm ein Gespräch angeboten.

Zeitzeugen berichten, endlich könne wieder über einen Film, der in der Gedenkstätte gezeigt wird, diskutiert werden. Der Film ist umstritten, weil darin behauptet wird, Insassen des Stasi-Untersuchungsgefängnisses seien bewusst Strahlen ausgesetzt worden.

Ja, dieser Einführungsfilm, den Besuchergruppen sehen, wird von sehr vielen kritisiert, auch von den meisten Besucherreferenten. Manche von ihnen berichten, sie bräuchten nach dem Film einige Minuten, um der Besuchergruppe zu erklären, was daran alles nicht in Ordnung ist. Beeindruckend war, wie einmütig der Kritik am Film war.

Was ist das für ein Film?

Soweit ich weiß, wurde er unter der Regie von Hubertus Knabe erstellt. Der Film ist etwa 30 Minuten lang und soll Basisinformationen vor der Führung durch die Gedenkstätte liefern. Als der Film vor 14 Jahren eingeführt wurde, waren die Zeitzeugen zunächst verärgert: Die Dauer der Führung wurde entsprechend gekürzt und damit auch die ohnehin nicht üppige Vergütung. Das Hauptproblem ist aber, dass im Film Fakten genannt werden, die wissenschaftlich nicht belegt sind. Der Film hat außerdem etwas sehr Suggestives. Aktuell wird diskutiert, wie man damit umgeht, ob man den Film weglässt oder etwas herausschneidet, ein Provisorium findet. Ein neuer Film ist schon lange geplant. Aber bis er bereitsteht, wird wohl noch einige Zeit vergehen.

Bei dem Film geht es auch um ein Geschichtsbild. Herr Knabe zog eine Linie von Marx, Lenin, Stalin und Mao zu Ulbricht, Honecker und zur heutigen Linkspartei. Knabe fand, die DDR-Aufarbeitung sei erst gelungen, wenn die kommunistische Diktatur denselben Stellenwert im Bewusstsein der Deutschen habe wie das NS-Regime. Hat es der Gedenkstätte gutgetan, die Arbeit in diesen Kontext zu stellen?

Ich möchte hier keine Generalkritik der bisherigen Arbeit vornehmen. Allerdings gab es im Stiftungsbeirat, zu dem ich jahrelang gehörte, häufig Streit über inhaltliche Fragen. Auch darüber, was der Auftrag der Gedenkstätte ist. Das waren teils heftige Debatten, die aber meiner Erinnerung nach wenig Eindruck auf Herrn Knabe gemacht haben.

Es gibt einen zweiten Bericht darüber, wie die Verwaltung der Gedenkstätte von Hubertus Knabe geführt wurde. An ein zeitgemäß geführtes Unternehmen oder eine Verwaltung im Jahr 2018 erinnert die Gedenkstätte nach Lektüre beider Berichte nicht.

In der Tat hat sich herausgestellt, mehr noch durch den Bericht von Jörg Arndt …

… der vorläufig bis zur Neubesetzung zum Vorstand und Direktor berufen wurde …

… er hat festgestellt, dass es in der Verwaltung noch eine Menge gibt, das weiterentwickelt werden muss, um es vorsichtig auszudrücken.

Was ist schief gelaufen in der Gedenkstätte unter Hubertus Knabe?

Bezogen auf Verwaltungsfragen kennt sich Herr Arndt besser aus als ich - dazu sollten sie ihn fragen. Ich selbst habe den Eindruck gewonnen, dass es besonders hinsichtlich der internen Kommunikation und der Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an strategischen und inhaltlichen Entscheidungen Veränderungsbedarf gibt. Jedenfalls wurde dieser Punkt in den Gesprächen, die ich hatte, besonders oft benannt. Hier arbeiten viele hoch motivierte und gut ausgebildete Menschen – es ist schade, wenn das nicht genug genutzt wird.

Zum Teil sind die Belästigungsvorwürfe intern seit Jahren bekannt, aber niemand hat sich gewagt, das anzusprechen. Wie kann das sein?

Wenn es über Jahre Vorfälle sexueller Belästigung gibt, wenn viele davon wissen und hinter vorgehaltener Hand darüber sprechen, und wenn nichts Wirksames dagegen unternommen wird, hat das immer mit Angst und Machtstrukturen zu tun. Abgesehen davon verändern sich Institutionen permanent. Man muss regelmäßig prüfen, wo die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sich verändert haben, wo nachgesteuert und miteinander geredet werden muss. Ich selbst habe in den Institutionen, die ich geleitet habe, solche Prozesse immer wieder in Gang gesetzt und Neuausrichtungen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diskutiert. Das ist manchmal schmerzhaft. Aber wenn man das über lange Zeit nicht tut, kommt es zu schockartigen Veränderungen. Das könnte – das sage ich mit aller Vorsicht – auch hier in Hohenschönhausen der Fall sein. Da hat sich etwas angestaut, jetzt gab es diese Krise. Aber die ist auch eine Chance. Mein Eindruck ist, dass viele Mitarbeiter die Situation, so schwierig sie ist, auch als Chance sehen.

Dennoch wird gemutmaßt, die Entlassung von Hubertus Knabe habe politische Gründe, da solle der prominenteste Mahner gegen das Vergessen, ein ausgewiesener Kritiker der Linkspartei aus dem Weg geschafft und die Erinnerung an das SED-Unrecht weichgespült werden.

Manche meinen ja sogar, mit Hubertus Knabe würde die Aufarbeitung der SED-Diktatur stehen und fallen. Aber das ist eine unbegründete Sorge. Es gibt in den fünf neuen Bundesländern und Berlin viele Institutionen, die eine tolle Arbeit machen. Zum Glück hängt nicht alles an einer Person.

Einige SED-Opfer vermuten eine Intrige, ein gezieltes Vorgehen durch Kultursenator Klaus Lederer von der Linkspartei.

Soweit ich Gelegenheit zum Gespräch habe, frage ich zurück, welche Anhaltspunkte es für eine solche Intrige gibt. Da habe ich noch keine interessante Antwort bekommen. Ich kann keine Intrige sehen. Es gibt nur Befürchtungen und Fantasien. Wenn diese von Zeitzeugen geäußert werden, die unter der Herrschaft der SED schrecklich Dinge erlebt haben, nehme ich das nicht übel. Aber wenn Politiker oder Journalisten wider besseren Wissens Behauptungen aufstellen, ohne einen einzigen Beleg, sehe ich das schon kritischer.

Arnold Vaatz sprach von denunziatorischen Methoden der Wahrheitsfindung wie in Diktaturen, er warf Kultursenator Lederer kriminelle Energie vor. Andere bezeichneten den Umgang mit Knabe als „Stalinismus pur“. Was entgegnen Sie?

Schauen wir uns mal den Stiftungsrat an: Neben Kultursenator Lederer gehört dazu Dieter Dombrowski, der der CDU angehört und Vorstand des Dachverbands der Opferverbände UOKG ist, der bundesweiten Vereinigung der Opferverbände. Dann sind da noch Maria Bering, die Vertreterin der Bundeskulturbeauftragten, Frau Birgit Neumann-Becker, die Beauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Sachsen-Anhalt, und die Berliner Justizstaatssekretärin Martina Gerlach – alles gestandene Frauen, die nach meinem Eindruck eher eine wertkonservative Haltung haben. Die lassen sich bestimmt nicht von der Linkspartei instrumentalisieren. Ihnen zu unterstellen, sie wären Marionetten von Klaus Lederer, ist echt eine Beleidigung.

Einige SED-Opfer sagen, sie hätten viel Schlimmeres erlebt als sexuelle Belästigungen.

Man kann jedes Vergehen damit relativieren, weil es noch viel Schlimmeres gab. Das kann aber nicht der Maßstab sein.

Kritisiert wird vom CDU-Politiker Vaatz und anderen, es lägen nur anonyme Vorwürfe vor. Es gebe keine Beweise, die Frauen sollten öffentlich zu ihren Behauptungen stehen.

Es handelt sich hier nicht um anonyme Anschuldigungen. Die betroffenen Frauen haben den Brief, den sie geschrieben haben, mit ihren Namen unterzeichnet. Aber sie haben darum gebeten, dass ihre Namen nicht öffentlich verwendet werden.

Die sogenannte Aufarbeitungsszene ist überschaubar. War der Einfluss von Hubertus Knabe so groß, dass die Frauen befürchten mussten, an anderen Gedenkstätten oder Forschungsinstituten nicht Fuß fassen zu können?

Als die Frauen noch hier gearbeitet haben, waren sie in einem Abhängigkeitsverhältnis. Aber selbst als sie nicht mehr hier gearbeitet haben, keine Angst mehr haben mussten, dass sie beruflich Nachteile haben, hätte ihnen gedroht, dass sie angegriffen und als unglaubwürdig dargestellt werden. Die aktuelle Debatte gibt den Frauen auch recht. Es wird angezweifelt, was sie berichten. Das würde ich gern jeder Frau ersparen wollen, die den Mut hat, sich mit dem zu Wort zu melden, was ihr widerfahren ist.

Wenn es den vom Stiftungsrat als nötig erachteten Kulturwandel gibt – wo sehen sie die Gedenkstätte in zwei Jahren?

Die Gedenkstätte Hohenschönhausen bleibt der wichtige Ort, der sie ist. Ihre Bedeutung verdankt sie zum einen den Menschen, die hier arbeiten. Zum anderen hat der Ort eine eigene starke Wirkung. Ich wünsche mir, dass das so bleibt, dass es gute Bildungsangebote gibt, zum Beispiel noch mehr Projekttage für Jugendliche.

Und der Kulturwandel in der Mitarbeiterschaft?

Kulturwandel heißt vor allem Wandel der Führungs- und Kommunikationskultur innerhalb der Gedenkstätte. Einige Veränderungen sind schon spürbar. Seit zwei Monaten gibt es lebendigere Debatten, manchmal wird auch gestritten, das macht auf mich einen ziemlich lebendigen Eindruck. Das sind alles wichtige Lernprozesse, die der Arbeit hier gut tun.

Das Gespräch führte Alexander Fröhlich.

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