Nach Wiederwahl von Michael Müller: Wie es in der Berliner SPD jetzt weitergeht
Nur 64,9 Prozent – Müller nahm nicht einmal Blumen an und sprach bis zum Ende der Veranstaltung mit niemandem. Wie es dazu kam und was zu erwarten ist.
Er hat nicht mehr das Wort ergriffen – sich bei den Genossen im Saal weder beschwert noch bedankt. Nicht einmal die Blumen nahm Michael Müller entgegen, als er am Sonnabend auf dem Parteitag der Berliner Sozialdemokraten mit nur 64,9 Prozent als Parteichef wiedergewählt wurde. Er habe bis zum Ende der Veranstaltung am späten Abend mit keinem mehr gesprochen, sagen Delegierte. Und den neu gewählten Vorstandsmitgliedern, mit denen er ab jetzt zusammenarbeiten wird, auch nicht Tschüss gesagt. Ein gemeinsames Foto gab es immerhin.
Es ist nicht das erste Mal, dass der SPD-Landesvorsitzende so reagiert. Als Müller im Juni 2012 bei der Neuwahl des Landesvorstands dem Parteilinken Jan Stöß unterlag, brach für ihn eine Welt zusammen, und er verließ den Ort der Niederlage schweigend und in geduckter Haltung. Vier Jahre später gelang es Müller mit einem Überraschungscoup, rechtzeitig vor dem Abgeordnetenhauswahlkampf 2016 den SPD-Landesvorsitz zurückzuerobern. Leider habe er, beklagen jetzt viele Genossen, daraus nichts gemacht.
Doch weder enge Vertraute noch innerparteiliche Widersacher hatten damit gerechnet, dass Müller ohne Gegenkandidaten bei der Vorstandswahl am Sonnabend so abgewatscht wurde. Dies sei, da sind sich viele Genossen einig, für die Berliner Sozialdemokraten eine Zäsur. „Ein verheerender Parteitag“, hieß es am Sonntag. Die Lage sei „dramatisch“. Niemand will sich in dieser Situation namentlich zitieren lassen. Aber wenn man nach den Gründen für das miserable Wahlergebnis fragt, werden derer drei genannt.
Drei Gründe für miserables Wahlergebnis
Erstens: Die Kandidatenrede Müllers, mit der er auch gutmeinende Delegierte verprellte, die sich von den Schuldzuweisungen des Senatschefs an die eigene Partei provoziert fühlten. „Als habe er es darauf angelegt“, sagt ein Genosse.
Zweitens: Die innerparteilichen Konflikte, die im Brandbrief des ehemaligen SPD-Vizechefs Mark Rackles und in einem öffentlichen Aufruf jüngerer Funktionäre um den Ex-Senatskanzleichef Björn Böhning kulminierten. Die Geschehnisse haben Wirkung gezeigt, ebenso wie der Koalitionskrach, den Müller vor einer Woche in der Senatssitzung angezettelt hat.
Drittens: Es drängt auch in der Berliner SPD eine junge Generation nach vorn, die sich den üblichen Absprachen und Ritualen nicht mehr verpflichtet fühlt. Bei den diesjährigen Parteiwahlen sind sie in Orts- und Kreisvorstände gewählt worden, und jetzt auch in den Landesvorstand.
Auf dem Parteitag am Sonnabend waren viele junge Delegierte zu sehen und zu hören, denen das bisher vorherrschende Funktionärswesen fremd ist. „Die sind hungrig nach inhaltlicher Auseinandersetzung“, war nach dem Parteitag zu hören. In der Regel sind sie bei den Jungsozialisten aktiv, aber es sind nicht nur klassische Parteilinke.
"Keine Abnick-, sondern Mitmachpartei"
Die Juso-Landeschefin Annika Klose fand für diese unorthodoxe Erneuerungsbewegung den passenden Satz: „Wir sind keine Abnick-, sondern eine Mitmachpartei!“ Einige von denen, die mitmachen, aber nicht gegängelt werden wollen, sitzen nun im Berliner SPD-Vorstand.
Es gibt dann noch eine zweite Gruppe in der Partei, die mehr Einfluss gewinnen will – Genossen um die 40 Jahre, Abgeordnete, Staatssekretäre, Referenten im Bundestag und andere. Der prominenteste, aber auch umstrittenste Vertreter dieser eher losen Gruppierung ist Böhning, ein Vertrauter der Parteichefin Andrea Nahles.
Der von ihm initiierte Online-Aufruf „Aufwachen, aufstehen, besser machen“ soll jetzt in die SPD-Ortsverbände getragen werden und dann in ein Diskussionsforum münden. Wann und wie genau, steht noch nicht fest. Es haben sich schon viele Mitglieder gefunden, die diesen Prozess aktiv unterstützen wollen.
Wie der Regierende Bürgermeister und SPD-Landesvorsitzende Müller mit dieser neuen Situation umgehen wird, die in sein Wahlergebnis auf dem Parteitag mündete, weiß bisher niemand. Am Freitag trifft sich erstmals der neu gewählte Geschäftsführende Landesvorstand, dann muss sich Müller wohl positionieren.
„Mal sehen, ob es uns gelingt, uns zusammenzuraufen“, verlautet aus SPD-Führungskreisen. In jedem Fall würden innerparteiliche Konflikte künftig noch offener ausgetragen.
Es müsse jedenfalls Schluss sein damit, dass Müller stets die Schuld für Pannen und Fehler woanders suche. Mal bei der Bundespartei, mal bei den eigenen Leuten in Berlin oder den Regierungspartnern Linke und Grüne. Auch das war am Sonntag aus ganz verschiedenen Richtungen zu hören. Der Regierungs- und Parteichef dürfe sich nicht weiter abschotten, sondern müsse einbinden.
In der mitgliederstarken, aber zersplitterten SPD-Linken ist mit diesem denkwürdigen Parteitag die Einsicht gewachsen, dass man sich wieder besser organisieren und präsentieren muss. Ob der Juso-Bundeschef Kevin Kühnert in diesem Prozess eine tragende Rolle einnehmen wird, ist noch nicht raus. Obwohl ihm viele Genossen eine Schlüsselrolle zutrauen.
Der 28-jährige Kühnert ist aber im SPD-Kreisverband Tempelhof-Schöneberg sozialisiert, der politischen Heimat Müllers. Beide haben zueinander einen guten Draht, dagegen gilt das Verhältnis zum SPD-Fraktionschef Raed Saleh als schwierig. Kühnert wird nicht gegen den angeschlagenen Müller agieren.
Es geht in der Landes-SPD auch niemand davon aus, dass Müller kurzfristig hinwirft. Obwohl manche Funktionäre jetzt doch fragen, wie lange er sich „das noch antun“ wolle. Eine Sorge, die nicht nur dem Parteichef gilt, sondern auch dem Regierungschef von Rot-Rot-Grün. Am Dienstag trifft sich der Koalitionsausschuss zu einer Sondersitzung. Es geht um die strittige Frage, wie der Senat künftig mit der Besetzung leerstehender Häuser in Berlin umgeht.