Kritik an Parteiführung: Endlich Widerstand in Berlins SPD
Berlins SPD treibt unter Michael Müller ziellos umher. Doch jetzt bricht der Streit um geeignetes Führungspersonal und die politische Ausrichtung wieder auf. Ein Kommentar.
Es war nur eine Frage der Zeit, dass der zerrüttete Zustand der Berliner SPD wieder zutage tritt. Den Sozialdemokraten ist es zwar gelungen, sich nach der Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2016 trotz eines historisch schlechten Ergebnisses von 21,6 Prozent wieder in ein Regierungsbündnis zu retten, das von der SPD angeführt wird. Aber die internen Konflikte um geeignetes Führungspersonal und die politische Ausrichtung wurden nicht ausgetragen, sondern zugekleistert.
Jetzt bricht der Streit wieder auf. Endlich – muss man sagen.
Von Mehltau ist die Rede, der die Führungsstrukturen der Hauptstadt-Partei befallen habe. Eine inhaltliche Entkernung wird beklagt, und ein Vertrauensverlust der Berliner SPD-Führungsspitze. Dies alles in einem Wut-Brief des Bildungs-Staatssekretärs Mark Rackles, der bis 2012 Sprecher der Parteilinken war. Ein scharfzüngiger, aber besonnener Analyst. Er gilt eigentlich als loyaler Unterstützer des SPD-Landeschefs und Regierenden Bürgermeisters Michael Müller, aber jetzt hat er ob seines ganzen Frusts offenbar nicht mehr an sich halten können.
Anhaltende Nichtkommunikation gepaart mit einem Entscheidungsvakuum
Rackles spricht von anhaltender Nicht-Kommunikation und einem Entscheidungsvakuum im Vorstand. Er nennt keine Namen, aber gemeint ist zweifellos der Genosse Müller, der vor zwei Jahren den SPD-Landesvorsitz in einem überraschenden Coup wieder an sich riss. In der engeren Parteiführung installierte er enge Vertraute, vor allem den Innensenator Andreas Geisel und die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, Angelika Schöttler. Aber wer glaubt, dass Müller seitdem in der eigenen Partei die Fäden in der Hand hält, der liegt schief.
Bis heute wurden die katastrophalen Wahlniederlagen bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 und der Bundestagswahl 2017 nicht wirksam aufgearbeitet. Vom SPD-Landesverband gehen keine Botschaften aus, die potenzielle Wähler überzeugen könnten. Daran ändert auch nichts, dass Michael Müller mit der Idee eines solidarischen Grundeinkommens einige Wochen lang bundesweit auf sich aufmerksam machte. Schaut man sich nämlich an, wie Rot-Rot-Grün in Berlin vor sich hin regiert, kann von einer politischen Führungsrolle der Sozialdemokraten nicht die Rede sein.
Es ist auch nicht erkennbar, ob und wie der SPD-Landesverband in einem halbwegs kontrollierten Prozess personell erneuert werden soll. Viele Tausend Neumitglieder wären eine große Chance. Stattdessen belauern und blockieren sich die innerparteilichen Lager gegenseitig – und Parteichef Müller zeigt keinen erkennbaren Willen, wichtige Personalentscheidungen wie die Neuwahl des Landesvorstands und die Nominierung der Kandidaten zur Europawahl transparent vorzubereiten und zu steuern.
Die Lager belauern und blockieren sich
Er spreche fast nur mit engsten Vertrauten. Er lasse alles laufen, er kommuniziere nicht. Müller habe keine Linie. Das hört man flügelübergreifend in der Berliner SPD. Frust und Enttäuschung überwiegen, aber es gibt auch Rachegelüste jener, die dem Ex-Parteichef und profilierten SPD-Linken Jan Stöß nachtrauern. Müller muss damit rechnen, am 2. Juni mit einem vernichtenden Ergebnis als Landeschef bestätigt zu werden.